Stand: 18.09.2018 18:44 Uhr

Chodorkowski: Ein "Staatsfeind" macht Medien

von Mascha Rodé

Ende Juli sterben die russischen Journalisten Orchan Dschemal und Alexander Rastogujew sowie ihr Kameramann Kirill Radtschenko in der Zentralafrikanischen Republik. Ihr Wagen wird auf offener Straße gestoppt, die Journalisten erschossen, nur ihr Fahrer überlebt. An der offiziellen Version - Raubüberfall - haben ihre Kollegen große Zweifel.

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Russische Journalisten leben gefährlich. © NDR
Ermordet: Drei russische Journalisten sind tot.

Das Team wollte einen Film über eine russische Söldnertruppe drehen, die so genannte "Gruppe Wagner". Sie soll Verbindungen zum Kreml haben und ist bereits im Osten der Ukraine und in Syrien im Einsatz, seit kurzem offenbar auch in Zentralafrika. Das Land gehört zu den ärmsten und unterentwickeltsten Staaten der Welt. Doch es ist reich an Bodenschätzen, für die sich auch die russische Regierung interessiert.

Zweifel an Raubmord-These

Russische Journalisten leben gefährlich. © NDR
Schwere Bürde: Andrei Konyakhin hatte seine Kollegen in die Zentralafrikanische Republik geschickt.

Auftraggeber für die Recherche der ermordeten Journalisten war das so genannte "Zentrum für Enthüllungen", kurz ZUR. Der Moskauer Journalist Andrei Konyakhin hatte seine Kollegen auf die gefährliche Reise nach Afrika geschickt. Er ist sich sicher, dass es ein Auftragsmord war und nicht bloß ein Raubmord: „Alle Fakten, die wir bisher gefunden haben, deuten darauf hin. Beteiligt sind Geheimdienste. Welchen Landes, das versuchen wir herauszufinden.“

Chodorkowski fianziert Kreml-kritischen Journalismus

Druck und Schikane - das waren die Journalisten vom ZUR gewohnt. Aber ein Mord? Das investigative Onlinemedium machte seit Anfang 2017 mit Recherchen über Korruption in der russischen Machtelite auf sich aufmerksam. Finanziert wurde es über eine Stiftung von Michail Chodorkowski, einst Chef des Ölkonzerns Jukos, nach zehn Jahren Haft in Sibirien einer der erbittertsten Feinde Putins. Heute lebt er in London und unterstützt mehrere oppositionelle Medienprojekte, darunter MBK.Media, Open Media und bis vor kurzem das ZUR.

Hoffnung auf Veränderung

Infolge der wachsenden Zensur in Russland haben viele bekannte Journalisten, die sich bei großen Medien einen Namen gemacht haben, ihre Jobs verloren. Einige von ihnen arbeiten jetzt für unabhängige Medien wie die von Chodorkowski. "Es geht Chodorkowski weniger darum, den armen arbeitslosen Journalisten Arbeit zu geben", meint die in Berlin im Exil lebende Journalistin Olga Romanova. "Er hat die Hoffnung auf Veränderung in Russland noch nicht verloren und die Hoffnung, dass er sie herbeiführen kann. Die Medien spielen dabei eine große Rolle."

Veränderungen in ihrer Heimat wollen auch die Journalisten, glaubt Romanova: "Man arbeitet für seine Medienprojekte nicht weil man sonst keine Arbeit findet. Das alles sind überzeugte Menschen. Sie sind politisch und journalistisch überzeugt. Keiner kann sie in irgendeiner Weise beeinflussen oder steuern. Sie sehen die Notwendigkeit demokratischer Veränderungen in Russland und dafür setzen sie sich ein."

Lieber oppositionell als "erniedrigt"

Arbeiten für einen ehemaligen Oligarchen, der sich politisch engagiert - nicht unproblematisch. Der Redakteur von MBK.Media, Roman Popkov, sieht seine journalistische Unabhängigkeit jedoch bewahrt. Chodorkowski mische sich inhaltlich in die Arbeit der Redaktion nicht ein, so Popkov. Früher war Popkov selbst Oppositionsaktivist und saß wegen einer Protestaktion gegen Putin zwei Jahre im Gefängnis. "Ich empfinde es als erniedrigend, in einem wunderschönen Land zu leben, das aber von Kleptokraten regiert wird. In den achtzehn Jahren der Regierung des Herrn Putin wurde die ganze Medienlandschaft hierzulande ausgelöscht. Jedes vom Staat unabhängige Medienprojekt ist daher wichtig. Denn die wichtigste Waffe dieser Macht sind nicht die Schlagstöcke der Polizei, sondern die Lüge. Sie muss man in erster Linie bekämpfen."

Journalisten gehen große Risiken ein

Dafür nehmen die Journalisten große Risiken auf sich. Durchsuchungen in den Redaktionsräumen, Überfälle und Provokationen gegen die Journalisten gehören zum Alltag. Zudem machen die staatlichen Medien Stimmung gegen Chodorkowski, den "Staatsfeind Nummer 1". Alle, die sich für seine Projekte engagieren, gelten per se als Verräter. Letztes Jahr erklärte die Staatsanwaltschaft Chodorkowskis Stiftung "Offenes Russland" für unerwünscht: Verdacht auf Destabilisierung des Landes. Seitdem wird die Webseite von Offenes Russland in Russland blockiert, ebenso die Seite des Nachfolgeprojekts MBK.Media. Abrufbar sind sie nur über anonymisierte Browser, bei Facebook oder auf YouTube.

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ZUR wird geschlossen

Der Tod "seiner" Journalisten in der Zentralafrikanischen Republik ist ein schwerer Schlag für den Medienunternehmer Chodorkowski. Vor einigen Wochen veröffentlicht eine kremlnahe Nachrichtenagentur die privaten Chats der Journalisten. Die Textnachrichten zeigen, wie sie ihre Reise planten und wie sie vor Ort die Gefahren abwägen. Wie die brisanten Chats an die Presse gelangten - unklar. Die Lesart in den staatlichen Medien aber ist deutlich: Die gefährliche Reise war offenbar schlecht organisiert.

Michail Chodorkowski räumt daraufhin Fehler ein, übernimmt die Verantwortung und lässt das ZUR schließen. Der Chefredakteur Andrei Konyakhin will sich trotzdem weiter der Aufklärung des Mordes an seinen Kollegen widmen - auf eigene Faust. "Ich möchte die Dreharbeiten fortsetzen. Man darf die Arbeit nicht hinschmeißen noch bevor sie begonnen hat", so Konyakhin. "Aber es wird ein anderer Film werden. Ein Film über die Suche nach den Mördern."

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ZAPP | 19.09.2018 | 23:20 Uhr

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