Stand: 11.10.2006 23:00 Uhr

Der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja

Blumen und ein Bild von Anna Politkowskaja am Tatort. Foto: epa Kochetkov / dpa © dpa/ epa Kochetkov

Anna Politkowskaja war eine Journalistin mit Haltung. In einer Zeit zunehmender Zensur in den russischen Medien war sie eine weitreichende Stimme der systematisch mundtot gemachten Kritiker. Seit dem Wochenende ist diese Stimme verstummt. Die Journalistin wurde ermordet, vermutlich im Auftrag. Den Regierenden im Kreml war sie durch ihre Berichterstattung unbequem. Deren Machenschaften prangerte Anna Politkowskaja immer wieder an: ob Korruption oder Krieg in Tschetschenien. Die Journalistin recherchierte auch dort, wo Reportern der Zutritt verboten war. Sie deckte auf und berichtete über das, was die zunehmend gleich geschalteten Medien in Russland längst nicht mehr wagten. Und so zeigt die Ermordung Anna Politkowskajas wie es um die Medien an der Moskwa steht. In aller Welt mahnen Politiker und Journalisten den russischen Staatspräsidenten Putin, die Pressefreiheit zu wahren. Zapp über die große Empörung - erst nach dem Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja.

Bayeux in Frankreich. Einweihung von Europas erster Gedenkstätte für getötete Journalisten. Für jedes Jahr eine eigene Tafel. Weltweit 406 Namen allein in den letzten zehn Jahren. Und ein weiterer Name wird folgen. Der, der Anna Politkowskaja. Sie stirbt am gleichen Tag, 3.000 Kilometer entfernt, in Moskau. Unbequem, unbestechlich, unnachgiebig. Jetzt hat man die Russin mundtot gemacht.

Anschlag auf Pressefreiheit

Die Journalistin wurde ermordet. Durch vier Schüsse im Fahrstuhl ihres Moskauer Wohnhauses. Ein Anschlag auch auf die Pressefreiheit in Russland. Anna Sadovnikava, russische Journalistin: "Es ist eine Katastrophe für alle Journalisten, die hier arbeiten, weil klar wird, dass wir jetzt noch weniger darüber berichten können, was wir denken und fühlen." Pressezensur. Kritische Fragen an die Mächtigen Russlands, unerwünscht. Die Schlagzeilen der russischen Zeitungen sprechen von Respekt gegenüber einer Kollegin. Mehr nicht. Empörung dagegen im Westen über einen "Mord an der Freiheit". Eine "Kritikerin des Kreml" sei ermordet worden. Die Politkowskaja - ein Opfer unliebsamer Recherche? Und immer der Hinweis auf den, der die Presse kontrollieren will, Präsident Wladimir Putin. Drei Tage Schweigen zum Tod der Journalistin. Dann muss er etwas sagen, beim Staatsbesuch in Deutschland. Gedrängt von der Weltpresse.

Zensur

Wladimir Putin, Russischer Präsident: "Ihr Einfluss als Journalistin auf das politische Leben des Landes war sehr gering. Aber dieser schreckliche Mord an einem Menschen, an einer Mutter, das ist ein Verbrechen an unserem Land." Kritiker klein reden, Presse gleich schalten. Seit sechs Jahren Alltag in Russland. Nur wenige trauen sich die Machenschaften der Regierenden anzuprangern. "Die Macht, die wir nicht brauchen", steht da, "ist die von Banditen". Seit Jahren engagiert sich Oleg Pamfilov für Journalisten in Russland, die in Konflikt mit dem Staat geraten sind. Oleg Pamfilov, Zentrum für freien Journalismus: "Öffentlich habe ich nie gesagt, dass es eine Liste geben könnte von Journalisten, um die ich Angst habe. Aber natürlich habe ich so eine Liste immer im Kopf gehabt und da stand Anna ganz oben, weil ihre Publikationen immer so einen großen Zorn hervorgerufen haben."

Kritische Berichte

Der Krieg in Tschetschenien. Bilder einer Reportage. Anna reist mehrfach dorthin, lässt sich ihre Recherchen nicht verbieten, berichtet auch von Orten, an denen Journalisten Zutrittsverbot haben. Oleg Pamfilov: "Sogar die Funktionäre, die sich jetzt hinstellen und sagen, was für ein Unglück ihr Tod sei, die haben Anna noch vor nicht allzu langer Zeit beschimpft, weil sie immer wieder über Tschetschenien berichtet hat." Moskau 2002. Tschetschenische Geiselnehmer im Staatstheater. Und die Journalistin mittendrin. Versucht zu vermitteln. Die russische Regierung aber will Stärke demonstrieren, greift durch. Beslan, zwei Jahre später. Wieder ein Geiseldrama. Auch von hier wollte Anna Politkowskaja kritisch berichten. Doch sie wird auf dem Weg dorthin vergiftet. Ihre Zeitung, die "Nowaja Gaseta", wird mit Klagen überzogen. Die russische Variante kritische Journalisten mürbe zu machen. Dennoch macht sie weiter. Schreibt ein Buch über Putin, in Russland nie erschienen. Ohne Zensur berichten kann sie nur im Westen. Beispielsweise über "Zar Wladimir Putin" und seinen autoritären Regierungsstil. Leichen pflastern Putins Weg, sagen Menschenrechtler. Seit seinem Amtsantritt wurden vierzehn Journalisten in Russland ermordet.

Gedenken

Dresden diese Woche. Gedenken an eine mutige Journalistin. So wird auch die Pressefreiheit in Russland einmal wieder zum Thema. Vorübergehend. Boris Reitschuster, Moskau-Korrespondent des Focus: "Der Westen sollte endlich aufhören, so zu tun, als sei alles wunderbar. Es ist hahnebüchend, wenn man immer von Stabilität redet und in Russland kritische Journalisten getötet werden, der Vize-Bankchef getötet wird. Man kann doch nicht unendlich gute Miene zum diesem bösen Spiel machen. Man muss endlich einmal die Wahrheit sagen." Zynisch der Gedanke, dass erst der Tod von Anna Politkowskaja den Blick auf die Pressefreiheit in Russland lenkt. Die Pressefreiheit, für die sie als Journalistin seit jeher gekämpft hat.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 11.10.2006 | 23:00 Uhr

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