Stand: 22.04.2020 13:20 Uhr

Corona-Krise verschärft Probleme bei MV Werften

von Stefan Buchen

Eine schöne neue Kreuzfahrtwelt sollte in Mecklenburg-Vorpommern gebaut werden. Der asiatische Touristikkonzern Genting hatte die MV Werften übernommen, um dort Kreuzfahrtschiffe der Superlative zu bauen. 9.500 Passagiere sollen die größten von ihnen tragen. Zwei von dieser Sorte, die "Global I" und die "Global II", hat man angefangen zu bauen. Der Rohbau der "Global I" wurde auch schon von Warnemünde nach Wismar überführt, um dort vollendet zu werden.

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Doch nun ist der Konzern in Geldnot: MV Werften hat einen Sofortkredit bei der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beantragt. Das Unternehmen hat der Staatsbank einen "Liquiditätsbedarf für die kommenden sechs Monate" gemeldet. Das geht aus schriftlicher Kommunikation zwischen MV Werften, dem Wirtschaftsministerium von Mecklenburg-Vorpommern und der KfW hervor, die Panorama 3 vorliegt. Grund für die Finanzschwierigkeiten sei die Corona-Krise. Die Werft ist seit dem 20. März geschlossen.

Wie hoch der angegebene Geldbedarf ist, steht in den Dokumenten nicht. Das teilen die Beteiligten auf Nachfrage auch nicht mit. Die KfW verweigert die Auskunft mit Hinweis auf die Vertraulichkeit von Bankdaten.

MV Werften braucht dringend 100 Millionen Euro

Nach Informationen von Panorama 3 hat MV Werften den sofortigen Geldbedarf zur Aufrechterhaltung der Liquidität auf 100 Millionen Euro beziffert. Diese Summe wurde vom Unternehmen demnach in Gesprächen mit politischen Entscheidungsträgern genannt. Für wie lange die 100 Millionen Euro den Bedarf decken sollen, geht aus den Informationen nicht hervor. Das Wirtschaftsministerium von Mecklenburg-Vorpommern verlangt angeblich vom Gesellschafter Genting, die Hälfte, also 50 Millionen Euro, als Eigenkapital beizusteuern. Im Hintergrund laufen hektische Gespräche zwischen der Landesregieurng in Schwerin, dem Bundeswirtschaftsministerium und der KfW.

Geldnöte allein mit Corona-Krise zu begründen?

Jeannine Rösler, finanzpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. © NDR Foto: NDR
Will wissen, warum MV Werften so viel Geld braucht: Jeannine Rösler.

Jeannine Rösler, finanzpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, pocht auf den demokratischen Anspruch der Parlamentarier, in gravierende Entscheidungen wie die Vergabe von Sofortkrediten in beträchtlicher Höhe eingunden zu werden. "Für uns als Abgeordnete ist es natürlich wichtig zu wissen, welche Gefahren am Horizont lauern, denn das Land ist ja mit einem ganz erheblichen finanziellen Risiko dabei", meint die Oppositionspolitikerin. "Ich möchte wissen, warum MV Werften zusätzliches Geld braucht. Die Frage ist für mich nicht beantwortet."

Weil man seit Februar weder vom Unternehmen noch der Landesregierung Informationen zur Lage der MV Werften bekomme, könne man auch nicht beurteilen, ob die Geldnöte allein mit der Corona-Krise zu begründen seien.

Frische Hilfen vom Staat für MV Werften sind eine heikle Angelegenheit. Denn die KfW hat dem Unternehmen bereits einen Kredit über 2,6 Milliarden Euro gewährt, für den Bau der "Global I" und der "Global II". Hinzu kommen Bürgschaften von Land und Bund, Kredite für ein kleineres Luxusschiff sowie Exportversicherungen. Insgesamt fördert der Staat den Bau der Kreuzfahrtschiffe in Mecklenburg-Vorpommern mit 3,7 Milliarden Euro. Die staatliche Unterstützung für die Megaschiffe hatte Kritik hervorgerufen, weil diese mit Schweröl, dem schmutzigsten Schiffstreibstoff, angetrieben werden sollen.

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Wird die KfW nun neues Geld hinterherschießen? Bis Ende April will die Bank laut den nicht öffentlichen Dokumenten entscheiden. Sie hat MV Werften aber schon mitgeteilt, dass sie grundsätzlich "erhebliche Geldsummen" im Rahmen des Corona-Hilfsprogramms zu vergeben habe. Das Wirtschaftsministerium von Mecklenburg-Vorpommern befürwortet - mit Hinweis auf die Corona-Krise - finanzielle Hilfen für MV Werften. Das teilte ein Sprecher des Ministeriums Panorama 3 auf Anfrage mit.

Geldnot von MV Werften bekommen Zulieferer zu spüren

Wie ist nun die Lage bei MV Werften? Das Unternehmen hat die Fragen von Panorama 3 unbeantwortet gelassen. Näheres erfährt man aus der Welt der Zulieferer. Wir haben mit vielen von ihnen gesprochen. Die meisten möchten anonym bleiben. Eine Ausnahme ist der Unternehmer Pierre Mack. Er ist Geschäftsführer von MESA-Stahl, einem Handwerksbetrieb mit knapp fünfzig Mitarbeitern, der auf Schweißtechnik für den Schiffbau spezialisiert ist. Pierre Mack hat uns den Betrieb gezeigt und uns ein Interview gegeben.

Pierre Mack, Geschäftsführer von MESA-Stahl © NDR
Die Geldnot von MV Werften bekommt Zulieferer Pierre Mack deutlich zu spüren. Bereits gelieferte Produkte seien zum Teil nicht bezahlt worden.

Abseits der Werkbänke sind fertige Mannschaftstreppen, Lukendeckel und weitere Bauteile aufgestapelt. Darüber klebt eine Beschriftung: "fertige Ware für MV Werft Rostock". Mack sagt: "Das sind Produkte, die wir eigentlich für die Ablieferung vorbereitet haben." Aber nun müssten sie hier liegen bleiben, weil die Werft ja geschlossen sei. Laut Verträgen mit MV seien noch weit mehr Stahlkomponenten bei seinem Betrieb bestellt. "Wir können nicht in die Herstellung von Produkten investieren, von denen wir nicht wissen, ob sie auch abgenommen werden", erklärt Mack. Deshalb habe er die Hälfte seiner Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Der Kunde MV Werften mache rund ein Drittel seines Auftragsvolumens aus.

Die Geldnot von MV Werften bekommt Zulieferer Mack deutlich zu spüren. Bereits gelieferte Produkte seien zum Teil nicht bezahlt worden. Auf Nachfragen reagiere MV Werften nicht. "Wenn man da anruft, erreicht man niemanden. Da ist Funkstille. Es gibt keine Kommunikation mit der Werft" berichtet der Geschäftsführer des Metallbaubetriebs.

Auch andere Zulieferer berichten von nicht bezahlten Rechnungen. Bestätigt werden diese Auskünfte von einem Schreiben, das MV Werften Anfang April an Auftragnehmer verschickte. "Leider" könnten einige Rechnungen für Arbeiten an der "Global II" und an dem Luxusschiff "Crystal Endeavour" im Moment nicht beglichen werden. Das Geld sei für andere Dinge gebunden. Schuld an der Lage sei das Coronavirus. Nach unseren Recherchen sind Zulieferer-Rechnungen in Höhe von einigen Millionen Euro offen.

Kreuzfahrtschiffe: Auf absehbare Zeit keine Konjunktur

Mehrere unserer Gesprächspartner bezweifeln, dass man die Krise von MV Werften allein auf die Pandemie schieben kann. Ein Zulieferer berichtet von erheblichen Störungen sowohl beim Bau der Riesenschiffe als auch des kleineren Luxusschiffs. Die Arbeitsabläufe seien nicht gut aufeinander abgestimmt. Diese Komplikationen hätten den Baufortschritt verzögert und verteuert. Ein anderer meint, MV Werften habe sich übernommen mit dem Bau der Traumschiffe. Nach übereinstimmenden Berichten von Informanten sollen die Arbeiten an der "Global II" erstmal nicht weitergehen. Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) bestritt gegenüber dem NDR Mecklenburg-Vorpommern, dass das zweite Megaschiff gar nicht mehr zu Ende gebaut werde. Die Fertigstellung verschiebe sich laut Glawe "voraussichtlich bis 2024".

In politischen Gesprächen soll Glawe nach Recherchen von Panorama 3 gesagt haben, Genting rechne mit einer Wiederbelebung des Kreuzfahrttourismus in China ab Juni 2020. Was sind solche Äußerungen wert? Kreuzfahrtschiffe haben auf absehbare Zeit keine Konjunktur. Bernhard Meyer, Seniorchef der Meyer-Werft in Papenburg und einer der weltweit wichtigsten Player auf dem Gebiet, sagte vergangene Woche in einer Videobotschaft, dass er bis 2023 mit keinen neuen Schiffsbestellungen rechne. "Es werden einfach nicht mehr so viele Kreuzfahrtschiffe gebraucht", teilte er mit.

Wie MV Werften, ein Neuling auf dem Gebiet, sich auf dem schrumpfenden Markt durchsetzen kann, bedarf der Erklärung. Man darf gespannt sein, welche Antworten KfW, Bundesregierung und die Landesregierung in Schwerin im Rahmen der Prüfung des Kreditantrags von MV Werften darauf finden werden. Das Unternehmen hat intern jedenfalls angekündigt, dass die Werkhallen "bis auf unbestimmte Zeit" geschlossen bleiben.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 21.04.2020 | 21:15 Uhr

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