Patrick Bauer mit einer Schülerin © NDR Foto: Paula Deusing

Kitesurfen für Menschen ohne Gehör auf der Rügeninsel Ummanz

Stand: 13.09.2024 15:56 Uhr

Menschen, die nicht oder nur schlecht hören, können vielleicht ein paar Sachen nicht. Aber sie können sie lernen. Auf der Rügeninsel Ummanz wird seit einiger Zeit Kiten in Gebärdensprache unterrichtet.

von Juliane Voigt

Wer will schon nach Hawaii wenn UMMAII doch so nahe liegt? UMMAII - der Name kommt aus irgendeiner Fantasy-Südsee-Sprache und bedeutet - keine Ahnung. Wie dem auch sei: Der Ort ist schon lange das Surfer-Paradies des Nordens. In Suhrendorf auf Ummanz wird gefeiert und gecampt, gesurft und gekitet. Und wer es nicht kann, lernt es spätestens hier, in allen möglichen Sprachen. Seit 2018 sogar in Gebärdensprache. "DeafVentures", so heißt diese besondere Wassersport-Schule.

Wörter erfinden, die es gar nicht gibt

Der gehörlose Surflehrer Patrick Bauer sitzt mit einer Schülerin an einem Holztisch in der Kiteschule "DeafVentures", deren Leitung er auch inne hat. © Screenshot
Der gehörlose Surflehrer Patrick Bauer erklärt einer Schülerin worauf es beim Kiten ankommt.

In diesem Jahr hat Patrick Bauer die Leitung der Kite-Schule übernommen. Seit 2019 ist er zertifizierter Kitesurf-Lehrer. Weltweit wohl einer von zwei, die selbst gehörlos sind. Patrick seit seiner Geburt. Mit Hilfe eines speziellen Hörgeräts kann er aber trotzdem etwas hören und hat dadurch die Lautsprache erlernt. Für seinen speziellen Lehrauftrag musste er auch einige Vokabeln erfinden. "Wir unterrichten ja in Gebärdensprache. Aber viele Begriffe, die es im Kitesport gibt, kommen aus dem Englischen. Und die muss ich dann irgendwie ins Deutsche übersetzen, also zum Beispiel 'back roll' oder 'front roll'. Da muss man dann überlegen, wie kann man das in Gebärdensprache zeigen," erklärt Bauer.

Trotz Sturmböen ein gutes Gefühl

Wenn er nicht gerate Kiten unterrichtet, ist Bauer IT-Berater in Köln. In den Sommermonaten leitet er die Ummanzer Kite-Schule für Gehörlose. Wie jede Sprache ist auch die Gebärdensprache von Land zu Land unterschiedlich. Je nach Region gibt es sogar verschiedene Dialekte. Sabine Holle zum Beispiel stammt vom Bodensee. Sie ist taub seit ihrer Geburt. Auf der Rügeninsel Ummanz will sie jetzt Kiten lernen. "Gestern haben wir angefangen, und da dachte ich: Oh ja, wow, es ist ganz schön stürmisch. Da war ich schon sehr beeindruckt von dem Wind hier. Als wir dann einfach angefangen haben zu üben, da dachte ich: Ok, es klappt trotzdem ganz gut. Ich kann das lernen und hatte einfach ein positives Gefühl."

Gefördert von der Bundesregierung

Gegründet haben die Ummanzer Schule Marie Kohlen und Pia Boni. 2018 hatten die beiden Frauen die Idee. Eine Förderung der Bundesregierung ermöglichte ihnen, zwei Gehörlose zu Kitelehrern auszubilden - einer von ihnen ist Patrick Bauer. Marie Kohlen ist selbst Gebärdensprachen-Dolmetscherin. "Eigentlich war unser langfristiges Ziel, dass 'DeafVentures' irgendwann wirklich von Tauben für Taube ist. Dann haben wir Patrick und Konstantin gefragt, ob nicht einer von beiden sich das Ganze vorstellen könnte, aso die Aufgabe auf Dauer zu übernehmen."

Wahrscheinlich die einzige Kiteschule für Gehörlose

"DeafVentures" ist, soweit sich das überblicken lässt, weltweit die einzige Kiteschule für Gehörlose. Etwa zehn Schülern bringt der 37-jährige Kitelehrer jährlich die Wassersportart bei. Die Nachfrage ist deutlich höher. Aber Patrick Bauer will für jeden und jede auch die größtmögliche Aufmerksamkeit haben. "Ich habe Sabine gerade das dreistufige Sicherheitssystem beigebracht. Beim Kiten haben wir ein außergewöhnlich gutes Sicherheitssystem: Die 'bar' loslassen, das 'quick release' auslösen und das 'safety' auslösen."

Inklusion klappt auch im Extremsport

In Deutschland sind etwa 80.000 Menschen gehörlos. Bei Extremsportarten sind die barrierefreien Angebote ziemlich überschaubar. Patrick Bauer weiß, wie wichtig seine Arbeit ist: "Im Moment ist es so, dass sehr viele Gehörlose zu uns kommen und uns sagen, dass sie schon einmal bei einer Kiteschule für hörende Menschen waren. Sie haben dort aber gemerkt, dass sie oft abgelehnt werden, weil die Kitelehrer nicht mit ihnen kommunizieren können." Für das kommende Jahr plant Patrick Bauer ein einwöchiges Camp für Taub-Blinde. Das ist dann nur mit einer begrenzten Teilnehmerzahl möglich, weil jeder eine eigene Betreuung benötigt. Weitere Wassersportarten für Gehörlose bietet er übrigens auch an. 40 Anmeldungen hat er bereits.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 13.09.2024 | 17:15 Uhr

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Landkreis Vorpommern-Rügen

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