Stand: 15.05.2025 21:45 Uhr

Kriegstüchtig: Außer Panzern fehlen auch Psychologen (Manuskript)

Anmoderation Anja Reschke: "In Deutschland dagegen debattiert man gerade, wie wir wieder kriegstauglich werden können. Außenminister Wadephul forderte heute, dass Deutschland 5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben solle, das ist fast der halbe Bundeshaushalt. Und gestern erst mahnte Verteidigungsminister Pistorius, dass wir bis spätestens 2029 wieder kriegstüchtig sein sollen. Das klingt erstmal nach Aufrüstung für die Bundeswehr, nach Panzern, Flugzeugen, Kriegsgerät. Aber wir werden auch Therapeuten brauchen. Denn wir haben ein bisschen verdrängt, was Soldaten und Soldatinnen im Krieg erleben. Christoph Heinzle, Timo Robben und Sugarka Sielaff"

O-Ton Annika Schröder, Hauptfeldwebel a.D.: "Karfreitag ist für mich halt Krieg. Es ist halt der Tag, der mein Leben ... Massiv verändert hat. In dunklen Tagen denke ich halt auch immer, es ist der Tag, der mein Leben zerstört hat."

Annika Schröder spricht über das Karfreitagsgefecht vor 15 Jahren - das brutalste Gefecht in der Geschichte der Bundeswehr. Mit 25 startete die junge Frau in den Afghanistaneinsatz. Sie wollte sich als Sanitäterin beweisen. Ihren Kameraden helfen. Diese Aufnahmen entstehen auf dem Weg zu dem Gefecht, das ihr Leben für immer verändert. Es ist Karfreitag, 2010.    

O-Ton Annika Schröder, Hauptfeldwebel a.D.: "Wenn ich das Wort Karfreitag höre, ist das für mich halt nicht wie für die anderen Deutschen. Es ist halt nicht Ostern, es ist halt Krieg. Es ist halt Gefecht, es ist Afghanistan, es ist Staub, es ist heiß. Es ist der unfassbare Lärm der Munition. Auch natürlich der Anblick der Gefallenen, dieser massiven Verletzung oder Verwundung, auch wie das Ganze riecht. Es riecht halt nach verbranntem Fleisch, das Blut klebt halt an den Händen."

Sie birgt an diesem Tag tote Soldaten. Rettet Verwundete. Denn in der Bundeswehr gibt es das Versprechen: keiner wird im Stich gelassen. Die Sanitäterin glaubt damals noch, dass das auch für sie gilt. Zurück in Deutschland ist es Annika Schröder, die Hilfe braucht.     

O-Ton Annika Schröder, Hauptfeldwebel a.D.: "Es fing halt an mit der Schlaflosigkeit, was ganz, ganz schlimm war, dass ich ständig wirklich in höchster Alarmbereitschaft war.  Wenn zum Beispiel eine Tür knallt, also ein plötzlicher akustischer Reiz, dass ich sofort Herzrasen bekommen habe, Schweißausbrüche."

Der Verdacht: Posttraumatische Belastungsstörung. Eine PTBS. Trotzdem arbeitet sie erstmal weiter bei der Bundeswehr als Ausbilderin. Dabei hat Annika Schröder Panikattacken und Erinnerungslücken, steht oft neben sich. Aber sie schämt sich für den eigenen Zustand. Ihr Ehrgeiz lässt sie weiter machen. Und die Bundeswehr? Therapiert die junge Frau nicht wirksam.

Schließlich erklärt die Bundeswehr sie zwar für dienstunfähig, gibt ein Gutachten in Auftrag, aber da heißt es: Die Gründe für ihre Krankheit seien vielfältig. Das Karfreitagsgefecht sei jedenfalls nicht ausschlaggebend.

O-Ton Annika Schröder, Hauptfeldwebel a.D.: "Aus meinen Gesundheitsunterlagen ist klar erkenntlich, dass meine psychischen Probleme erst nach dem Afghanistan-Einsatz angefangen haben. Und für mich ist es halt nicht nachvollziehbar, warum ich jetzt seit 15 Jahren durch die Hölle gehe und mir keiner glaubt, obwohl die Unterlagen da sind, dass es mit dem Afghanistan Einsatz, mit dem Karfreitagsgefecht zu tun hat."

Im Gutachten heißt es: Die Patientin sei nicht glaubwürdig. Fazit: "Die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung (...) kann also nicht mit der gebotenen diagnostischen Sicherheit festgestellt werden." Wir lassen das Gutachten von einem Traumatherapeuten überprüfen. Dr. Arne Hofmann forscht und arbeitet zu PTBS. Er trifft die Soldatin zwar nicht persönlich - seine Diagnose des Gutachtens ist aber eindeutig:

O-Ton Dr. Arne Hofmann, Facharzt für Psychosomatische Medizin: "Das Gutachten ist gut, fleißig bemüht, hat aber erhebliche Lücken und hat einige richtige Fehler und Fortbildungsmängel, sag ich mal."

Traumatisierte können auf den ersten Blick nicht glaubwürdig wirken, so Hofmann.   

O-Ton Dr. Arne Hofmann, Facharzt für Psychosomatische Medizin: "Weil das Gefühl nicht da war. Und es dadurch nicht glaubhaft wirkte in der sogenannten Gegenübertragung, was der Therapeut wahrnimmt, was die Gefühle des Patienten sind. Aber wenn die Gefühle weggebunkert sind, weil der personalisiert ist, dann hat er die Gefühle nicht. Und das Wichtigste, sie beschreibt lange Phasen, wo sie neben sich steht. So, das ist ein klassisches Zeichen für Depersonalisation und das ist genau das, was diese Diagnose erfordert. Das heißt, korrekterweise hätte Diagnosen lauten müssen, posttraumatische Belastungsstörung vom dissoziativen Subtyp."

Annika Schröder lebt inzwischen zurückgezogen auf ihrem eigenen Hof. Die Tiere geben ihr Halt. Von der Bundeswehr bekommt sie weiterhin keine Therapie. Und wegen der Fehldiagnose auch keine entsprechende Entschädigung. Wie es mit ihrem Hof weitergeht - unklar. Sie hofft auf eine letzte Begutachtung. Im Bundesverteidigungsministerium möchte man sich zwar zu Einzelfällen nicht äußern.  Der PTBS-Beauftragte der Bundeswehr, Peter Zimmermann, sieht aber kein grundsätzliches Problem bei der Bundeswehr.        

O-Ton Peter Zimmermann, PTBS-Beauftragter Verteidigungsministerium: "Ich muss wirklich sagen, wir haben immer mal wieder Menschen, die auch mal durchs Raster fallen, was aber ganz sicher kein böser Systemwille ist, sondern eine Fehleinschätzung oder sowas kann tatsächlich passieren in jedem System. Das würde ich auch für die  Bundeswehr nicht verhehlen. Ich würde aber sagen, es ist sehr selten und ich würde auch sagen, es wird bei weitem überdeckt von einem insgesamt wirklich extrem sorgfältigen und fürsorglichen System, das wir hier haben, gerade versorgungsrechtlich."       

Sorgfältig? Dabei weiß die Bundeswehr noch nicht einmal, wer alles unter PTBS leidet. Die Bundeswehr hat rund 450.000 Soldaten ins Ausland geschickt. Etwa 2750 davon hat sie anerkannt als PTBS-krank. Doch die Dunkelziffer ist riesig. Nimmt man eine Bundeswehrstudie als Grundlage kommt man auf 13.000 Erkrankte. Viele Soldaten schämen sich offenbar, als psychisch krank zu gelten - die Bundeswehr gibt zu, dass sie nur zehn bis zwanzig Prozent der Erkrankten erreicht.         

O-Ton Peter Zimmermann, PTBS-Beauftragter Verteidigungsministerium: "Wir können mit 10 bis 20 Prozent, selbst wenn es dann im Verlauf auf mal 30 werden, nicht zufrieden sein. Das ist nach wie vor ein sehr wichtiges Thema. Denn eine psychische Erkrankung, die über längere Zeit schwelt, ist zwar dann immer noch behandelbar, aber es wird nicht unbedingt leichter, weil viele Mechanismen chronifiziert sind. Ein schneller Behandlungsbeginn ist definitiv günstig für die Heilungsaussichten."          

Schnelle Behandlung - Manchmal sogar lebenswichtig. Auch Stefano B. war Soldat in Afghanistan. Nach dem Einsatz lautet die Diagnose: PTBS. Andreas Eggert vom Veteranenverband war sein Fallbetreuer. Eggert erinnert sich an die verzweifelten Emails, in denen B.s Frau bei der Bundeswehr um einen Therapieplatz geradezu bettelt.

O-Ton Andreas Eggert, Bund Deutscher Einsatzveteranen: "Wenn sie jetzt nicht reagieren, dann passiert Schlimmeres und dann schafft er es vielleicht auch irgendwann, sich zu töten und das wurde letztendlich vom Truppenarzt damals nicht beantwortet, sondern es wurde ihr über Stefano selber ausgerichtet, sie möge den Truppenarzt in Ruhe lassen und seine Arbeit machen lassen."       

Mehrere Male versucht Stefano sich zu töten. Trotzdem verschiebt die Bundeswehr seine Traumatherapie um ein ganzes Jahr.    

O-Ton Andreas Eggert, Bund Deutscher Einsatzveteranen: "Ich glaube, gerade in diesem Fall haben dort auf vielen Ebenen viele Menschen versagt."

Schließlich trifft Stefano B. eine tragische Entscheidung. Am 26. Januar 2024 fährt er in die Ulmer Innenstadt. Er hat diese Attrappen eines Maschinengewehrs und einer Pistole dabei. Zu diesem Zeitpunkt sind auch zwei Schülerinnen auf dem Weg in die Einkaufspassage. Ihre Eltern erinnern sich an den Abend.

O-Ton Anja J., Mutter der Geisel: "Die wollten beiden ins Kino gehen. Und da sind sie mit dem Zug hingefahren. Und dann wollten die vorher noch ins Starbucks rein und da kam dann der Herr B. dann auch."        

In diesem Starbucks-Café bringt er dreizehn Menschen in seine Gewalt. Sein eigentliches Ziel: Die Polizei soll ihn erschießen. Eine besondere Form des Selbstmords.   

O-Ton Alexander F., Vater der Geisel: "Und dann stand er halt mit einer langen Waffe und einer kurzen Waffe, hat sie bedroht, hat sie zusammengetrieben."

O-Ton Anja J., Mutter der Geisel: "Dann hat er die zwei Jugendlichen ins Visier genommen und hat dann mit der Pistole auch auf sie gedeutet und gesagt, so, ihr zwei raus!"       

Die beiden Freundinnen dürfen gehen und rufen sofort die Polizei. Schnell rückt das SEK an - und nimmt das Café ins Visier. Das Gebiet wird weiträumig abgesperrt. Stefano B. lässt nach und nach die Geiseln gehen. Bis er schließlich mit einer jungen Frau vor die Tür tritt. Mit dem Ziel selbst erschossen zu werden. Und Die Polizei eröffnet das Feuer.  Keine der Geiseln wird verletzt. Stefano B. überlebt, aber schwer entstellt, sein Kiefer wurde weggeschossen. Das Gericht verurteilt ihn zu sechs Jahren Freiheitsstrafe und stellt fest: Die PTBS hat maßgeblich zur Tat beigetragen. Die Mutter der Geisel appelliert an die Bundeswehr:

O-Ton Anja J., Mutter der Geisel: "Was mir sehr wichtig ist, gibt es Möglichkeiten, um in Zukunft so was zu verhindern, um Menschen, die mit einem PTBS zurückkommen, also vor allem Soldaten aus entsprechenden Einsätzen, vorzeitig zu helfen, bevor sie so verzweifelt sind, um so eine Tat zu begehen. Irgendwas hat hier nicht so funktioniert, wie es hätte funktionieren sollen."           

Schnelle Behandlung - statt ein Jahr warten - hätte hier vielleicht Schlimmes verhindern können. Im Bundesverteidigungsministerium räumt man ein: Tatsächlich fehle es der Bundeswehr an Therapeuten.        

O-Ton Peter Zimmermann, PTBS-Beauftragter Verteidigungsministerium: "Das ist nach wie vor ein Manko, da müssen wir auch weiter dran arbeiten. Das ist tatsächlich so. Ein Jahr kann sehr verschiedene Gründe haben. Das ist tatsächlich eher sehr lang, aber Wartezeiten drei bis sechs Monate sind schon häufig."

Die Bundeswehr müsse hier besser werden. Annika Schröder hat es geschafft:  eine letzte Begutachtung. Und nun revidiert die Bundeswehr ihre Ablehnung. Jetzt heißt es: Verletzung durch Kriegshandlung, posttraumatische Belastungsstörung. Das Ergebnis eines jahrelangen Kampfes gegen die Bundeswehrbürokratie. Jetzt bekommt Annika Schröder wenigstens finanzielle Entschädigung. Wirklich freuen kann sie sich aber nicht.       

O-Ton Annika Schröder, Hauptfeldwebel a.D.: "Ich habe das gern gemacht, weil mir das wichtig ist, für das Land zu dienen. Aber wir sollten das auch wieder zurückbekommen. Die Dankbarkeit dafür, dass wir ja Leib und Leben riskieren, mit den körperlichen Schäden rechnen, weil sie irgendwo mit einkalkuliert werden. Und an diesem Ansehen und an dieser Dankbarkeit, denke ich, sollte gerade die Bundeswehr deutlich arbeiten."       

Beitrag: Christoph Heinzle, Kai Küstner, Timo Robben, Sugárka Sielaff
Kamera: Frank Gutsche, Roman Hauska, Timo Robben, Andrea Rumpler, Henning Wirtz
Schnitt: Laura Hasl, Lukas Johannsen
Grafik: Viktoria Grunjajew

Abmoderation Anja Reschke: "Mehr über Annikas steinigen Weg seit ihrer Traumatisierung und über weitere Betroffene können sie im NDR Info Podcast "Killed in Action" hören."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 15.05.2025 | 21:45 Uhr

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