Kirchenasyl gebrochen: Kritik nach Abschiebeversuch durch Polizei in Schwerin

Stand: 21.12.2023 15:45 Uhr

Bei einer versuchten Abschiebung von zwei afghanischen Männern ist es am Mittwoch in Schwerin zu einem größeren Polizei-Einsatz gekommen. Nachdem bereits Flüchtlingsrat und Nordkirche das Vorgehen heftig kritisiert hatten, haben sich jetzt auch Landespolitiker und die zuständige Ausländerbehörde der Landeshauptstadt Kiel dazu geäußert.

Mit einem Großaufgebot und Spezialkräften hat die Polizei am Mittwochmorgen in Schwerin den Widerstand gegen eine geplante Abschiebung beendet. Wie eine Polizeisprecherin sagte, hatte sich eine sechsköpfige Familie in der Wohnung einer Kirchengemeinde verschanzt, als Polizisten die Abschiebung von zwei jungen Männern im Alter von 18 und 22 Jahren durchsetzen wollten.

Weitere Informationen
Polizeieinsatz in Schweriner Kirchgemeinde wegen eines eskalierten Abschiebeversuchs. © dpa-Bildfunk Foto: Bernd Wüstneck/dpa
1 Min

Kirchenasyl gebrochen: Kritik nach Abschiebeversuch durch Polizei in Schwerin

Nordkirche, Flüchtlingsrat und Politik kritisierten das Vorgehen der Polizei. Erstmals sei in MV das Kirchenasyl gebrochen worden. 1 Min

Familie stellt Kirchenasyl nach gescheitertem Asylantrag

Die sechsköpfige Familie war im Mai über Spanien nach Deutschland eingereist. Ein Asylantrag wurde nach Prüfung der Unterlagen für zwei junge Männer der Familie abgelehnt. Laut Angaben der zuständigen Ausländerbehörde in Kiel reichte die Familie daraufhin am 1. Dezember das Kirchenasyl beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein. Auch nach erneuter Prüfung wurde der Asylantrag am 13. Dezember erneut vom BAMF abgelehnt.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat [...], entsprechend der Dublin III-Verordnung, Überstellungen für alle Familienmitglieder nach Spanien entschieden. [...] Auf die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise wurde hingewiesen, Zusagen Spaniens für die Wiederaufnahme aller Familienmitglieder liegen vor. Ausländerbehörde der Landeshauptstadt Kiel

Mutter versuchte ihren Söhnen zu helfen

Die afghanische Familie stand unter Kirchenasyl der evangelischen Petrusgemeinde im Schweriner Stadtteil Mueßer Holz. Die Mutter - laut Angaben der Nordkirche eine Journalistin und Frauenrechtlerin - hatte versucht, die Abschiebung ihrer Söhne zu verhindern. Sie hatte gedroht, sich oder ihren Kindern etwas anzutun. Aufgrund dieser Lage hatte die Polizei Spezialkräfte angefordert.

Abschiebung vorerst ausgesetzt

Nach Informationen des Flüchtlingsrates wurde die Abschiebung im Zuge des Polizeieinsatzes zunächst ausgesetzt. Die Polizei bestätigte mittlerweile, dass die beiden Männer zunächst nicht abgeschoben worden seien. Am Donnerstag bestätigte das zuständige schleswig-holsteinische Integrationsministeriums, dass die Stadt Kiel das sogenannte Amtshilfeersuchen zur Rückführung der Familie zurückgezogen hat.

Flüchtlingsrat: "Rote Linie überschritten"

Nordkirche und der Flüchtlingsrat in Mecklenburg-Vorpommern kritisierten das Vorgehen der Behörden scharf. Erstmals sei im Land durch die Polizei ein Kirchenasyl gebrochen und somit eine rote Linie überschritten worden, hieß es in einer Mitteilung des Flüchtlingsrates.

Die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Dietlind Jochims, bezeichnete die versuchte Abschiebung auf NDR MV Live als besorgniserregend. Es sei ein Novum, dass in Mecklenburg-Vorpommern in ein Kirchenasyl eingedrungen wurde. Jochims erwartet von der Ausländerbehörde, dass sie den vom Staat bekundeten Respekt vor dem Kirchenasyl einhält.

Kirchenasyl nicht mehr sicher

Die Grünen-Landtagsabgeordnete und migrationspolitische Sprecherin Constanze Oehlrich fordert, die Familie vor weiteren Abschiebeversuchen zu schützen. Oehlrich unterstützte die Kritik vom Flüchtlingsrat, dass Menschen im Kirchenasyl sich nun nicht mehr sicher fühlen können. Der Fraktionschef der Landes-CDU, Franz Robert Liskow, sagte, die Polizei habe nach seinem Eindruck korrekt gehandelt. Das Asylrecht dürfe nicht missachtet werden.

Weitere Informationen
Menschen stehen auf der Insel Lampedusa in einer Reihe. © Cecilia Fabiano/LaPresse/AP/dpa

Asylsystem in Deutschland: Fragen und Antworten

Abschiebung, Ausreisepflicht, Dublin-Abkommen - worüber reden die Politiker eigentlich genau? Hintergründe und Erklärungen zu aktuellen Debatten. mehr

25 Menschen in MV im Schutz der Kirche

Ob die beiden jungen Männer abgeschoben werden, müsse neu geprüft werden, so eine Polizeisprecherin nach dem Einsatz am Mittwoch. Laut Nordkirche wurde bis Ende November 25 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern Kirchenasyl gewährt, das sind mehr als doppelt so viele wie im gesamten vergangenen Jahr. Beim Kirchenasyl handelt es sich um eine traditionell stille Übereinkunft zwischen Kirche und Staat.

Weitere Informationen
Ein Polizeiauto steht vor einem Haus. Im Zusammenhang mit einer geplanten Abschiebung gibt es in einer Kirchengemeinde in Schwerin am Mittwochmorgen einen größeren Polizeieinsatz. © dpa-Bildfunk Foto: Frank Pfaff

Polizeieinsatz in Schweriner Kirchengemeinde: Abschiebeversuch eskaliert

Der Flüchtlingsrat kritisierte das Vorgehen der Polizei. Erstmals sei in MV das Kirchenasyl gebrochen worden. mehr

Die Ausländerbehörde Nordwestmecklenburgs in Wismar von außen. Ein moderner, heller Bau mit vielen Fenstern, davor ein kleiner, asphaltierter Platz mit einem in Beton eingefassten, kahlen Bäumchen. © NDR Foto: NDR

"Wir haben erheblichen Druck": Ausländerbehörden im Land überlastet

Ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde Nordwestmecklenburgs am Standort Wismar ist aktuell im Schnitt für 1.000 Menschen zuständig. mehr

Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 21.12.2023 | 19:30 Uhr

Mehr Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern

Philipp Amthor ©  Jens Büttner/dpa Foto:  Jens Büttner/dpa

CDU MV bestimmt Amthor mit 96,6 Prozent für Landesliste

In rund zehn Wochen wird ein neuer Bundestag gewählt. Die Partei hat heute ihre Landesliste mit Kandidaten festgelegt. mehr

Die Applikation App WhatsApp ist auf dem Display eines Smartphones zu sehen. © picture alliance/dpa Foto: Silas Stein

Im Handy abonnieren: Die NDR MV Nachrichten bei Whatsapp

Im NDR MV Whatsapp-Kanal gibts die wichtigsten Themen für Mecklenburg-Vorpommern kompakt und schnell zusammengefasst. extern