Rauch steigt bei einem großflächigen Waldbrand in der Nähe der evakuierten Ortschaft Alt Jabel aus dem Wald auf. © dpa-Bildfunk Foto: Jens Büttner

Vor vier Jahren: Großer Waldbrand bei Lübtheen

Stand: 30.06.2020 06:37 Uhr

In Mecklenburg-Vorpommern hat im Sommer 2019 der größte Waldbrand der Landesgeschichte gewütet. 1.200 Hektar Fläche standen in Flammen. Es dauerte eine Woche, bis das Feuer unter Kontrolle war. Ein Jahr später sprachen wir mit Helfern und Protagonisten.

Als der Landrat von Ludwigslust-Parchim, Stefan Sternberg (SPD), am Abend des 30. Juni 2019 den Katastrophenalarm auslöst, ist klar, dass der Brand auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz bei Lübtheen die Region noch lange in Atem halten wird. Fortan haben Sternberg und sein Krisenstab das Sagen - und auch das Kommando über am Ende rund 3.000 Feuerwehrleute, Polizisten, Soldaten sowie Einsatzkräfte und Helfer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und des Technischen Hilfswerks aus ganz Deutschland.

"Das war wie eine Feuerwalze"

Schon seit einigen Tagen brennt es in den Wäldern auf dem ehemaligen Militär-Areal in Westmecklenburg. Eigentlich ist das nichts Ungewöhnliches zu dieser Jahreszeit und an diesem Ort. Doch der am Anfang kleine Waldbrand breitet sich - begünstigt durch die ausgetrockneten Böden und den frischen Wind - immer weiter aus. Zunächst brennt es nur am Boden, doch bald stehen auch Baumwipfel in Flammen. Nach wenigen Stunden ist das Feuer außer Kontrolle. "Die Konstellation war schon besonders", erinnert sich Lübtheens Wehrführer Carsten Blohm ein Jahr später. "Die Trockenheit im Zusammenspiel mit der Thermik - das war wie eine Feuerwalze. So rasant, das hat noch keiner von uns Feuerwehrleuten vorher gesehen."

Dörfer werden evakuiert

Die örtlichen Feuerwehren - anfangs mit 60 Kameraden vor Ort - können den Brand nicht löschen. Immer wieder explodieren Munition und Blindgänger von Wehrmacht und Nationaler Volksarmee (NVA). Mit Bränden auf dem munitionsverseuchten Gebiet und Explosionen hatten Blohm und seine Kollegen es schon vorher häufiger zu tun. "Die Detonationen hat man aus der Ferne gehört. Aber das war bis dahin nicht in dem Umfang wie 2019", erinnert sich der Feuerwehrmann. Rings um den Wald liegen mehrere Dörfer - das Feuer kommt ihnen bedrohlich nah. Nach und nach werden vier Orte evakuiert: Alt Jabel, wo die Flammen bis auf 50 Meter an die ersten Häuser herangerückt sind, Jessenitz-Werk, Trebs und Volzrade.

"So schlimm war es noch nie"

Polizeiautos fahren durch die Orte und fordern die Bewohner mit Lautsprecherdurchsagen dazu auf, ihre Häuser zu verlassen. Insgesamt sind knapp 800 Menschen betroffen. Sie kommen bei Verwandten oder Freunden unter oder in einer Turnhalle - so wie die damals 77-jährige Barbara Promer, die seit mehr als 60 Jahren in Alt Jabel wohnt. "Es ist nicht der erste Brand, den ich erlebe. Aber so schlimm wie dieses Mal war es noch nicht", erinnert sie sich damals. Auch ihr Vieh müssen die Menschen zurücklassen. Bange Tage stehen ihnen bevor.

Bundeswehr schickt Bergepanzer - die Polizei Wasserwerfer

Unterdessen kämpfen Feuerwehrleute und Soldaten mit Bergepanzern gegen das Feuer - rund um die Uhr. Am Ende ihrer Schicht fallen sie völlig erschöpft in den Mannschaftszelten auf ihre Feldbetten, die THW- und DRK-Helfer aufgebaut haben. Die Einheimischen bringen Kuchen, Getränke und warme Mahlzeiten vorbei. Im Wald explodiert immer wieder lebensgefährliche alte Munition - von der Gewehrpatrone bis zur Schiffsgranate. Alle Einsatzkräfte müssen 1.000 Meter Sicherheitsabstand einhalten. Das erschwert die Löscharbeiten erheblich. Aber es gibt noch ein weiteres Problem: den Mangel an Löschwasser. Bauern fahren es in Tankanhängern heran, dutzende Wasserwerfer der Polizei schießen Millionen Liter Wasser auf den brennenden Waldboden, Hubschrauber mit großen Löschbehältern holen es aus Seen, Flüssen und Freibädern und werfen es über dem brennenden Wald ab. Der Wind trägt den Qualm bis nach Berlin und Sachsen.

Mit Panzern und Schneisen gegen die Flammen

"Wir gehen jetzt aus der Verteidigung in den Angriff über", kündigt Brigadegeneral Gerd Josef Kropf, Kommandeur des Landeskommandos Mecklenburg-Vorpommern, an Tag drei nach dem Ausrufen des Katastrophenalarms an. Die Räumpanzer fräsen immer mehr Schneisen und Brandschutzstreifen in den Wald. Bald durchzieht ein Schneisennetz von 120 Kilometern Länge das Brandgebiet. Die Maßnahmen zeigen Wirkung.

"Wir haben hier Krieg geführt"

Nach sechs Tagen ist der Brand schließlich unter Kontrolle. "Wir haben hier Krieg geführt", sagt Landrat Sternberg. Nach und nach werden die Evakuierungen der Ortschaften aufgehoben. Die Erleichterung bei den Bewohner ist riesengroß: Die Dorfbewohner können in ihre Häuser zurückkehren und bedanken sich mit einer Feier bei den erschöpften Helfern. In seiner größten Ausdehnung hatte das Feuer eine Fläche von 1.200 Hektar erfasst - dreimal so groß wie Helgoland. Bis das letzte Glutnest aus ist, wird es noch Wochen dauern. Doch der unermüdliche Einsatz hat sich gelohnt: Kein Mensch wurde verletzt, kein Haus brannte ab. 20 Millionen Euro hat der Einsatz der Feuerwehren, der Polizei, der Bundeswehr und der anderen Helfer gekostet. Nach anfänglichen Unstimmigkeiten ist keine der betroffenen Kommunen auf den Einsatzkosten sitzengeblieben.

Deutlich sichtbare Spuren

Heute, ein Jahr später, sieht der Wald bei Lübtheen an vielen Stellen ganz anders aus. An vielen Kiefernstämmen sind noch bis zu zwei Meter hohe Rußspuren zu sehen. In dem nach dem Abzug der Bundeswehr zum Nationalen Naturerbe erklärten Areal soll nach dem Brand widerstandsfähigerer Mischwald entstehen - weitgehend ohne menschliches Zutun. Doch das wird dauern.

Neue Tiefbrunnen, Rodungen, verbreiterte Panzerringstraße

Feuerwehrleute löschen in der Nähe der evakuierten Ortschaft Alt Jabel einen großflächigen Waldbrand. © dpa Zentralbild Foto: Jens Büttner
Bis zu 3.200 Einsatzkräfte haben in Spitzenzeiten das Feuer bekämpft.

Bereits angelegt wurden breite, gerodete Schutzstreifen. Die knapp 30 Kilometer lange frühere Panzerringstraße wurde von Forstleuten von sechs auf gut 30 Meter verbreitert. Der vegetationslose Streifen wirkt als Brandschutzschneise, falls wieder ein Feuer ausbricht. Zudem wurden auf dem gesamten Manövergelände 13 Tiefbrunnen angelegt. Tief in die Tasche hat auch das Land Mecklenburg-Vorpommern gegriffen, um die Feuerwehren mit besserer Löschtechnik auszustatten. Zudem soll ein landesweites Waldbrandschutzkonzept mit einem automatisierten, kameragestützten Branderkennungssystem helfen, Feuer künftig schneller zu erkennen.

Vier Prozent der Landesfläche von MV sind munitionsbelastet

Das Problem mit der Alt-Munition ist nicht so einfach zu lösen. Allein bei Lübtheen dürften Hunderte Tonnen davon im Boden liegen. Große Teile des Übungsplatzes müssen noch lange für Pilzsammler und Naturfreunde gesperrt bleiben. In ganz Mecklenburg-Vorpommern gelten 38.000 Hektar Fläche als munitionsbelastet, das sind vier Prozent der Landesfläche. Das meiste davon ist Wald. Das Räumen wird noch sehr lange dauern.

"Das Ehrenamt ist in den Fokus gerückt"

"Wir sind heute besser aufgestellt als vor einem Jahr", sagt Lübtheens Wehrführer Blohm ein Jahr nach dem großen Feuer. Besonders wichtig ist ihm, dass die Ausrüstung der Wehren verbessert wird. "Das geht sicher nicht von heute auf morgen, aber der Anfang ist gemacht." Und noch etwas Positives kann Blohm den Ereignissen vom Sommer 2019 abgewinnen: "Das Ehrenamt ist in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Das hat man nicht zuletzt an all der Hilfsbereitschaft und Anerkennung gesehen."

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | 29.06.2020 | 20:00 Uhr

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