Stand: 05.10.2014 12:25 Uhr

Stani: Supermarkt im Kopf, St. Pauli im Herzen

von Bettina Lenner, NDR.de und Patrick Halatsch, NDR Fernsehen

Seit Juli bereitet sich Ex-Bundesligatrainer- und Spieler Holger Stanislawski auf seine neue Aufgabe als Manager eines Supermarktes in Hamburg-Winterhude vor. Der NDR hat den 45-Jährigen bei seinem Job begleitet und erfahren: Trotz neuen Lebensmittelpunkts ist selbst eine Rückkehr zum FC St. Pauli denkbar.

Holger Stanislawski (r.) spricht in seinem Supermarkt mit einer Kundin.
Der Kunde ist König: Holger Stanislawski in seinem Supermarkt.

Eine Kundin beklagt sich bitterlich über die Parksituation. Zu viele Autos, zu wenig Platz. Holger Stanislawski hört aufmerksam zu, beruhigt: "Wir kümmern uns darum und finden einen Weg." Das klingt nicht nur so dahergesagt, sondern glaubhaft. Die Anwohnerin ist zufrieden und verrät glücklich: "Meine Tochter ist St.-Pauli-Fan. Sie kommt extra wegen Stani aus Bramfeld zum Einkaufen hierher."

Seit dem 1. Juli durchläuft Stanislawski ebenso wie Ex-HSV-Kicker Alexander Laas eine mehrmonatige Einarbeitungsphase im Rewe-Center an der Dorotheenstraße in Hamburg-Winterhude, ab Ende Oktober werden die beiden ehemaligen Fußball-Profis offiziell die Geschäftsführer des Supermarktes. Zugegeben: Stanislawski, der einstmals beinharte Verteidiger des FC St. Pauli und langjährige Trainer der Kiezkicker, zwischen Käsetheke, Bioeiern und Putzmitteln - das ist nicht nur ein ungewohnter, sondern auch gewöhnungsbedürftiger Anblick. Doch für "Stani" ist der Schritt, der in Fußballer-Kreisen für Erstaunen sorgte, ein logischer: "Es ist meine Stadt und eine Möglichkeit, mir unabhängig vom Fußball ein zweites Standbein aufzubauen. Ich kaufe grundsätzlich gerne ein und nehme mir auch immer Zeit dafür. Ich kann meine eigenen Vorstellungen einbringen und mich mit meinen beiden Kollegen zusammen verwirklichen", schildert er bei den Dreharbeiten zu den "Sportclub Stars".

"Es macht superviel Spaß"

Über 6.000 Quadratmeter Laden, rund 1.000 Quadratmeter Lager, ein Parkhaus über drei Ebenen, ein Sortiment von 40.000 bis 50.000 Waren, mehr als 100 Mitarbeiter, über 27 Millionen Euro Umsatz im Jahr - "Das ist schon eine etwas größere Managertätigkeit. Aber es macht superviel Spaß, du lernst unheimlich viel, das ist richtig gut", beteuert Stanislawski. Sein langjähriger Vertrauter Bernd Enge, der ihn einst bei Concordia Hamburg trainierte und als Dritter im Bunde seine jahrzehntelange Erfahrung im Einzelhandel einbringt, bescheinigt seinem ehemaligen Schützling auch auf neuem Terrain großes Talent: "Holger ist nach wenigen Wochen so weit wie andere nach drei Jahren. Er hat einen Bezug zu Lebensmitteln, kann organisieren und weiß, wie man Menschen führt."

Erst Dienstleister am Fan, dann am Kunden

Holger Stanislawski (r.) in seinem Supermarkt
Stani nimmt ein Probehäppchen.

Ein Warentisch ist verschoben, Stanislawski rückt den Korb zurecht. "Schön gerade und auf Naht stellen", mahnen lachend zwei Mitarbeiterinnen. Ihr künftiger Chef grinst: "Klar, der eine oder andere erkennt mich. Viele freuen sich, auch die Mitarbeiter. Die wollen wir mitnehmen, das ist wie im Fußball." Als St.-Pauli-Trainer hatte es der 45-Jährige wie kaum ein Zweiter verstanden, den schmalen Grat zwischen kumpelhaft und autoritär zu meistern. Die richtigen Worte zur richtigen Zeit und das berühmte "Wir-Gefühl" schaffen, das soll auch jetzt ein Schlüssel zum Erfolg sein. Stanislawski weiß: "Du musst die Leute mitnehmen und motivieren, sonst funktioniert das nicht. Auch hier geht es um eine Dienstleistung. Ich habe immer zu meinen Jungs gesagt, wir sind Dienstleister am Fan. Hier sind wir Dienstleister am Kunden. Die Kunden müssen zufrieden nach Hause gehen."

Burn-out-Gerüchte ein Ärgernis

Convenience Food, Rezeptberatung und Mindesthaltbarkeit statt Ecke, Flanke, Tor - Stanislawski geht das über die Lippen, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Die Ideen sprudeln nur so aus ihm heraus. Der einstige Verteidiger kniet sich zu 100 Prozent rein, ist fokussiert, akribisch, authentisch, das war schon im Fußball so. Auf 80 Erstligaeinsätze hat es der ehemalige Abwehrrecke gebracht, mit St. Pauli feierte er zwei Bundesliga-Aufstiege (1995 und 2001) als Spieler und einen als Trainer (2010). Dem tränenreichen Abgang nach 18 Jahren am Millerntor im April 2011 folgten glücklose Trainerengagements beim Bundesligisten 1899 Hoffenheim und beim damaligen Zweitligisten 1. FC Köln, seit Mai 2013 war er dann ohne Job - selbstgewählt. "Mir tat das unheimlich gut, den Fußball in Ruhe zu betrachten. Für mich war das der beste Weg", sagt der Hamburger, der sich mit Burn-out-Gerüchten konfrontiert sah. Für ihn ein Ärgernis: "Ich habe meinen Vertrag aufgelöst und gesagt, ich übernehme ein halbes Jahr keinen Job. Mehr habe ich nicht getan. Ich finde es sehr leichtfertig, mit diesen Begrifflichkeiten so umzugehen, da muss man sehr vorsichtig sein."

"Der Fußball ist oft oberflächlich. Es dreht sich alles sehr schnell. Geduld und Zeit hat man im Fußball in den seltensten Fällen. Deshalb muss man wissen, wenn man sich für den Job entscheidet: Das ist ein Wochengeschäft. Es zählt das nackte Ergebnis, ob du gut oder schlecht gespielt hast. Das ist nicht immer schön und verfälscht auch viele Dinge. Das ist so, als würden wir keine Häuser mehr Stein auf Stein bauen, sondern wir setzen überall nur noch Fertighäuser hin, dann ist es schnell fertig." Holger Stanislawski

St. Pauli immer im Blick

Die neue Aufgabe als Supermarktleiter gibt Stanislawski die Freiheit, nicht mehr allein auf den Trainerberuf setzen zu müssen. "Ich glaube nicht, dass ich mit 65 irgendwo auf der Trainerbank sitzen werde", sagt er. Passé ist der Fußball aber nicht. "Ich bin jetzt in der glücklichen Lage, nicht mehr kreuz und quer durch Deutschland tingeln zu müssen, um dann unbedingt etwas anzunehmen. Ich habe hier eine Aufgabe und werde immer Teilhaber bleiben. Aber wenn ein richtig gutes, spannendes Projekt kommt, setze ich mich extrem damit auseinander und dann kann es durchaus sein, dass ich nochmal eine Trainer- oder Managertätigkeit annehmen werde", unterstreicht er.

Vielleicht sogar bei seiner alten Liebe St. Pauli: "Ich drück' dem FC St. Pauli immer die Daumen und habe mindestens anderthalb Augen drauf. Es ist und bleibt ein ganz großer Abschnitt meines Lebens. Ich habe da viele phantastische, positive und auch traurige Momente gehabt - ich würde nie ausschließen, dass ich in irgendeiner Funktion irgendwann noch einmal am Millerntor auflaufe." Vorerst muss er aber mit der Floristin telefonieren, Einstellungsgespräche führen und die Umbauarbeiten im alten Straßenbahndepot von 1927 überwachen. Langeweile kommt da nicht auf - auch das ist wie im Fußball.

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 05.10.2014 | 22:50 Uhr

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