Wie barrierefrei ist der Lübecker Weihnachtsmarkt?

Stand: 10.12.2023 06:00 Uhr

Der Besuch eines Weihnachtsmarktes stellt Menschen im Rollstuhl vor Herausforderungen. Schon kleine Hindernisse können zum großen Problem werden, wie ein Besuch in Lübeck zeigt.

von Marina Heller

An einem verschneiten Tag im Dezember mit Freunden auf dem Weihnachtsmarkt einen Glühwein trinken. Was für viele Menschen im Land selbstverständlich ist, wird für Eileen Lensch zu einem Nachmittag voller Hindernisse. Die Probleme beginnen für Eileen schon bei der Parkplatzsuche. Der starke Schneefall hat dazu geführt, dass die Behindertenparkplätze nicht vollständig geräumt wurden. Die ohnehin angespannte Parkplatzsituation in der Lübecker Altstadt wird so zu einem Abenteuer. Das Ziel des heutigen Ausflugs ist der überdachte Kunsthandwerkermarkt im Heiligen-Geist-Hospital. Die Suche nach einem barrierefreien Eingang kostet wertvolle Zeit. "Es gibt keine Beschilderung und die herumliegenden Kabelschutzbrücken sind für mich ein echtes Problem", schildert Eileen ihren ersten Eindruck.

Kleine Stufen werden zum großen Hindernis

Der Eingangsbereich der Kirche stellt die nächste Herausforderung dar. Die schmale Tür und eine kleine Stufe sind ohne fremde Hilfe nicht zu überwinden. Die ständige Abhängigkeit von anderen Menschen belasten die Betroffenen in ihrem Alltag. Nach einem kleinen Rundgang ist dann plötzlich Schluss für die Rollstuhlfahrerin. Drei Stufen führen in den inneren Bereich der Ausstellungsfläche. Die Lösung wäre so einfach: Eine mobile Rampe, die bei Bedarf bereitgestellt wird. Sehnsüchtig schaut Eileen die Treppen rauf. Zu gerne hätte sie die Handwerksarbeiten der Aussteller bewundert.

"Barrierefreiheit müsste mitgedacht werden"

Eileen und Chrstiane versuchen beim Dosenwerfen abzuräumen © NDR Foto: Marina Heller
Die hohen Ablageflächen machen es für Menschen mit Beeinträchtigungen unnötig schwer an Aktionen teilzunehmen.

"Ich rege mich auf, dass Barrierefreiheit nicht von Anfang an mitgedacht wird. Denn mitgedacht ist halb gemacht. Es wird immer auf den Brandschutz oder Denkmalschutz verwiesen. Diese Dinge stehen über der Teilhabe am öffentlichen Leben für Menschen wie mich", erzählt sie sichtlich enttäuscht. Beim Verlassen der Kirche taucht schon die nächste Problematik auf. Die Straßen sind kaum geräumt, was zu einer langen Suche nach einer Möglichkeit führt, die Straße zu überqueren.

Höhe der Stände sorgt für Frust

Auf dem Weihnachtsmarkt angekommen tauchen die nächsten Barrieren auf. Nicht nur Eileen hat mit dem Kopfsteinpflaster zu kämpfen. Auch ältere Personen mit Gehwagen schaffen es auf dem rutschigen Untergrund nur mühsam von Stand zu Stand. Die Höhe der Stände sorgt für noch mehr Frust. Die Verkaufsflächen sind viel zu hoch angelegt. Kinder und Rollstuhlfahrer können nicht sehen, was an den Ständen angeboten wird.

Eine Selbstverständlichkeit wie der Gang zur Toilette ist für Rollstuhlfahrer kaum möglich. Es gibt keine Beschilderung, wo sich die nächste behindertengerechte Toilette befindet und selbst wenn eine vorhanden wäre, bedeutet es noch lange nicht, dass diese auch nutzbar ist.

Eileen entdeckt einen Stand, an dem man Dosen werfen kann. Etwas, was sie gerne ausprobieren möchte. Die Ablagefläche ist schwer zu überwinden, sodass es für sie kaum möglich ist, die Ziele richtig zu treffen. "Ich lasse mir davon den Spaß nicht verderben! Ich finde immer eine kreative Lösung für die Probleme, die mir im Alltag begegnen", erzählt Eileen, während Sie versucht die Dosen zu treffen.

Keiner der Stände hält Plätze für Menschen im Rollstuhl bereit

Zum Abschluss werden Crêpes und Glühwein bestellt. Auch das funktioniert nicht ohne Unterstützung von Fremden. Eileen ist nicht in der Lage, ihr Essen selbst entgegenzunehmen. Bei der Suche nach einem Platz dann die nächste Enttäuschung: Es gibt keine barrierefreien Tische, an denen sie es sich gemütlich machen könnte. Selbst das Abstellen des Glühweines wird auf den Stehtischen zur Glückssache, da Eileen nicht sehen kann, wo Sie ihren Becher hinstellt.

Trotz der vielen negativen Erfahrungen lässt sie sich ihre Weihnachtsstimmung nicht nehmen und genießt die Zeit auf dem Weihnachtsmarkt in vollen Zügen. Ihr Wunsch für die Zukunft ist dabei bescheiden: Mehr Aufmerksamkeit für Menschen mit Einschränkungen in der Öffentlichkeit.

Weitere Informationen
Ein Mädchen sitzt in einem Rollstuhl und schaut auf dem Spielplatz einem anderen Kind beim Spielen zu. © Colourbox Foto: #282776

Inklusion und Teilhabe - Wie kann das gelingen?

Menschen mit Behinderung mitten in der Gesellschaft - das meint Inklusion. Wo steht Deutschland beim Thema Teilhabe? mehr

Eine Rollstuhlfahrerin steht beim Wacken Open Air im Schlamm und macht den "Metalgruß" mit der Hand. © NDR Foto: Jörn Zahlmann

Wacken mit dem Rollstuhl: Wie eine Rollifahrerin durch den Matsch kommt

Beim Wacken Open Air hilft man sich: Das gilt besonders für Rollstuhlfahrer. Rollifahrerin Andrea Schütt erzählt. mehr

Zwei Rollstuhlfahrerinnen segeln auf der Kieler Woche. © NDR Foto: NDR

Inklusion: Rollstuhlgerechtes Segeln auf der Kieler Woche

Die umgebaute "Henk de mol" bietet Platz für gleich drei Rollstuhlfahrer. Das ist auf normalen Segelbooten sonst kaum möglich. mehr

Oksana im Rollstuhl ohne Beinprothesen, daneben ihr Mann. © NDR

Zu wenige barrierefreie Unterkünfte für Geflüchtete mit Behinderung

Die Krankenschwester Oksana wurde als Minenopfer aus der Ukraine evakuiert. Ihre Unterkunft in Hamburg ist nicht barrierefrei. mehr

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 10.12.2023 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Menschen mit Behinderung

Nachrichten aus Schleswig-Holstein

Eine lächelnde Frau sitzt in einem hellen Raum in einem Sessel. © NDR Foto: Lisa Pandelaki

Wie eine App auf dem langen Weg zum Wunschkind helfen kann

Eine Frau aus Kiel ist an ihrem lange unerfüllten Kinderwunsch fast zerbrochen. Sie hat aber einen Weg gefunden - und unterstützt jetzt andere Betroffene. mehr

Videos