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Iannis Xenakis zum 100. Geburtstag

Dienstag, 24. Mai 2022, 21:00 bis 22:00 Uhr

Der Komponist Iannis Xenakis in seinem Studio 1970 © Michèle Daniel Foto: Michèle Daniel
Der griechisch-französische Komponist Iannis Xenakis war einer der renommiertesten Komponisten der Avantgarde des 20. Jahrhunderts.

Geboren wurde Iannis Xenakis am 29. Mai 1922 als Sohn griechischer Eltern in Rumänien, aufgewachsen ist er in Griechenland. Er studierte Ingenieurswissenschaften in Athen, war Widerstandskämpfer gegen die deutschen Nazi- Besatzer und kämpfte im griechischen Bürgerkrieg u.a. gegen die Wiedereinführung der Monarchie. Geflohen ist er über Italien nach Frankreich. In Griechenland wurde er in Abwesenheit zum Tode verurteilt. In Frankreich lebte er seit 1947 bis 1965 lang als illegaler Einwanderer. Mit Unterstützung von Staatspräsident Georges Pompidou bekam er die französische Staatsbürgerschaft. In den 50er Jahren arbeitete Xenakis im Büro des Architekten Le Corbusier. Dort entwarf er u.a. das Dominikanerkloster Sainte-Marie de la Tourette und entwickelte 1958 gemeinsam mit Le Corbusier den Philips Pavillon der Brüsseler Weltausstellung. Den Plan zum Pavillon leitete er aus der Musik ab "Métastaséis".

Höhere Mathematik und musikalische Hexereien

Anfang der 60er Jahre hat Iannis Xenakis seinen Arbeitsschwerpunkt verlagert, hat die Arbeit im Architektenbüro aufgegeben, manche sagen, Le Corbusier habe ihn gefeuert, weil er offensichtlich eine zu große Konkurrenz für ihn war. Jedenfalls hat Xenakis sich seither auf das Komponieren konzentriert. Kein geringerer als Olivier Messiaen hat ihm Mut dazu gemacht. Die Konstruktionsformeln und räumlichen Vorstellungen und auch so manche Methode von Le Corbusier, Raum zu berechnen, flossen nun in seine Musik ein. 1966 entstand Nomos Alpha. Es gibt nicht wenige Diplomarbeiten von Musikwissenschaftlern und Cellisten, die akribisch die einzelnen Module und deren Entstehung analysieren. Die Form, nach der Xenakis hier gearbeitet hat, war ein Oktaeders, eine doppelte Pyramide, dessen Seiten alle gleich lang sind. Xenakis hat Nomos Alpha drei Persönlichkeiten gewidmet: Aristoxenos von Tarent, einem der ältesten griechischen Schriftsteller der Antike, dessen Schriften zur Musik erhalten sind. Er lebte im 4. Jahrhundert vor Christus. Der zweite ist Èvariste Galois, ein französischer Mathematiker, der im 19. Jahrhundert durch seine algebraischen Gleichungen berühmt wurde und der dritte Felix Klein, dessen Verbindung von Algebra und Geometrie sich im Denken der Geometrie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts einen festen Platz erobern konnte.

Ein verkopftes Stück also? Keinesfalls!

Zur Uraufführung von Siegfried Palm in Bremen schrieb ein Kritiker: "Das Stück besteht aus mehreren kurzen Abschnitten mit lauter Hexereien à la Paganini, die Palm mit spürbarer Lust souverän aus dem Ärmel schüttelt, so dass der Spaß an diesen Oberflächlichkeiten, deren musikalischer Wert gleich Null ist, auch das Publikum ansteckt."

Diatope

In den 70er Jahren entwickelte Xenakis seine berühmt gewordenen Diatope. Das sind Klangzelte, die aussehen wir Raum gewordene Parabolkurven. Das erste Diatop stand vor dem Centre Pompidou in Paris zu dessen Einweihung 1977, zwei Jahre später konnte man es in Bonn vor dem Hauptbahnhof erleben. Die Menschen waren davon angezogen wie von einem Magnet. Lange konnte man es allerdings in diesem Zelt nicht aushalten. Man brauchte immer wieder eine kleine Pause. Als Zuhörer saß man in einem Blitzlichtgewitter aus tausenden von kleinen Lichtern, umgeben von Laserstrahlen und hunderten kleiner Lautsprecher. Xenakis erklärte "Der sinnliche Schock muss ebenso eindringlich sein, wie der Schlag eines Donners oder der Blick in einen bodenlosen Abgrund."

Griechische Mythologie

In seinen Werken griff Iannis Xenakis häufig auf die griechische Mythologie und die Welt des Theaters zurück, die ihn schon während seiner Schulzeit in Griechenland so begeistern hatte. Er liebte die Aufführungen griechischer Tragödien mit seiner Schulklasse im Amphitheater. Und dort, so meinte Xenakis, sei auch sein Gefühl für die Akustik eines Raumes und die Wahrnehmung von Kunst entstanden. So mag zum Beispiel der Chor der griechischen Tragödie Pate gestanden haben für Idmen für großen Chor und Schlagzeugensemble. Xenakis nutzt darin nur Phoneme, Teile von Wörtern und Texten aus der Theogonie des Hesiod um 700 v. Christus, einem Buch über die Geburt der Götter und ihre Stammbäume in Form eines Gedichtes.

Ein Loft in Paris

Im Viertel "Nouvelles Athènes", Rue Chaptal 9, hat Iannis Xenakis von 1970 bis 2001 gelebt. Vor der riesigen Fensterfront stand ein langer Tisch, wie man ihn aus Architektenbüros kennt, allerdings nicht in neutralem weiß, sondern mit einer dicken Holzplatte. Die Stirnseite des Lofts war eine einzige große Bücherwand. Davor stand eine gemütliche Sitzgruppe für viele Gäste mit einem Couchtisch, auf dem zahlreiche Bücher lagen. Ab und zu, meinte Iannis Xenakis, geht er einfach an seinem Regal entlang, nimmt Bücher heraus, stellt sie wieder weg oder bleibt hängen und liest. Und wenn man dann anfängt, Dinge zu produzieren, dann kommt das Neue in die Welt.

Eine Sendung von Margarete Zander.

 

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Neben einem Schallplattenspieler liegen Kopfhörer. © Photocase Foto: cosendolas

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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