Studie: Mehr Mediensucht bei Kindern seit Corona-Pandemie

Stand: 14.03.2023 11:17 Uhr

In der Corona-Pandemie ist der Medienkonsum bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland problematisch angestiegen. Nach einer Studie ist Mediensucht für mehr als 2,2 Millionen junge Menschen ein Problem - viele von ihnen sind schon abhängig.

Trockene, juckende Augen, Nackenschmerzen und manchmal auch Schmerzen im Unterarm und an den Händen: Davon haben in einer Studie Kinder und Jugendliche nach längerem Medienkonsum berichtet. Manche machen demnach dennoch immer weiter. Zur Sucht wird das, wenn der Konsum kein Ende findet, wenn Kinder sich vom Freundeskreis zurückziehen und am Ende die Kontrolle über ihr Konsumverhalten über längere Zeit ganz verlieren. Das betrifft nach einer am Dienstag in Berlin vorgestellten Studie der DAK und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) gut 600.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland. Insgesamt rund 2,2 Millionen sind demnach akut gefährdet, mediensüchtig zu werden, oder sind bereits abhängig.

Ein Mikrofon im Studio von NDR 90,3.  Foto: Larissa Gumgowski
AUDIO: Starke Zunahme von Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen (1 Min)

Problematischer Medienkonsum verdoppelt

Seit 2019 habe sich die Zahl derer verdoppelt, die einen problematisch hohen Medienkonsum bei Computerspielen, Streamingdiensten oder im Bereich der Sozialen Netzwerke zeigten, heißt es in der Studie. Mit-Ursache seien auch Einschränkungen während der Corona-Pandemie, die zu einem verstärkten Medienkonsum als Kompensation von Einsamkeit und Stress geführt hätten. Die Studie war vom Marktforschungsinstitut Forsa gemeinsam mit der DAK und dem Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kinder- und Jugendalters am UKE erstellt worden. Dafür wurden den Angaben zufolge 1.200 Familien mit Kindern von 10 bis 17 Jahren zwischen September 2019 und Juli 2022 insgesamt fünfmal befragt, um die Entwicklung zu vergleichen.

Zwei von drei Computerspielsüchtigen sind Jungen

Im Sommer 2022 war der Studie zufolge etwa jedes 16. Kind abhängig von sozialen Medien und Computerspielen. Zwei von drei Computerspielsüchtigen seien Jungen. In sozialen Netzwerken sei das Suchtverhalten unter Mädchen und Jungen etwa gleich verteilt. Ältere Kinder und Jugendliche seien gefährdeter für Suchtverhalten als jüngere, so die Studie. Die Nutzungsdauer sei derzeit an Werktagen um etwa ein Drittel länger als noch vor der Corona-Zeit, erklären die Forscher. Sie liege für Computerspiele durchschnittlich bei etwa zwei Stunden am Werktag und drei Stunden am Wochenende. Soziale Medien würden fast drei Stunden täglich genutzt - am Wochenende sogar fast vier Stunden. Den höchsten Anstieg erreichte die Nutzungsdauer in den Wochen des ersten Corona-Lockdowns im April 2020.

Die Nutzung von Streamingdiensten, die Filme, Serien, Shows und Dokumentationen zeigen, wurde in der Studie seit November 2020 untersucht. Sie erreichte einen Höhepunkt im Mai 2021 mit fast drei Stunden an Wochentagen und vier Stunden am Wochenende. Sie ist seitdem aber wieder rückläufig und liegt jetzt gut ein Drittel unter diesem Wert, heißt es in der Studie.

Mehr Präventionsangebote gefordert

Wie können Eltern und Kinder mit dem Befund umgehen? Der Vorstandsvorsitzende der DAK, Andreas Storm, forderte einen Ausbau von Präventions- und Hilfsangeboten für Betroffene. Wichtig sei auch, "dass Kinder und Jugendliche lernen, die Risiken der Nutzung digitaler Medien einschätzen zu können und ihr Nutzungsverhalten zu reflektieren". Eltern könnten als Vorbilder unterstützen und Kindern auch Grenzen setzen. Die Experten schlagen vor, klare Regeln aufzustellen, die etwa auch in einem "Mediennutzungsvertrag" formuliert werden könnten. Interesse zeigen und Alternativen anbieten, was Kinder und Jugendliche mit ihrer Freizeit sinnvoll anfangen könnten, seien wichtige Hilfestellungen. Dazu müssten Eltern aber ihr eigenes Medienverhalten im Blick haben, sich informieren und frühzeitig erkennen, wann Kinder in problematische Bereiche des Medienkonsums abrutschen. Tipps dazu gibt auch die Internetseite Mediensuchthilfe des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters.

Bundesfamilienministerium plant Projekt

Nicht zuletzt bräuchten sie selbst Hilfsangebote, um ihre Kinder unterstützen zu können. Auch andere Erwachsene - etwa Erzieherinnen und Erzieher und Lehrkräfte - seien gefordert, Kindern und auch Eltern Unterstützung anzubieten. Er befürworte den Einsatz von "Mental Health Coaches" in Schulen, wie dies von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) als begleitende Hilfe für Kinder und Jugendliche beabsichtigt sei, erklärte Storm. Paus hatte im Februar angekündigt, ab dem kommenden Schuljahr im Rahmen eines Modellprogramms ihres Ministeriums solche Coaches einzusetzen, die Kinder und Jugendliche beraten und in akuten Krisen "erste psychische Hilfe" leisten könnten.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 14.03.2023 | 08:00 Uhr

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