Fischsterben in der Oder: Proben aus dem Haff entnommen - Ergebnisse am Montag
Ein Fischsterben im Grenzfluss Oder sorgt nicht nur in Brandenburg und Polen für Besorgnis. Landesumweltminister Backhaus geht auch von Auswirkungen für MV aus. Es wird davon ausgegangen, dass die Schadstoffe den polnischen Bereich des Stettiner Haffs bereits erreicht haben. Proben wurden entnommen, Ergebnisse sollen am Montag vorliegen.
Seit einigen Tagen treiben unzählige tote Fische in der Oder, die derzeit nur wenig Wasser führt. Wie viele es sind, darüber gibt es keine Angaben. Die ersten toten Fische wurden Ende Juli flussaufwärts in Polen entdeckt. Mittlerweile wurden auch tote Fische auf Höhe Frankfurt/Oder und Schwedt entdeckt. Knapp 100 Kilometer nördlich mündet die Oder ins Stettiner Haff, das mit Usedom und der Ostsee verbunden ist.
Backhaus: Müssen in nächsten Stunden mit ersten Kadavern rechnen
In Mecklenburg-Vorpommern wurden die zuständigen Behörden in Alarmbereitschaft versetzt. Das Umweltministerium geht davon aus, dass die Welle der Schadstoffe die Odermündung in das Oderhaff bei Szczecin bereits erreicht hat. "Die aktuelle Situation ist so, dass wir gerade Proben nehmen aus dem Haff", sagte Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Till Backhaus (SPD) am Sonnabendmittag im Interview mit dem NDR in MV. Bislang seien noch keine toten Fische angeschwemmt worden. "Aber wir müssen damit rechnen, dass in den nächsten Stunden die ersten Kadaver auftauchen und letztendlich damit auch die Welle mit dem verunreinigten Wasser Mecklenburg-Vorpommern treffen wird", so Backhaus weiter. Die Laborergebnisse der Proben würden am Montagvormittag erwartet. Backhaus übte zudem scharfe Kritik am Bund und warf Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) Untätigkeit vor. Es gebe "ernstzunehmende Hinweise, dass es einen Chemieunfall in Polen gegeben haben soll", aber die betroffenen Länder seien vom Bund überhaupt nicht darauf eingestellt worden. Das Bundesumweltministerium teilte mit, dass am Freitag ein enger Informationsaustausch mit Polen vereinbart worden sei.
Umweltministerium MV rät zur Vorsicht
Backhaus empfahl, auf das Angeln und Fischen im Kleinen Haff zu verzichten sowie auf die Nutzung von Wasser aus dem Kleinen Haff (zum Beispiel für Bewässerung, Viehtränke, Kontakt durch Nutz- und Haustiere). Das weitere Geschehen werde nun genau verfolgt. Zunächst müsse aber die Ursache für das Fischsterben zweifelsfrei geklärt werden, so Backhaus. Erst dann könnten geeignete Maßnahmen eingeleitet werden. Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Sascha Müller-Kraenner, sagte bei NDR 1 Radio MV, es sollte geprüft werden, ob vor den Schutzzonen im Stettiner Haff Barrieren aufgebaut werden könnten, damit dort keine Schadstoffe eindringen. Es drohe am Haff ein Sterben von Fischen, Bibern und Seevögeln.
Fischsterben: Erhöhte "Salzfrachten" nachgewiesen
Noch immer ist nicht geklärt, warum so viele Fische in der Oder gestorben sind. Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) teilte am Freitagabend mit, dass die Oder "sehr stark erhöhte Salzfrachten" aufweist. Das sei "absolut atypisch" und könnte im Zusammenhang mit dem Fischsterben stehen. Bei Salzfrachten handelt es sich um im Wasser gelöste Salze.
Dem Ministerium zufolge sei dies aber nicht die einzige Ursache. Die Ergebnisse seien "noch nicht voll aussagefähig und nicht abschließend", hieß es von Vogel weiter. Die Proben aus dem Fluss müssten weiter analysiert, möglicherweise erhöhte Quecksilberwerte weiter untersucht werden. Zuvor waren diese bei einer ersten Untersuchung in den Wasserproben nachgewiesen worden. Dabei könne es sich laut Vogel aber um lokale Erscheinungen handeln.
Laut Bundesumweltamt ist Quecksilber für Menschen und Tiere giftig. Der Stoff kann vom Organismus nicht ausgeschieden werden und reichert sich im Körper an.
Kombination aus mehreren Faktoren?
Vogel zufolge ist eine Kombination von mehreren Faktoren wie etwa Hitze, geringe Wasserführung und Giftstoffen wahrscheinlich: "Es kann durchaus sein, dass es sich hierbei um Stoffe handelt, die lange schon in die Oder eingebracht wurden, aber normalerweise bei Mittelwasser überhaupt kein Problem darstellen." Aktuell gebe es aber historische Niedrigwasserstände an der Oder. Solche geringen Wassermengen würden dazu führen, dass jeder Stoff im Wasser in einer höheren Konzentration vorliegt, so der Umweltminister.
Brandenburg: Hunderte Helfer im Einsatz
Die Landrätin des Landkreises Uckermark der im Norden Brandenburgs an MV angrenzt, Karina Dörk, sagte, das Gebiet entlang der Oder werde mit Drohnen überflogen, um zu sehen, wie sich das Fischsterben weiter entwickle. In Brandenburg begannen am Sonnabend Hunderte Helfer, tote Tiere einzusammeln. "Ich rechne mit mehreren Tonnen Fisch, die wir rausholen", sagte Thomas Rubin für die Kreisverwaltung Märkisch-Oderland. Dort seien auf rund 80 Kilometern Länge etwa 300 Helfer vor allem am Ufer unterwegs. Die Bürgermeisterin der Stadt Schwedt an der Oder, Annekathrin Hoppe (SPD), sagte im rbb-Inforadio, die Helfer seien beim Einsammeln mit Schutzanzügen ausgerüstet. Es sei davon auszugehen, dass dort gesundheitsgefährdende Stoffe für den Menschen vorhanden seien.
Greenpeace-Experte warnt vor dramatischen Folgen
Manfred Santen, Chemie-Experte bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace, sagte bei NDR MV Live, dass Quecksilber hochgiftig sei und zu Nervenschädigungen bei Mensch und Tier führen könne. Santen schloss dramatische Folgen durch die Giftstoffe im Fluss nicht aus. Zunächst gelte es aber, dass kein weiteres Quecksilber in den Fluss eingeleitet wird.
Ein Problem sei, dass sich das Quecksilber durch die Nahrungskette von Tier zu Mensch verbreiten könne. "Man muss den Verzehr von Fisch unverzüglich unterbinden", so Santen. Inwieweit das toxische Oder-Wasser auch eine Bedrohung für das Stettiner Haff sei, könne er nicht sagen. Dazu fehlten ihm die Daten. Wichtig sei es nun, Messungen durchzuführen. Denn das kontaminierte Wasser werde das Stettiner Haff bald erreichen.
Dort, in Altwarp, gab sich Fischer Reinhard Frenz noch gelassen. "Im Moment machen wir uns keine Sorgen", sagte Frenz am Freitag bei NDR MV Live. Bislang seien noch keine Auswirkungen der Vergiftung erkennbar. Sollte allerdings ein Fischfangverbot erteilt werden, wie dies in Brandenburg geplant ist, sehe er für die wenigen verbliebenen Fischer am Stettiner Haff schwarz.
Polen lobt hohe Belohnung für Hinweise aus
Nach Aussagen von Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki ist das Fischsterben durch die Einleitung von Chemie-Abfällen ausgelöst worden. "Es ist wahrscheinlich, dass eine riesige Menge an chemischen Abfällen in den Fluss gekippt wurde, und das in voller Kenntnis der Risiken und Folgen", sagte Morawiecki in einer am Freitag auf Facebook veröffentlichten Videobotschaft. In Polen wurde inzwischen eine Belohnung in Höhe von umgerechnet rund 210.000 Euro für Hinweise zum Verursacher ausgelobt.
Unfall in Toilettenpapierfabrik bei Breslau als Auslöser?
Bei einem Unfall Ende Juli in einer Toilettenpapierfabrik südlich von Breslau könnten die Giftstoffe in den Fluss geflossen sein. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen. Morawiecki nannte die Verschmutzung einen "Skandal". Politiker aus Brandenburg kritisierten, dass sie von ihren polnischen Kollegen nicht über die Kontaminierung des Flusses informiert worden seien. Sie warnen die Bevölkerung dringend vor Kontakt mit dem Wasser. Kadaver sollen eingesammelt und verbrannt werden. Umweltschützer wiesen darauf hin, dass auch Flusskrebse und Insektenlarven vergiftet worden seien. Auch Vögel, die die toten Tiere fressen, dürften betroffen sein.