"Wir saufen ab!" - Kliniken im Land warnen vor großem Krankenhaussterben

Stand: 20.09.2023 17:34 Uhr

Die Krankenhäuser in Deutschland, aber auch in Mecklenburg-Vorpommern, schlagen Alarm. Die Inflation treibe die Kosten, Tarifsteigerungen würden nicht refinanziert. In den Häusern wächst die Angst vor Krankenhauspleiten und Lücken in der Patientenversorgung.

von Louisa Maria Carius

Kosten für Energie, Wasser und Abwasser - plus zehn Prozent. Die Kosten für den medizinischen Bedarf und Personal - plus zwölf Prozent, klagt Gudrun Kappich, die Geschäftsführerin des Dietrich-Bonhoeffer-Klinikums Neubrandenburg: "Wir werden mit den deutlichen Kostensteigerungen alleingelassen. Das bringt uns in eine schwierige wirtschaftliche Lage." Deswegen fordert sie einen Ausgleich der durch die Inflation extrem gestiegenen Kosten. Die Bundesregierung verweigere diesen Ausgleich bislang jedoch, so Kappich. Hinzu kämen deutliche Mehrausgaben durch Tarifanpassungen, also höhere Löhne. 

Besser bezahltes Personal

Neubrandenburg ist eine der großen Kliniken im Land, ein so genannter Maximalversorger. Doch selbst dort macht man sich Sorgen um die Finanzierung. Während die Ausgaben für Personal um zwölf Prozent gestiegen seien, sei der Landesbasisfallwert nur um vier Prozent angehoben worden, "fehlen also acht Prozent", erklärt Professor Jens-Peter Keil, Ärztlicher Direktor des Dietrich-Bonhoeffer-Klinikums. Die Klinik könne aber nicht den Unfallchirurgen losschicken, damit der sich ein paar Notfälle sucht. "Und wir können auch die Blinddarmoperation nicht einfach zehn Prozent teurer machen - die Preise sind ja bundesweit festgelegt." 

Große Krankenhausreform geplant

Die Bundesregierung plant derzeit eine große Krankenhausreform. Unter anderem soll die Finanzierung neu gestaltet werden. Kliniken sollen sich künftig nicht nur über die DRGs, die diagnosebezogenen Fallgruppen, finanzieren, sondern auch Geld dafür erhalten, dass sie Personal und Technik 24 Stunden am Tag bereithalten. Expertinnen und Experten begrüßen diesen Schritt. Die Reform kommt jedoch frühestens 2024, und es könnte Jahre dauern, bis das Gesundheitssystem und die Krankenhauslandschaft umgebaut sind. Diese Zeit hätten die Krankenhäuser im Land aber nicht, so Uwe Borchmann, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft MV (KGMV). 

"Die Zeit läuft davon": Krankenhäuser in MV machen Verluste

Borchmann rechnet vor, dass mehr als 60 Prozent der Krankenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern in diesem Jahr Verluste machen. Insbesondere bei kleineren Trägern sei die Liquiditätslage eng. So eng, dass das Geld nicht bei allen bis 2024 reichen werde. Borchmann fordert von Gesundheitsminister Lauterbach deswegen ein sofortiges Vorschaltgesetz für die Übergangsfinanzierung. Eine Art Überbrückungsgeld bis die Krankenhausreform greift, um Finanzierungslücken zu schließen: "Nur so werden genug Krankenhäuser für eine Reform übrig bleiben." Allerdings hatte Lauterbach schon angekündigt, er wolle kein Geld mehr "mit der Gießkanne" verteilen.

Rücklagen sind aufgebraucht

Die Rücklagen vieler Krankenhausträger seien inzwischen weitgehend erschöpft, die Verschuldung nehme zu. Nötig sei ein dauerhafter Inflationsausgleich, so die KGMV. Unterstützung für diese Forderung erhält die Krankenhausgesellschaft von Mecklenburg-Vorpommerns Gesundheitsministerin Stefanie Drese (SPD). Sie erwarte vom Bund die vollständige Umsetzung des Hilfsprogramms zum Ausgleich gestiegener Energiekosten für Krankenhäuser. Hierfür seien insgesamt sechs Milliarden Euro vorgesehen:  "Ich gehe davon aus, dass die Krankenhäuser den ihnen zustehenden Ausgleich für gestiegene direkte und indirekte Energiekosten vom Bund auch wie geplant erhalten", so Drese. 

Zwei Demonstrations-Teilnehmer versenken ein Krankenhaus aus Pappe im Burgsee vor dem Landtag Mecklenburg-Vorpommerns im Schweriner Schloss. © NDR Foto: Franz Fanter
Die Krankenhausgesellschaft hat ein Krankenhaus aus Pappe im Burgsee am Schweriner Schloss versenkt.
Großer Protesttag - auch in Schwerin

Ministerin Drese unterstützt auch die Forderung der Krankenhäuser, dass die derzeit anfallenden Mehrkosten auskömmlich gegenfinanziert werden, um die Liquidität der Krankenhäuser zu sichern. Auf die Forderung der Landes-Krankenhausgesellschaft nach einem Landesrettungsschirm oder einem Fonds, um "unkontrolliertes Krankenhaus-Sterben" zu verhindern, geht sie jedoch nicht ein. Bundesweit - so auch in Schwerin - haben heute Klinik-Beschäftigte protestiert, um mehr Geld für ihre Häuser zu fordern: einen Inflationsausgleich und die vollständige Refinanzierung der Tariferhöhung. Sollte der Bund nicht handeln, so warnt die Krankenhausgesellschaft, werde es zu Krankenhauspleiten und Lücken in der Patientenversorgung kommen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 20.09.2023 | 06:00 Uhr

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