Ein Wandkalender zeigt den 1. Mai, Tag der Arbeit, an. © picture alliance / Klaus Ohlenschläger | Klaus Ohlenschläger

Tag der Arbeit: Wie verändert sich unsere Arbeitswelt?

Stand: 01.05.2022 08:46 Uhr

Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus? Wie verändern sich Arbeitswelten und was bedeutet das für die Menschen? Sebastian Friedrich hat mit der Arbeitssoziologin Friedericke Hardering gesprochen.

Die Corona-Pandemie hat sich als Booster für die Digitalisierung des Arbeitsalltags erwiesen. Das Homeoffice war und ist für viele Beschäftigte gleichermaßen Fluch und Segen: Arbeitsprozesse werden erleichtert, die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen. Die Digitalisierung verändert auch die Arbeit von denjenigen, die bei Amazon immer mehr Pakete packen, Essen nach Hause liefern oder als "Clickworker" noch ein paar Kleinstjobs für Online-Plattformen erledigen. Über allem schwebt das Damoklesschwert von drohender Arbeitslosigkeit im digitalen Zeitalter, in dem Roboter, Maschinen und Algorithmen immer mehr menschliche Arbeitskräfte ersetzen sollen. Doch das Ende der Arbeit wurde schon oft befürchtet, bewahrheitet hat es sich bisher nie. Und was wäre eigentlich so schlimm daran, wenn Menschen weniger arbeiten müssten? Im Gespräch mit Mischa Kreiskott berichtet Sebastian Friedrich über seine Erkenntnisse aus einem Gespräch mit Arbeitssoziologin Friedericke Hardering.

Sebastian, das Eindrücklichste, was in den letzten Jahren in Sachen Arbeit passiert ist, ist natürlich das Arbeiten von zu Hause aus während der Pandemie. Wird das denn nach Ansicht von Friedericke Hardering so bleiben?

Sebastian Friedrich: Mehr zu Hause arbeiten als vorher - davon gehe ich schon aus. Aber ob es genauso sein wird wie jetzt noch vor einem Jahr, als die Hochzeit des Homeoffice war, das glaube ich nicht. Man sieht auch, dass die Homeoffice-Pflicht abgeschafft wird. Es wird auch wieder vermehrt im Betrieb gearbeitet, weil es auch Vorteile hat. Man trifft sich, man kann dort Sachen auf dem Flur besprechen. Aber sicher wird sich die Corona-Pandemie rückblickend als Booster für die Digitalisierung des Arbeitsalltags erweisen.

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Friedericke Hardering © Wilfried Gerhartz Foto: Wilfried Gerhartz

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Für viele Unternehmen ist das auch ein Vorteil, weil sie wahnsinnig Kapital sparen, wenn sie keine Bürogebäude und so etwas stellen müssen. Aber das hat für den Arbeitnehmer ja auch die Konsequenz, dass er das alles selbst anschaffen muss.

Friedrich: Ja, das hat Vor- und Nachteile. Klar, es gibt den Vorteil, dass ich mir den Arbeitsweg spare. Außerdem kann ich vielleicht auch meinen Alltag flexibler gestalten. Aber es hat auch den Nachteil, dass ich vielleicht gar nicht mehr richtig weiß, wann arbeite ich eigentlich noch, wann ist Freizeit? Ich denke schon, dass diese Entwicklung der Digitalisierung und auch das Homeoffice dazu führen können, dass es noch eine weitere Flexibilisierung des Arbeitsalltags gibt. Und wir wissen, das kann eben auch zu Problemen führen.

Eine große Angst, wenn man über die Zukunft der Arbeit nachdenkt, ist, dass es einfach keine Arbeit mehr gibt, zumindest keine für Menschen, dass uns alles abgenommen wird. Was sagt denn Frau Hardering, die Arbeitssoziologin, zu diesem Thema?

Friedrich: Tatsächlich gibt es seit im Grunde jeher in der industriellen Gesellschaft die Angst davor, dass Roboter die Arbeitskräfte ersetzen, dass am Schluss alles Maschinen erledigen und wir alle arbeitslos werden. Ich habe ein Zitat gefunden aus dem Spiegel aus dem Jahr 1955 von dem damaligen britischen Handelsminister. Der sagt genau das: "Wir werden bald menschenleere Fabriken und Betriebe vor uns sehen". Also man könnte dieses Zitat so heute auch wieder einführen. Und Frau Hardering sagt, im Grunde hat sich das nie bewahrheitet. Wenn es einen technologischen Fortschritt gibt, eine Entwicklung gibt, fallen natürlich Arbeitsplätze weg. Aber es entstehen auch Unmenge an neuen Arbeitsplätzen. Wenn wir zum Beispiel an die ganzen IT-Expertinnen und Experten denken. Da gibt es heute viel mehr, als es sie vor 20, 30, 40, 50 Jahren gab.

Was gibt es noch an neuen Jobs, die entstehen oder schon entstanden sind?

Friedrich: Gerade im Zusammenhang mit der Digitalisierung haben sich Jobs entwickelt, die man sich wahrscheinlich vor 20 Jahren noch nicht einmal ausmalen konnte. Beispielsweise der Job des Clickworkers. Das ist jemand, der von zu Hause aus Minijobs -oder Kleinstjobs muss man eher sagen - für Online-Plattform erledigt. Er schreibt vielleicht mal eine Produktbeschreibung oder eine Produktbewertung. Oder er nimmt an der Umfrage teil. Für zwei Minuten kriegt er dann vielleicht 20 Cent oder so. Das sind also eine Art Kleinstunternehmer, die sich im Grunde auf einem sehr prekären, man kann schon sagen hyperprekären, Arbeitsmarkt wiederfinden. Sie haben quasi keine Absicherung. Wenn sie morgen keine Jobs mehr haben, kriegen sie auch kein Geld mehr. Das ist ein Job, der auf jeden Fall neu entstanden ist durch das Internet, durch Vernetzung des Internets und vor allem auch durch die Digitalisierung.

Es gibt ja noch ein Effekt, der Menschen zumindest in Großstädten auffällt. Überall fahren irgendwelche Menschen mit Fahrrädern rum und liefern Dinge aus. Hat das Bestand, dass wir uns alles bringen lassen?

Friedrich: Das ist natürlich auch in der Corona-Pandemie enorm gestiegen, als die Restaurants nicht mehr öffnen durften, sondern eben nur diese Lieferdienste verwenden durften. Das gab es ja eigentlich auch schon vor der Pandemie und auch schon vor der Digitalisierung, dass der Pizzadienst um die Ecke auch die Pizza ausgefahren hat. Aber durch die Digitalisierung, also durch diese auch plattformbasierte Arbeit, also dass nicht mehr bei der Pizzeria um die Ecke bestellt wird, sondern über einen großen Dienst wie zum Beispiel Lieferando, hat sich das natürlich massiv beschleunigt und entwickelt, sodass wir schon sagen können, dass es sicher auch in Zukunft und auch in den nächsten Jahren weiterhin diese Lieferdienste geben wird. Es gibt ja zum Beispiel auch den Dienst "Gorillas", der für Dich einkauft, sodass Du nicht mehr selbst einkaufen gehen muss. Und er bringt Dir das dann vor die Tür. Sowas wird im plattformbasierten Kapitalismus sicher auch zunehmen.

Was war Dein größter Aha-Moment im Gespräch über die Zukunft der Arbeit?

Friedrich: Wir haben am Schluss auch darüber gesprochen, inwieweit sich für die Beschäftigten auch Möglichkeiten ergeben, sich in dieser Digitalisierung zu vernetzen und zusammenzutun. Der 1. Mai ist ja bekanntlich auch der Tag, an dem die Beschäftigten ihre Interessen überhaupt zum Ausdruck bringen können und Forderungen stellen können. Das ist aber natürlich - so dachte ich - in der digitalisierten Welt äußerst schwierig, weil die häufig mit einer totalen Vereinzelung einhergeht, einer Individualisierung. Wir sitzen nur noch zu Hause im Homeoffice und nicht mehr in Betrieb, können uns nicht mehr mit den Beschäftigten, mit den Kolleginnen und Kollegen, austauschen. Und sie meinte, ja, aber es gibt tatsächlich auch Ansätze, dass sich die Leute zusammentun. Beispielsweise diese Clickworker, die wahrscheinlich die "vereinzelteste" Arbeit machen, die wir gerade kennen. Da tun sich Leute zusammen. Sie vernetzten sich in Foren, tauschen sich über gute und schlechte Auftraggeber aus. Es gibt also durchaus auch Möglichkeiten, sich im Rahmen der Digitalisierung zusammenzutun.

NDR Kultur strahlt Sebastian Friedrichs Gespräch mit Arbeitssoziologin Friedericke Hardering am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, um 13 Uhr aus.

 

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NDR Kultur | Klassisch unterwegs | 29.04.2022 | 15:40 Uhr

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