Welt der Musik

Musiker, Weltbürger, Friedensstifter: Daniel Barenboim - Ein Genie wird 80

Sonntag, 30. Oktober 2022, 18:00 bis 19:00 Uhr

Daniel Barenboim am Dirigentenpult © picture alliance / Roman Zach-Kiesling / First Look / picturedesk.com | Roman Zach-Kiesling
Klavierunterricht erhielt Daniel Barenboim zunächst von seiner Mutter, später von seinem Vater.

"Er ist wahrscheinlich der größte Musiker unserer Zeit." Dirigenten-Kollege und Freund Zubin Mehta spart nicht mit Superlativen, wenn er über Daniel Barenboim spricht. Auch ein anderer großer Kollege, der 2019 verstorbene lettische Dirigent Mariss Jansons hat seine Bewunderung ausgesprochen: "Er ist für mich eine sehr große Autorität, ein fantastischer Musiker, ein wunderbarer Leiter, er kann seine Ideen durchführen, er kann Leute überzeugen: Er geht, spricht und kriegt!" Und schon 1954 sagte der legendäre Wilhelm Furtwängler: "Der elfjährige Barenboim ist ein Phänomen!" Furtwängler lud den Jung-Pianisten sogar ein, mit den Berliner Philharmoniker zu spielen. Doch der Vater lehnte ab. Die Familie hatte russisch-jüdische Wurzeln. Sie war nach Argentinien emigriert, wo Daniel Barenboim am 15. November 1942 geboren wurde. Die Einladung zu den Berliner Philharmonikern kam dem Vater 1954 nur neun Jahre nach dem zweiten Weltkrieg und der Judenvernichtung in den deutschen Konzentrationslagern zu früh. Doch Wilhelm Furtwängler versorgte den jugendlichen Barenboim mit einem Empfehlungsschreiben, das ihm Türen öffnete.

Mit neun Jahren am Dirigentenpult

Daniel Barenboim war ein pianistisches Wunderkind, seine einzigen Klavierlehrer waren seine Eltern, beide Pianisten. In Argentinien lernte er früh wichtige Musiker kennen, darunter die Dirigenten Sergiu Celibidache und Igor Markewitsch. Bei letzterem studierte Barenboim schon mit 9 Jahren Dirigieren und wurde fortan parallel als Pianist und Dirigent ausgebildet. Die Familie zog 1952 nach Israel, aber schon bald lebte sie mehr in Europa. Daniel Barenboim wurde zum Beispiel Schüler der Pianistin, Dirigentin, Komponistin und Pädagogin Nadia Boulanger in Paris.

Pianist, Dirigent, Schicksalsschlag

In den 1960er-Jahren arbeitete Barenboim mit Dirigenten wie Otto Klemperer oder John Barbirolli zusammengearbeitet, er war weltweit als Pianist gefragt, und als Dirigent wurde er immer mehr tätig. 1967 debütierte er in London mit dem New Philharmonia Orchestra, 1973 leitete er mit Mozarts "Don Giovanni" seine erste Oper und 1975, mit 32 Jahren, wurde Daniel Barenboim musikalischer Direktor des Orchestre de Paris. Seine erste feste Position, weitere sollten folgen: beim Chicago Symphony Orchestra etwa und ab 1992 als Generalmusikdirektor der Staastkapelle und der Staatsoper unter den Linden in Berlin. Diese Position hat er bis heute. Ein Schicksalsschlag war für Daniel Barenboim der Tod seiner ersten Frau, der Cellistin Jacqueline du Pré, die mit nur 42 Jahren an Multipler Sklerose gestorben war. Mit seiner zweiten Frau, der Pianistin Elena Bashkirova hat er zwei Söhne. Einer, Michael, macht Karriere als Geiger.

Man muss den anderen respektieren

Einer von Daniel Barenboims größten Verdienste ist zweifellos die Gründung des West-Eastern Divan Orchestra 1999, gemeinsam mit dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said. Hier spielen arabische und israelische Musiker bis heute zusammen. Barenboim gelang es auch staatliche Mittel von immerhin 20 Millionen Euro zu akquirieren für die Gründung der Barenboim-Said Akademie in Räumen der Staatsoper Berlin. 2017 wurde sie eingeweiht. Der zugehörige Pierre Boulez-Konzertsaal wurde binnen kürzester Zeit zu einer neuen wichtigen Spielstätte in Berlin. Künstler aus der ganzen Welt treten dort auf. Die Wurzeln von Daniel Barenboims humanistischem, friedenstiftendem Engagement liegen wohl in den ersten zehn Jahren seines Lebens in Argentinien. In dem multikulturellen Land gab es Juden, die stolze Argentinier waren, es gab Deutsche oder Italiener und Muslime, die sich auch als Argentinier fühlten. Hier habe er gelernt, sagt Barenboim, dass man den anderen respektieren müsse. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Führungsstil an der Staatsoper Berlin

Dennoch wurde in der Staatskapelle Berlin im Februar 2019 Kritik an Daniel Barenboims Führungsstil laut. In einem Artikel des Onlinemagazins VAN berichteten Musiker anonym von einer Atmosphäre der Angst in den Proben. Barenboim sei launisch und despotisch und habe auch Musiker bloßgestellt. Der Dirigent hat dies zurückgewiesen, aber zugegeben, dass er sich "ab und zu aufrege", und dies mit seinem südamerikanischen Temperament begründet. Das Orchester und Opernintendant Matthias Schulz haben sich aber hinter seinen Chefdirigenten gestellt. Es sollen klärende Gespräche stattgefunden haben. Im Juni 2019 wurde Barenboim Vertrag als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden bis 2027 verlängert.

Chefdirigent auf Lebenszeit

An seinem 80. Geburtstag, dem 15. November soll Daniel Barenboim als Pianist in der Berliner Philharmonie spielen, mit seinem Orchester, der Staatskapelle Berlin, die ihn zu ihrem Chefdirigenten auf Lebenszeit ernannt hat. Am Pult wird sein Freund Zubin Mehta stehen. Doch seit einigen Monaten wird immer wieder berichtet, dass Daniel Barenboim gesundheitlich angeschlagen ist, er hat viele Dirigate abgesagt, unter anderem beim neuen Wagnerschen Ring-Zyklus an der Staatsoper unter den Linden. Auf Twitter schrieb er Anfang Oktober 2022, dass sich sein Gesundheitszustand in den letzten Monaten verschlechtert habe, und bei ihm eine schwere neurologische Erkrankung diagnostiziert worden sei. Hoffen wir, dass es ihm bald besser geht und er sein Geburtstagskonzert am 15. November spielen kann. Wir wünschen ihm alles Gute!

Eine Sendung von Elisabeth Richter.

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