Poster von Bashar Al-Assad in der Stadt Damaskus am 24.03.2023. © picture alliance / ANE / Eurokinissi | Christos Bonis / Eurokinissi

Teterow: Flüchtlingshelferin mit Nähe zum syrischen Regime

Stand: 18.03.2024 14:15 Uhr

Eine engagierte Sozialarbeiterin aus Syrien, die bei Teterow in einer Flüchtlingsunterkunft arbeitet - eigentlich eine Erfolgsgeschichte. Doch NDR Recherchen zeigen, dass es sich bei der Frau um eine frühere Funktionärin des syrischen Regimes handelt. Außerdem war sie in einer Hamas-nahen Organisation aktiv, die auf verschiedenen Sanktionslisten steht. Hierzulande knüpft die Frau Kontakte bis in die Bundespolitik.

von Hannes Stepputat, Reiko Pinkert und Amir Musawy

Ende Februar lädt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), zum Empfang ins Bundeskanzleramt. Rund 120 Frauen, die zum Thema "Frauen, Flucht, Diaspora" ausgewählt wurden, sind eingeladen. Zum Fototermin in der ersten Reihe, zwei Plätze neben Staatsministerin Alabali-Radovan, steht eine Frau aus Mecklenburg-Vorpommern: Amal E. Die 56-Jährige kommt aus Syrien und arbeitet in einer Flüchtlingsunterkunft bei Teterow als Sozialarbeiterin. Sie spricht Deutsch, arbeitet als Dozentin, Dolmetscherin und Beraterin und ist auch in mehreren Vereinen aus dem Migrationsbereich aktiv. Bei ihrer Arbeit hat E. auch Kontakt zu anderen Syrern, die vor dem Krieg, aber auch vor Verfolgung durch das Regime von Diktator Baschar Al-Assad geflohen sind.

Regime angeblich für Tausende Tote verantwortlich

Doch für dieses Regime, Assads herrschende Baath-Partei, hat die heutige Sozialarbeiterin E. selbst gearbeitet - auch nach dem gescheiterten Aufstand gegen Assad 2011 und im darauffolgenden Bürgerkrieg. Das Syrische Netzwerk für Menschenrechte geht davon aus, dass regimetreue Truppen allein für mehr als 200.000 getötete Zivilisten in Syrien verantwortlich sind. Weit über Zehntausend seien in Gefängnissen und Lagern zu Tode gefoltert worden, von mehr als 96.000 Menschen fehle jede Spur. Die Zählungen des Netzwerks gelten als konservativ, die tatsächlichen Zahlen könnten deutlich höher liegen. Das Auswärtige Amt schreibt in seinem aktuellen Lagebericht, dass Kritiker in Syrien noch heute systematisch verfolgt werden, die Menschenrechtslage unter dem Assad-Regime sei katastrophal.

Amal E. weist die Vorwürfe zurück

Dem NDR sagte Amal E., dass sie ihre Parteiämter 2015 niedergelegt habe und zunächst in den Libanon geflohen sei. Zuvor sei sie in Syrien bedroht worden, offenbar von Islamisten, unter anderem, weil sie kein Kopftuch trug. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht. Ihre Aufgabe in der Partei sei es gewesen, Frauen bei der "Integration in die Gesellschaft zu unterstützen", sagte E. weiter. Fotos, die von einem syrischen Oppositionsmedium veröffentlicht wurden, zeigen sie allerdings bereits während des Bürgerkriegs, wie sie zusammen mit Soldaten eine Vorführung einer paramilitärischen Miliz der Partei abnimmt. E. hat dem NDR bestätigt, dass sie auf diesen Bildern zu sehen ist.

Ämter 2015 angeblich niedergelegt

Weitere Fotos belegen, dass sie auch in der Führung einer Organisation tätig war, die auf Sanktionslisten Israels und der USA steht: die Al-Quds International Foundation. Das US-Finanzministerium stuft die Organisation mit Hauptsitz im Libanon als von der Terrorgruppe Hamas kontrolliert ein. Im syrischen Zweig der Al-Quds Foundation gehörte Amal E. zum Board of Directors, also so etwas wie dem Vorstand. Auch hier habe sie ihre Ämter 2015 niedergelegt, sagt sie.

An einem Tisch mit Sonderberaterin Assads

Doch daran weckt ein Bericht der Al-Quds Foundation Zweifel: Demnach soll Amal E. noch im März 2019 an einer Vorstandssitzung in der syrischen Hauptstadt Damaskus teilgenommen haben. Zu dieser Zeit lebte sie bereits in Deutschland. Mit am Tisch saß damals noch eine zweite Frau: Bouthaina Shaaban, eine frühere Ministerin unter Assad und heutige Sonderberaterin des Diktators. E. bestreitet, 2019 nochmal in Syrien gewesen zu sein. Das Foto, mit dem der Artikel bebildert ist und das sie, Shaaban und weitere Offizielle der Al-Quds Foundation zeigt, sei in Wirklichkeit älter und irgendwann vor 2018 aufgenommen worden. Ob das stimmt, lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen. 

Bundeskanzleramt: Von früherer Tätigkeit war nichts bekannt

Eine Sprecherin der Integrationsbeauftragten Alabali-Radovan vom Bundeskanzleramt erklärte auf Anfrage des NDR, dass Amal E. auf Vorschlag eines niedersächsischen Vereins eingeladen wurde. Von den früheren Funktionen E.s habe man nichts gewusst. "Hätten wir diese Erkenntnisse vor der Veranstaltung gehabt, hätten wir Frau E. nicht eingeladen", schrieb die Sprecherin. Auch die Malteser, die das Flüchtlingsheim betreiben, in dem E. arbeitet, erklärten, von ihrer Vergangenheit nichts gewusst zu haben. Man nehme die Vorwürfe sehr ernst und werde ihnen nachgehen.

"Opfer missgünstiger Syrer"

Eine Sprecherin des Innenministeriums in Schwerin sagte, dass Geflüchtete von den Sicherheitsbehörden nur auf terrorismusrelevante Erkenntnisse überprüft würden. Andere Tätigkeiten, wie für das syrische Regime, würden nicht abgefragt. Darüber hinaus wollte sich die Sprecherin mit Blick auf den Datenschutz nicht äußern - auch nicht dazu, wie das Ministerium es bewertet, dass eine ehemalige Regime-Funktionärin nun auf Syrer trifft, die vor eben jenem Regime geflohen sind. Amal E. selbst hat dem NDR mehrere lange Chat-Nachrichten geschrieben. Darin stellt sie sich sinngemäß als Opfer missgünstiger anderer Syrer dar. Die Auseinandersetzung mit den Vorwürfen über ihre Aktivitäten in Syrien, auch Fragen von Journalisten, seien sehr schmerzvoll und belastend für sie. Bedauern oder eine Distanzierung vom syrischen Regime äußerte sie nicht.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 18.03.2024 | 18:15 Uhr

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