"Wie im Film" - Als der VfL Wolfsburg sensationell das Triple gewann

Stand: 23.05.2023 08:38 Uhr

Deutsche Meisterschaft, DFB-Pokalsieg und der Champions-League-Triumph: Vor zehn Jahren katapultierte sich der VfL Wolfsburg sensationell an die Spitze des internationalen Frauenfußballs. Möglich gemacht haben das Triple von 2013 ein perfekt zusammengestelltes Team, viel Leidenschaft und ein kleines bisschen Glück.

von Kristoffer Klein

Ralf Kellermann muss schmunzeln, wenn er an den Abend vor dem Champions-League-Finale 2013 in London denkt. "Beim Abschlusstraining kamen wir an mit unseren VfL-Trainingsanzügen, da war Werbung drauf", erinnert sich der Direktor Frauenfußball des VfL, der damals als Trainer und Sportlicher Leiter fungierte. "Das war aber überhaupt nicht erlaubt und wir mussten die Werbung im Mannschaftsbus abkleben, sonst hätten wir gar nicht erst aussteigen dürfen."

Gegner Lyon war haushoher Favorit

Die Wolfsburgerinnen waren neu in der Königsklasse, noch nicht wirklich vertraut mit dem strengen Reglement der UEFA, und hatten sich völlig überraschend für das Endspiel qualifiziert. Ganz anders ihre Gegnerinnen von Olympique Lyon - die Titelverteidigerinnen, die damals beste Mannschaft der Welt, seit sage und schreibe 95 Pflichtspielen ohne Niederlage.

VIDEO: Kellermann: "Haben gegen Lyon an unsere Chance geglaubt" (20 Min)

"Die kamen im feinen Kostüm und haben uns keines Blickes gewürdigt. Ich will nicht sagen 'arrogant', aber vielleicht wollten sie uns damit einschüchtern", glaubt Kellermann. "Ich habe in der Kabine gesagt, wenn wir zehnmal gegen Lyon spielen, werden wir wahrscheinlich achtmal verlieren, vielleicht schaffen wir ein Unentschieden und einmal würden wir gewinnen."

20.000 Fans im Finale an der Stamford Bridge

Das Stadion an der Stamford Bridge - die Heimat des FC Chelsea - war an diesem 23. Mai 2013 etwa zur Hälfte besetzt, mit knapp 20.000 Fans. "Wir hatten nichts zu verlieren, wir hatten keinen Druck", erzählt Stürmerin Martina Müller, die zwischen 2005 und 2015 für den VfL auf Torejagd ging. "Alle drumherum haben gesagt, dass wir es genießen sollen, und das haben wir dann auch gemacht".

Die Wolfsburgerinnen kämpften, rannten sich die Seele aus dem Leib, um Lyons Starensemble mit der Schwedin Lotta Schelin, der US-Amerikanerin Megan Rapinoe und der halben französischen Nationalelf so gut es ging vom eigenen Tor wegzuhalten. "Als es in der Halbzeit 0:0 stand, war ich davon überzeugt, dass wir das Ding ziehen", berichtet Kellermann. "Man muss einfach sagen, sie haben uns unterschätzt und das war an dem Tag auch unsere große Chance, das Spiel zu gewinnen."

Olympique hatte in der zweiten Hälfte zwar die deutlich besseren Möglichkeiten, schnürte die Wolfsburgerinnen auch immer wieder am eigenen Strafraum ein. Ein Tor gelang an diesem Abend aber nur einer: Martina Müller. Ihr verwandelter Handelfmeter in der 74. Minute brachte dem VfL den Sieg und damit den größten Erfolg der Vereinsgeschichte.

VIDEO: Martina Müller: "Wir haben damals Geschichte geschrieben" (14 Min)

Keine großen Ziele, aber gierig und erfolgreich

Daran hätte im Sommer 2012 - zu Saisonbeginn - niemand auch nur im Traum gedacht. Die Wolfsburgerinnen waren zwar in der vorherigen Bundesliga-Spielzeit überraschend auf dem zweiten Tabellenplatz gelandet und hatten sich damit zum allerersten Mal für die Champions League qualifiziert, aber weder national noch international gehörten sie zu den Favoritinnen.

In der Bundesliga waren Turbine Potsdam und der 1. FFC Frankfurt (heute Eintracht Frankfurt) das Maß der Dinge, die erfolgreiche Ära des FCR Duisburg neigte sich gerade dem Ende zu. "Von daher gab es überhaupt keine große Zielsetzung, sondern wir waren gespannt, was uns erwartet", sagt Kellermann. Allerdings habe er "schnell gemerkt, dass die Gruppe extrem gut zusammenpasst und gierig auf Erfolg ist".

"Das Einheitsgefühl war enorm"

Der VfL der Saison 2012/2013, das war eine interessante Mischung aus jungen, aufstrebenden Spielerinnen wie Alexandra Popp - die als Einzige immer noch das Wolfsburger Trikot trägt -, aus gestandenen Nationalspielerinnen wie Nadine Kessler, Lena Goeßling oder Josephine Henning und dem unwiderstehlichen Stürmerinnen-Duo Martina Müller und Conny Pohlers. "Das Einheitsgefühl war so enorm bei uns, jede ist für die andere gelaufen, das war wirklich besonders", erinnert sich Müller. "Wir haben uns in einen echten Flow gespielt."

Von Beginn an punkteten die Wolfsburgerinnen in der Bundesliga konstant, besiegten in der Hinrunde unter anderem auch die stärker eingeschätzten Potsdamerinnen und Frankfurterinnen und kassierten erst in ihrem elften Saisonspiel die erste Niederlage. Direkt danach begann die nächste Siegesserie, so dass den VfL-Frauen schon nach dem drittletzten Saisonspiel - einem 4:1-Auswärtssieg in Leverkusen - die erste Meisterschaft der Vereinsgeschichte nicht mehr zu nehmen war.

Großes Stadion, Konfetti und "We are the Champions"

"Es fühlt sich richtig gut an, wir sind überglücklich", freute sich Kapitänin Kessler damals nach dem Schlusspfiff. "Es ist der wichtigste Titel, weil er zeigt, dass man die ganze Saison über gut gearbeitet hat." Nach dem 4:0 am letzten Spieltag gegen Bad Neuenahr - ausgetragen in der großen VfL-Arena - durfte Kessler dann die Meisterschale entgegennehmen. Inklusive grün-weißem Konfetti-Regen und dem Queen-Hit "We are the Champions" aus den Stadion-Boxen.

"Das Einheitsgefühl war so enorm bei uns, jede ist für die andere gelaufen, das war wirklich besonders." Martina Müller

Ein für sich genommen schon außergewöhnlicher Tag, der aber erst der Anfang gewesen sein sollte. "Es war ein bisschen wie im Film", beschreibt es Kellermann. "Du wusstest, du hast die Meisterschaft gewonnen, kannst aber nur ein bisschen feiern, weil noch zwei große Finalspiele anstehen."

Auch Potsdam und Lyon können den VfL nicht stoppen

Denn genau eine Woche später fand das Endspiel im DFB-Pokal statt, das seit 2010 in Köln ausgetragen wird - als eigenständige Veranstaltung, abgekoppelt vom Männer-Finale im Berliner Olympiastadion, wo die Frauen zuvor eher wie ein mittelmäßig wertgeschätztes Vorprogramm wirkten. "Es war damals ein großer Traum von uns, einmal in Köln dabei zu sein", erzählt Kellermann, "denn es bedeutete die größtmögliche Aufmerksamkeit für den Frauenfußball, gerade mit dem Live-Spiel in der ARD".

Und die Wolfsburgerinnen wussten diese Aufmerksamkeit für sich zu nutzen: Müller kurz vor und kurz nach der Pause, sowie Pohlers schossen den VfL mit 3:0 in Führung - ein scheinbar sicherer Vorsprung. Allerdings bekam der Trainer und Sportliche Leiter Kellermann dann an der Seitenlinie doch noch ein paar graue Haare, wie er anschließend verriet, denn Turbine verkürzte noch zum 3:2.

"Mein altes Herz hätte das fast nicht mehr mitgemacht", sagte auch Pohlers nach dem Schlusspfiff. "Ich bin so froh, dass es da einen Fußball-Gott gibt, der uns den Titel doch noch gegeben hat." Ein weiteres erstes Mal für den Club und Kapitänin Kessler reckte binnen weniger Tage die zweite Trophäe in einen Stadion-Himmel.

Waren die ersten beiden, nationalen Titel dieser Triple-Saison 2012/2013 mindestens überraschend, so war Titel Nummer drei nichts weniger als eine Sensation. Olympique Lyon hatte zu dem Zeitpunkt die Champions League gerade zweimal in Folge gewonnen, alle rechneten mit einem dritten Triumph.

Einsatz, Leidenschaft und etwas Glück gegen Lyon

Aber mit großem Einsatz, viel Leidenschaft, etwas Glück und Müllers Handelfmetertor kam an der Londoner Stamford Bridge alles ganz anders. "Ich war komplett im Tunnel, habe nur das Tor und die Torhüterin gesehen und ihn einfach mitten rein geknallt", erinnert sich die Schützin von damals, die diesen vielleicht wichtigsten Schuss ihrer Karriere seitdem gar nicht so gerne anguckt. "Ich denke immer, was wäre gewesen, wenn ich drüber geschossen hätte? Und das macht mir dann schon ein Kribbeln im Bauch und Herzklopfen."

Ein unnötiges Gedankenspiel, denn der Ball zappelte im Netz und knapp 20 Minuten später war der dritte Wolfsburger Titel perfekt. Für den VfL, der seitdem in jedem Jahr mindestens eine weitere Trophäe gewonnen hat, ist es bis heute die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte. Für Müller, die zuvor mit der Nationalelf schon Welt- und Europameisterin geworden war, ist das Triple mit dem VfL Wolfsburg "das Schönste, das ich in meiner Karriere erlebt habe".

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Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 23.05.2023 | 10:17 Uhr

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