Friedensforscherin im Interview: Wie zeitgemäß sind Ostermärsche?
An diesem Wochenende wird es wieder Ostermärsche geben: In fast 30 Städten und Gemeinden im Norden wird dazu aufgerufen, für den Frieden auf die Straße zu gehen. Die Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff meint, dass sich die Bewegung fragen müsse, wie sich unbedingter Pazifismus mit einer militärischen Bedrohungssituation vereinbaren lässt.
Auch in diesen Zeiten bleibt für viele Menschen die uralte und simple Forderung der Ostermärsche relevant und treibt sie auf die Straße - allerdings längst nicht mehr so viele wie zu Hochzeiten. Im Interview mit NDR Info erläutert Politologin Nicole Deitelhoff, Vorständin des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung, vor welchen Herausforderungen die Friedensbewegung steht.
Frau Deitelhoff, Sie haben ja schon vor fast zehn Jahren gefordert, Ostermärsche müssten sich erneuern. Wie definieren Sie denn heute eine zeitgemäße Friedensbewegung?
Nicole Deitelhoff: Diese alte Forderung ist immer noch aktuell. Wir erleben ja Zeiten, in denen wir wieder einer militärischen Bedrohung ausgesetzt sind. Wir haben es in unserer Nachbarschaft mit einem Aggressor zu tun, der territoriale Grenzen nicht akzeptiert und sehr offen mit der militärischen Karte spielt. Das bringt uns in eine Situation, wo wir uns um unsere Sicherheit kümmern müssen. Und das sind wir nicht mehr gewöhnt. Auch die Ostermärsche beziehungsweise die Friedensbewegung, die dahintersteht, muss sich mit diesen Fragen auseinandersetzen. Unbedingter Pazifismus, also "Nieder mit den Waffen!", ist natürlich eine wichtige Forderung, aber gleichzeitig muss sich die Bewegung fragen, wie sich das mit einer militärischen Bedrohungssituation vermitteln lässt.
In der Ukraine-Debatte wurden Pazifisten oft als naiv oder gar realitätsfern kritisiert. Aber wie lässt sich für Frieden demonstrieren und das ausblenden? Wo ist da der Realitätssinn?
Deitelhoff: Es läuft ja eine Debatte darüber, was wir eigentlich für unsere Sicherheit und Verteidigung tun müssen. Im Koalitionsvertrag, aber auch auf der europäischen Ebene reden wir momentan darüber, wo wir aufrüsten müssen. Und das ist tatsächlich wichtig. Natürlich müssen wir unsere Verteidigung organisieren, aber diese Debatten bekommen auch sehr schnell eine gewisse Dynamik, in der wir viele Risiken von Aufrüstung ausblenden. Dafür brauchen wir die Ostermärsche, dass sie immer wieder daran erinnern, dass in Aufrüstung Risiken stecken. Dass Rüstungsspiralen zu Missverständnissen führen können, die dann ganz schnell in den Waffengang führen können. Diese Erinnerung daran, sich Zeit zu nehmen, Risiken und Konsequenzen zu durchdenken, dafür brauchen wir unbedingt die Friedensbewegung.
Frieden wird oft im Spannungsfeld zwischen Diplomatie und Abschreckung verhandelt. Das sehen wir jetzt auch bei mehreren Krisen weltweit. Was sagt da die Friedensforschung? Ist Aufrüstung immer gleich auch Rückschritt?
Deitelhoff: Nein, natürlich nicht. Der Punkt ist, dass Rüstung für sich alleine nichts bewirken kann. Sie muss immer auf ein Ziel ausgerichtet sein. Und sie muss so ausgerichtet sein, dass sie zukünftig den Frieden nicht verhindert. Das heißt, wenn wir rüsten, wenn wir uns militärisch besser ausstatten wollen, dann müssen wir das immer schon mit dem Gedanken tun, das zukünftig auch wieder begrenzen zu können. Wenn wir militärische Fähigkeiten aufbauen, müssen wir überlegen, wo die Mechanismen sind, wie wir mit dem jetzigen Gegner auch wieder in Rüstungskontrolle einsteigen können. Wir müssen uns fragen, wie wir sicherstellen können, dass es nicht zu Missverständnissen kommt und dass nicht alle Kommunikationsfäden abreißen. Diplomatie und Abschreckung wirken im Idealfall gemeinsam auf Frieden hin und nicht auf Krieg.
Oftmals werden Ostermärsche inzwischen auch missbraucht. Wie kann ich feststellen, ob ich bei dem richtigen Ostermarsch mitlaufe?
Deitelhoff: Das ist natürlich extrem schwierig. Und Sie müssen sich keinem Gesinnungstest unterziehen, wenn ie für Frieden auf die Straße gehen. Ich glaube, das ist ganz zentral. Aber natürlich können Sie darauf achten, ob Sie beispielsweise russische Flaggen sehen. Das würde mich persönlich sehr misstrauisch machen und mich auch davon abhalten, mich einem Demonstrationszug anzuschließen. Ansonsten dürfen Sie natürlich jederzeit für Frieden auf die Straße gehen und Sie sollen für Ihre Überzeugung auch einstehen können. Darum geht es nämlich auch bei den Ostermärschen.
Das Interview führte NDR Info Moderatorin Birgit Langhammer
