Stand: 09.09.2020 18:57 Uhr

Polit-Talkshows: Studie kritisiert mangelnde Vielfalt

von Sebastian Friedrich

In den öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshows diskutiert meist eine kleine privilegierte Gruppe über Themen, die eigentlich die ganze Gesellschaft betreffen. So lässt sich die Studie "Die Talkshow-Gesellschaft" in einem Satz zusammenfassen. Darin haben Paulina Fröhlich und Johannes Hillje für das linksliberale "Progressive Zentrum" untersucht, wie verschiedene gesellschaftliche Bereiche und politische Ebenen in öffentlich-rechtlichen Talkshows repräsentiert sind. Das Ergebnis: ungenügend. Ihre Analyse der wichtigsten Polit-Talkshows der vergangenen Jahre zeigt: 42,6 Prozent der eingeladenen Gäste sind parteipolitische Vertreter, weitere 22,9 Prozent sind Journalistinnen und Journalisten. Insgesamt stammen also zwei Drittel der Polit-Talkshow-Gäste aus dem Bereich der Parteien und der Medien.

Gästeauswahl verengt Meinungsvielfalt

Für die Studie wurden mehr als 1.200 Sendungen aus den vergangenen drei Jahren ausgewertet: allen voran die vier reichweitenstärksten Talkshows "Anne Will", "Hart aber fair", "Maischberger" (alle ARD) und "Maybrit Illner" (ZDF). Besonders bei "Anne Will" dominieren die Parteipolitiker, die sechs von zehn Gästen stellen. Damit spielen weite Teile der Gesellschaft etwa aus den Bereichen Kultur, Zivilgesellschaft und Soziales in den Talkshows nur Statistenrollen.

Schaubild 1, Quelle: Studie: Die Talkshow-Gesellschaft, Fröhlich/ Hillje © Studie: Die Talkshow-Gesellschaft, Fröhlich/ Hillje
42,6 Prozent der eingeladenen Gäste sind parteipolitische Vertreter, weitere 22,9 Prozent sind Journalistinnen und Journalisten. Quelle: Die Talkshow-Gesellschaft, Fröhlich/ Hillje

"Die Standardbesetzung aus 'Politik plus Journalismus', wie auch die permanente Wiederkehr derselben Köpfe aus diesen zwei Bereichen, verengen eben diese Meinungsvielfalt und lassen Chancen für mehr Nähe zu Bürgerinnen und Bürgern ungenutzt", kritisieren die Autoren der Studie.

"Hauptstadtjournalismus trifft Hauptstadtpolitik"

Sogar mit Blick auf die eingeladenen Politiker ergibt sich eine Schieflage. Während mehr als 70 Prozent bundespolitisch aktiv sind, also aus dem Berliner Politikbetrieb kommen, sind nur knapp 20 Prozent landespolitisch tätig. Lediglich 7,3 Prozent sind Politiker, die vor allem auf der EU-Ebene unterwegs sind. Verschwindend gering ist der Anteil der Kommunalpolitiker (2,4 Prozent) und derjenigen, die auf globaler Ebene agieren (0,7 Prozent).

Schaubild 3, Quelle: Studie: Die Talkshow-Gesellschaft, Fröhlich/ Hillje © Studie: Die Talkshow-Gesellschaft, Fröhlich/ Hillje
Die geladenen Gäste spiegeln kaum die europa- und weltpolitischen Dimensionen der deutschen Politik.

Für Fröhlich und Hillje ein demokratisches Problem: "Obwohl die Bedeutung der Kommunal- und Europa-Ebene in der Öffentlichkeit immer wieder floskelhaft betont wird, wird für deren Einbindung in den öffentlichen Diskurs doch zu wenig getan." Mit dem Fokus auf der Bundespolitik laufen die öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshows Gefahr, weder dem deutschen Föderalismus noch der europa- und weltpolitischen Dimension der deutschen Politik gerecht zu werden.

Positionen der Unternehmensseite stark überrepräsentiert

Schaubild, Quelle: Studie: Die Talkshow-Gesellschaft, Fröhlich/ Hillje © Studie: Die Talkshow-Gesellschaft, Fröhlich/ Hillje
Arbeitgeberverbände sind bei politischen Talkshows überrepräsentiert im Vergleich zu Arbeitnehmern.

Besonders auffällig ist das Missverhältnis der Gäste-Auswahl bei wirtschaftlichen Themen. Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen, Branchenverbänden und Arbeitgeberverbänden machen zusammen mehr als 80 Prozent aus. Während die Position der Unternehmensseite damit stark überrepräsentiert ist, sprechen beim Thema Wirtschaft lediglich jeweils acht Prozent der Talkshow-Gäste aus Perspektive der Beschäftigten oder für Verbraucher- und Konsumentenorganisationen.

Mehr Vielfalt bei den Themen Klima und Corona

Dass mehr Vielfalt möglich ist, zeigt die Einladungspraxis der Redaktionen bei den Themen "Corona" und "Klima". In Talkshows, die sich mit der Corona-Pandemie befassen, sind deutlich häufiger Personen aus der Wissenschaft zu Gast. Vor der Corona-Krise kamen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei den vier großen Polit-Talkshows nur auf einen Anteil von 8,8 Prozent. Während der Pandemie kam jeder vierte Gast aus der Wissenschaft.

Aktivistinnen, lokale Bürgerinitiativen oder Vertreter von NGOs dürfen weiterhin nur sehr selten Platz bei den großen Polit-Talkshows nehmen. Nur jeder 40. Gast stammt aus der Zivilgesellschaft. Wenn es allerdings um die Themen Klima und Umwelt geht, sitzt in drei von vier Sendungen jemand aus der Zivilgesellschaft mit am Tisch.

Talkshows seit langem in der Kritik

Es ist nicht die erste Studie, die die Gästeauswahl der Talkshows kritisiert. Der Journalist Fabian Goldmann hatte Ende 2019 bemängelt, dass Menschen mit Migrationsgeschichte in den Talkshows stark unterrepräsentiert sind, was sich etwa bei den Namen zeige. "Menschen mit dem Namen Peter begegnet man in deutschen Talkshows häufiger als allen Personen mit türkischen Namen zusammen."

Auch der Publizist Oliver Weber hatte vor genau einem Jahr in seiner Streitschrift "Talkshows hassen" die Gästeauswahl als einseitig kritisiert.

Die Studie stützt solche Kritiken. Gleichzeitig sind die Autorin und der Autor darum bemüht, keine Fundamentalkritik zu formulieren. Es könne nicht darum gehen, in jeder einzelnen Sendung die politische und gesellschaftliche Vielfalt exakt zu repräsentieren. Allerdings betonen Fröhlich und Hillje zugleich, dass Diversität eine demokratische Normalität in einer pluralistischen Gesellschaft sein sollte. Der kleine Kreis an immer wiederkehrenden Gästen, in der Studie als "Cliquenbildung" bezeichnet, könnten Misstrauen, Zynismus und Entfremdung gegenüber etablierten Medien verstärken. Neue Gesichter, neue Perspektiven, vielleicht auch neue Konzepte könnten da entgegenwirken.  

ZAPP hat wegen der Gästeauswahl der Talk-Formate nachgefragt - hier kommen die Antworten vom Ersten Deutschen Fernsehen:

Ein Befund der Studie lautet, dass zwei Drittel der Talkshow-Gäste Parteipolitiker*innen oder Journalist*innen sind. Die Autor*innen bemängeln, so würden Politik-Talkshows der gesellschaftlichen Vielfalt nicht gerecht. Menschen aus Kultur, Zivilgesellschaft und dem sozialen Bereich kämen zu selten zu Wort. Inwiefern stimmen Sie dieser Problembeschreibung zu?

Die in der Studie untersuchten Talkshows haben alle unterschiedliche inhaltliche Ausrichtungen. ANNE WILL hat zum Beispiel explizit den Anspruch, politische Entscheiderinnen und Entscheider miteinander in ein öffentliches Gespräch, einen öffentlichen Diskurs zu bringen. Den Zuschauerinnen und Zuschauern soll ja gerade ermöglicht werden, Einblick in die Hintergründe politischer Entscheidungen zu gewinnen, Unterschiede – nicht nur an Parteigrenzen festgemacht – so klarer zu erkennen, und sich eine eigene Meinung zu bilden. Bei „hart aber fair“ ist es der Anspruch, viele Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven ins Gespräch miteinander zu bringen. Wer die Sendung regelmäßig verfolgt, weiß, dass ein sehr breites gesellschaftliches Spektrum durch die Auswahl der G äste abgebildet wird: Schauspielerinnen und Schauspieler, Pflegerinnen und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte, Verbraucherinnen und Verbraucher, Patientinnen und Patienten, Unternehmerinnen und Unternehmer, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten etc. sind häufig zu Gast bei Frank Plasberg. Der Anteil von Politikern und Politikerinnen sowie Journalistinnen und Journalisten ist vergleichsweise klein: Im aktuellen Jahr liegt er bei etwa 44%. Dies ist das Ergebnis des Bemühens, „Politik auf Wirklichkeit“ treffen zu lassen. Eine Sendung, in der nur Missstände beklagt werden, aber niemand dabei ist, der die Verantwortung dafür trägt oder die Macht hat, an den Zuständen etwas zu ändern, wäre wenig sinnvoll. Die Redaktion von „maischberger“ legt einen ganz besonderen Fokus auf die Menschen und ihre Themen. Für „maischberger“ bzw. „maischberger, die woche“ trifft es im Kern tatsächlich zu, dass ein Drittel der Gäste Politikerinnen oder Politiker sind, ein Drittel aus dem Journalismus kommen und ein Drittel aus anderen gesellschaftlichen Bereichen. Während die Studie das kritisiert, sieht die Redaktion aber genau darin eine gelungene Abbildung der Gesellschaft, dass politische Verantwortungsträger, Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen, die Politik erleben, und Journalistinnen und Journalisten, die Politik aus unterschiedlichen Blickwinkeln kommentieren, in etwa zu gleichen Teilen in der Sendung vertreten sind.

 

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