Kommentar: Mehr offene Briefe an Olaf Scholz!
Es gibt mittlerweile mehrere offene Briefe von Intellektuellen, Künstlerinnen und Schriftstellern: Wie soll Deutschland handeln - Waffen liefern an die Ukraine oder gerade nicht? Sich raushalten, um nicht zu provozieren oder dagegenhalten?
Ein Kommentar von Ocke Bandixen
"Sehr geehrter Herr Bundeskanzler" - nach den ersten Worten hört die Gemeinsamkeit beinahe schon auf, in den offenen Briefen, die in den vergangenen Tagen veröffentlicht wurden. Und dann folgen die Argumente, die Sorgen, die skizzierten angenommenen Folgen und bedenkenswerten Konsequenzen, bis hin zur Forderung so oder eben genau anders bitte zu entscheiden - "Mit freundlichen Grüßen".
Inflation von Offenen Briefen
Der Spott ist schnell zu haben, es juckt einen ja förmlich, über die Inflation der offenen Briefe zu lästern: Wofür denn noch? Wogegen denn diesmal? Und wer ist diesmal dabei - die eigene Wichtigkeit annehmend? Aber das ist - bei allem auch reinigenden Witz - doch verfehlt. Haben wir uns nicht viele Jahre lang engagierte Künstlerinnen und Künstler gewünscht? Quer durch die Generationen und Kultursparten? Längs durch Ernste, Leichte und Alberne Kunst? Und nun werfen sich Dichter, Schriftstellerinnen, Kabarettisten, Publizistinnen in die Debatte, beziehen Stellung, streiten.
Dinge verstehen und darüber sprechen
Nicht verwechseln darf man die Debatte allerdings mit den medialen Schnellgerichten, die vor allem über Socialmediakanäle im Minutentakt urteilen. Hier zählt nicht das Argument, falls das jemand noch nicht wusste, sondern Aufmerksamkeit. Je schriller, desto mehr bin ich. Im Guten wie im Bösen. Machen wir alle doch nicht dieselben Fehler, die die Gesellschaft, ein Debattenklima schon in der Coronazeit auseinander trieb: dem Streitenden nicht etwa nur die Richtigkeit des Argumentes abzusprechen, sondern die Fähigkeit zu verstehen, die Legitimität, über Dinge zu sprechen, die womöglich weit von der eigenen Profession entfernt sind. Was weißt du denn schon? Nein, auch wenn, ich gebe es zu, ich mich bei dem einen Namen hier und dem anderen dort, bei den Erstunterzeichnern wundere, enttäuscht bin. Muss dieser oder jene wirklich da stehen? Und nicht dort, wo ich ihn gern hätte? Und, natürlich, diese oder jene Formulierung in den offenen Briefen, musste die wirklich sein? Wie gut, dass wir hier nur mit Worten und um Worte streiten.
Einigkeit der Kriegsgegner konnte nicht lange halten
Schon während der großen Demonstrationen kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine vor zwei Monaten hätte man es ahnen können. Die Zeit der Einigkeit der Kriegsgegner konnte nicht lange halten. Aber ist das dramatisch? "S'ist Krieg und ich begehre nicht schuld daran zu sein", heißt es im berühmten Kriegsgedicht von Matthias Claudius. Das stimmt doch immer noch. Auch das taube Gefühl der Ohnmacht und Sorge lässt die Menschen doch offene Briefe schreiben. Und, vielleicht auch ein kleines bisschen ein Gefühl der eigenen Bedeutung. Es gibt wahrlich Schlimmeres.
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin/des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.
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