Wagenknecht-Partei: "100 weitere Interessierte in MV"

Stand: 20.12.2023 20:48 Uhr

Im NDR Interview spricht die Landeskoordinatorin des "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) Sabine Zimmermann über ihre Aufgaben und die Fortschritte beim Aufbau der neuen Partei. Der Landesvorsitzende der Linken gibt sich unbeeindruckt.

von Anna-Lou Beckmann, Redaktion Politik & Recherche

Die Meldung vom Übertritt der Linken-Stadtfraktion in Ueckermünde zum "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) hat deutschlandweit für Schlagzeilen gesorgt. Im Zuge dessen ist eine Personalie des BSW in Mecklenburg-Vorpommern erstmals öffentlich in Erscheinung getreten: die BSW-Landeskoordinatorin Sabine Zimmermann. Im NDR Interview spricht sie über den Stand der Dinge und weitere Aspekte des Aufbaus der Partei.

Für die Linke im Bundestag

Auf der politischen Bühne ist sie keine Unbekannte: 16 Jahre lang saß Sabine Zimmermann für die Linke im Bundestag. Dort war sie Vorsitzende des Familienausschusses und kümmerte sich für ihre Fraktion um arbeitsmarktpolitische Themen. Vorher war sie Abgeordnete im sächsischen Landtag. Die gelernte Baustofftechnologin hat ihren Wahlkreis in Zwickau, geboren ist sie in Pasewalk. Zwischen diesen beiden Regionen pendelt sie aktuell noch öfter hin und her als bisher. Denn sie verfolgt ein neues Ziel. Zimmermann hat das Lager gewechselt. Die 63-Jährige gehört zu den 16 Abtrünnigen, die der Linkspartei gemeinsam mit Wagenknecht als Erstes den Rücken kehrten. Jetzt ist es ihr Job, BSW-Strukturen in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern aufzubauen. Sie ist die sogenannte Landeskoordinatorin.

Mit Interessierten telefonieren und sich mit ihnen treffen

Sabine Zimmermann erklärt, seit Wochen und Monaten gingen bei dem Berliner Team des BSW unzählige Anrufe, Briefe und Mails von Menschen ein, die ihre Unterstützung anbieten und bei der neuen Partei mitmachen wollen. Die Schreiben aus Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen landen bei Sabine Zimmermann. "Ich habe dann praktisch die Aufgabe, mit denjenigen den Kontakt aufzunehmen. Mit manchen telefoniere ich, mit manchen treffe ich mich. Ich fahre viele Kilometer und dann schauen wir, wie sich die Menschen bei uns einbringen können." Ihr ist wichtig zu betonen, die neuen Anhänger würden sich bei ihr melden, sie würde niemanden von sich aus ansprechen und abwerben. "Die Hauptsätze, die man mir entgegenbringt, sind: 'So kann es nicht weitergehen.' und 'Wo kann ich mich einbringen?'“ Manche würden nur Plakate kleben wollen, andere seien bereit, für das neue Bündnis zu kandidieren. "Dafür bin ich da: Mit vielen Menschen zu reden, sie zu koordinieren, sie zusammenzubringen und dann strategisch zu schauen, wie wir da in Mecklenburg-Vorpommern vorgehen", so Zimmermann.

Startschuss in Ueckermünde

Etwa den jüngsten Parteiübertritt in der linken Stadtfraktion Ueckermünde hat Sabine Zimmermann koordiniert. "Das war erst der Startschuss", sagt sie. Sie rechnet mit deutlich mehr Eintritten, sobald die neue Partei auch offiziell Anfang Januar gegründet ist. Weitere Eintritte stünden aber auch schon jetzt bevor: "Im Moment liegen hier bei mir auf dem Tisch circa 100 E-Mails von Menschen, die sich in Mecklenburg-Vorpommern engagieren wollen. Und die E-Mails müssen jetzt bearbeitet werden. Mit einigen habe ich schon telefoniert.“ Zu den Interessierten zählten Unternehmer, Landwirte, Betriebsräte, Ingenieure, Immobilienfachleute, Handwerker, Ärzte, Lehrer und auch Pfleger. Die meisten leben in Schwerin, Rostock, Greifswald und auf Rügen. Es seien auch weitere Mitglieder der Linkspartei unter den besagten etwa 100 Interessierten, auch aus der SPD gebe es Anfragen. Auch wenn Zimmermann betont, die BSW wolle "keine Linke 2.0" sein, könne das Bündnis von solchen Parteiübertritten stark profitieren. Diese Menschen würden Erfahrung in Kommunalpolitik mitbringen. Das sei von Vorteil für die neue Partei.

BSW-Strategietreffen im Januar

Im nächsten Schritt will Zimmermann die Interessierten und neuen Anhänger miteinander vernetzen. Sie will, dass sich regionale Teams des BSW gründen, denn allein könne sie die neue Partei und deren Landesverband nicht vorantreiben. Währenddessen wird der Zeitdruck immer größer. Die neue Partei möchte schon im Juni bei den anstehenden Kommunal- und Europawahlen mit eigenen Listen antreten. "Unser Ziel ist es, in so vielen Kommunen wie möglich in Mecklenburg-Vorpommern anzutreten. Das werden wir aber nicht überall flächendeckend schaffen." Im Januar soll ein BSW-Strategietreffen stattfinden, um das Vorgehen bei den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern zu planen.

MV-Linke rechnet mit weiteren Austritten

Währenddessen beobachtet der Landesvorsitzende der Linken in Mecklenburg-Vorpommern, Peter Ritter, die jüngsten Entwicklungen distanziert kritisch. Das Urgestein im Landesverband erklärt, weitere Parteiaustritte würden ihn nicht überraschen, damit müsse man rechnen. "Wenn man mit offenen Augen durch die Partei geht, dann hat man ja Stimmungen wahrgenommen. Es wird also den ein oder anderen geben, der oder die dann im Januar, wenn die neue Partei gegründet ist, dann auch zu Sahra Wagenknecht gehen wird." Seit ihrer Ankündigung hätten, so Ritter, 30 Mitglieder in Mecklenburg-Vorpommern die Linkspartei verlassen, jedoch nicht alle wegen eben jener Ankündigung Wagenknechts. Bei vielen hätte es altersbedingte Gründe. "Gleichwohl hat es seitdem auch viele Eintritte gegeben und die sind alle damit begründet: Jetzt können wir zur Linken kommen." Angesprochen auf die Äußerung Zimmermanns von etwa 100 neuen BSW-Interessierten, reagiert Ritter unbeeindruckt: "Das ist ja erstmal nur eine Ankündigung. Wenn es denn so ist, dann soll sie die Namen nennen. Dann sollen sie endlich alle aus der Deckung kommen. Das ist das, was wir in der Vergangenheit so kritisiert haben, diese ständige Hängepartie."

Ritter: Begründung für Übertritt ist "albern"

Ritter: "Welche Auswirkungen das neue Bündnis bei den Kommunalwahlen für uns haben wird, ist noch sehr schwer abzusehen. Die Programmatik der neuen Partei – außer dem Namen Sahra Wagenknecht – kennt man doch noch gar nicht. Man weiß doch noch gar nicht, was solch ein Bündnis bei kommunalen Problemen etwa in Stavenhagen oder Neubrandenburg machen will. Einfach zu sagen 'Jetzt kommt Sahra' - das wird für viele Wähler und Wählerinnen nicht ausreichen." Einerseits betont Ritter im NDR Interview: "Jeder, der die Partei verlässt, ist ein Verlust." Gleichzeitig wirft er den jüngsten Überläufern in Ueckermünde vor, ihre Begründung sei albern. Sie sollten ihre Mandate in der Stadtvertretung zurückgeben, auch wenn es keine Nachrücker auf der Liste der Linken mehr gebe. "Das ist eine Frage der Moral", so Ritter. Er wirft seinen einstigen Parteikollegen aus Ueckermünde "schäbiges Verhalten" vor.

Ritter sieht kaum Möglichkeiten für Zusammenarbeit

Doch die Überläufer sehen diese Notwendigkeit nicht. Ohne Nachrücker würde ein Zurückgeben der Mandate einem Wegwerfen gleichkommen, meint Detlef Rabethke. Der bisherige Fraktionsvorsitzende der Linken in Ueckermünde sagt, er habe seit der Meldung des Übertritts großen Zuspruch erhalten. Der Entwicklungsprozess der jungen Partei in Gründung würde an Fahrt aufnehmen. Viele Menschen, insbesondere Unternehmer im Ort, würden sich der neuen Bewegung mit Blick auf die Kommunalwahlen anschließen. "Wir sind eine Bewegung aus der Mitte der Bevölkerung. Wir sind keine Konkurrenz zu der Partei 'Die Linke'. Im Gegenteil: Wir werden in der Zukunft auch mit der Partei 'Die Linke' zusammenarbeiten wollen, weil wir Überschneidungen in unseren Themenfeldern haben."

"Dann wird das ganz schön schizophren"

Für eine solche Zusammenarbeit sieht der Landeschef der Linken hingegen kaum Chancen. Das liege zum einen daran, dass aus seiner Sicht noch gar nicht feststehe, ob die neue Partei tatsächlich eine linke Partei sein wird. Doch das ist nicht der einzige Punkt für den Politiker aus Stavenhagen: "Wenn man aus der Linken austritt und dann sagt 'Ich kann mir vorstellen, mit Euch zu koalieren oder zusammenzuarbeiten', dann wird das schon ganz schön schizophren." Das werde aus seiner Sicht nicht funktionieren. "Warum sind die denn aus der Linken rausgegangen, wenn sie dann mit der zusammenarbeiten wollen? Das halte ich völlig albern." Doch statt sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wolle er mit seiner Linkspartei lieber die eigenen Hausaufgaben angehen. Das bedeute "die Kommunalwahlen vorbereiten und die Neumitgliederkampagne schärfen". 

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Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 20.12.2023 | 19:30 Uhr

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