Kiel Gaarden: Drogen-Szene besorgt Anwohnende und Polizei

Stand: 15.11.2023 11:50 Uhr

Die Stadt Kiel hat ein Drogenproblem: Besonders sichtbar wird das im Stadtteil Gaarden. Dort wird immer häufiger auf offener Straße Crack konsumiert. Die Droge macht besonders schnell abhängig.

Dass im Kieler Stadtteil Gaarden-Ost Drogen konsumiert und gehandelt werden, ist nichts Neues. Neu ist, dass der Konsum immer mehr direkt auf der Straße stattfindet - sogar auf einer der Hauptstraßen mitten durch den sozialen Brennpunkt, dem Karlstal. Seit dem Sommer wird der Konsum immer präsenter, sagt Kiels Polizeisprecher Matthias Arends. Die Polizei will deshalb kurzfristig häufiger rund um das Karlstal unterwegs sein - vor allem, um an die Hintermänner im Drogengeschäft zu kommen.

Zusammen wollen die Stadt Kiel, Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) und die Polizei eine Sicherheitspartnerschaft ins Leben rufen, um das Problem langfristig in den Griff zu kriegen. Mit dabei sein sollen auch Justiz, Gesundheitsmanagement, die Bürgerinnen und Bürger sowie die Wohnungswirtschaft.

Ein Spaziergang durchs Karlstal

Blickt man ins Karlstal, ist das Problem allgegenwärtig: Mitten am Tag, mitten auf der Straße wird dort Crack gekocht und konsumiert. Crack wird aus Kokain hergestellt und über eine Pfeife geraucht. Die Wirkung der Droge tritt sofort ein: Konsumenten haben enorme Glücksgefühle und können tagelang wach bleiben. Lässt die Wirkung nach, folgt die Depression - viele werden so sehr schnell abhängig. Über die Lage in Gaarden hatten die Kieler Nachrichten erstmals berichtet.

Der Vinetaplatz in Kiel-Gaarden. © NDR Foto: Julia Jänisch
Auf dem Vinetaplatz in Kiel-Gaarden treffen sich immer wieder Drogenabhängige.

Um die Mittagszeit sind im Stadtteil viele Menschen unterwegs, essen, kaufen ein. Der Supermarkt an der Ecke zum Vinetaplatz ist ein beliebter Treffpunkt - vor allem für Obdachlose und Drogenabhängige. Gianna Forleo ist seit Oktober 2022 regelmäßig in Gaarden unterwegs. Für den Kinder- und Jugendhilfe Verbund ist sie Teil des Projekts "Aufsuchende Sozialarbeit". Sie erzählt: "Der Konsum ist schon öffentlicher. Offensichtlicher. Also: Wir hatten eine Situation, da haben 16 Personen mitten im Karlstal auf dem Boden zusammengesessen und Crack geraucht. Wir arbeiten drogenakzeptierend, aber wir wollen natürlich auch nicht unmittelbar zwischen der Dealerei und dem Konsum stehen."

Es sind Situationen wie diese, die die Sozialarbeiterin, Anwohnerinnen und Anwohner sowie die Polizei immer mehr beunruhigen. Die Polizei möchte vor allem an die Drogendealenden herankommen - allein in diesem Jahr seien schon 20 Dealer festgenommen und in U-Haft verbracht worden. Das seien laut Polizei mehr als normalerweise. Das Problem: Für jeden Dealer, der geht, rücke ein neuer nach. Ein weiteres Problem sind sogenannte "Läufer": Jugendliche, die als Dealende eingesetzt werden. Da sie so jung sind, sind sie noch nicht strafmündig.

Auch Mitglieder der Szene in Kiel-Gaarden sind besorgt

Dass sich im Stadtteil Gaarden-Ost etwas verändert hat, sagen viele. Dazu gehört auch Viktor. Er wohnt in Gaarden und kennt die Drogenszene seit langem: "Es ist schrecklich, dass das so geworden ist. Das Karlstal, das hat sich richtig zum Schlechten verändert. Denn Crack ist billig und die Leute setzen sich hier hin und kochen das auf." Nur einen Block vom Karlstal entfernt liegt der Vinetaplatz, der Marktplatz von Kiel-Gaarden. Sozialarbeiterin Gianna Forleo trifft hier jemanden, der selbst lange cracksüchtig war, die beiden kennen sich schon lange. Auch er erzählt: "Es ist total aus dem Ruder gelaufen. Selbst, wenn du nichts nehmen willst, hält dir irgendjemand immer 'ne Pfeife mit 'nem Stein hin. Im Großen und Ganzen ist es schlimmer geworden."

Wohnungsmangel verschärft die Situation

Dass sich die Lage in Kiel-Gaarden so zuspitzt, dafür gebe es viele Gründe, sagt Sozialarbeiterin Gianna Forleo - doch einer sei entscheidend: "Der Wohnraum wird immer weniger. Viele Leute, die Probleme haben, fallen natürlich aus dem System. Die haben keine Wohnung mehr und gehen in die Obdachlosigkeit. Und wo sollen sie konsumieren, wenn sie kein Wohnzimmer haben? Dann tun sie's auch unmittelbar da, wo sie ihren Stoff kriegen." Die Stadt gebe sich Mühe dabei, Unterkünfte zu schaffen, aber auch die könnten ja keinen Raum herbeizaubern.

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Erst im Juli 2023 war in Gaarden ein Garten am Steinmarderweg geräumt worden - dort hatten sich bis zu 30 Obdachlose und Drogenabhängige aufgehalten. Dadurch habe sich das Drogen-Problem im Stadtteil aber nur an andere Orte verlagert, erzählt Forleo. Es müsse Alternativen geben. Das Vertreiben und Aufscheuchen habe nur einen kurzen Effekt, ohne die Probleme zu beheben. So sieht es auch die Polizei. Sie will einerseits den Drogen-Schwerpunkt aus Gaarden weg verlagern, andererseits aber auch verhindern, dass andere Stadtteile Kiels mit demselben Problem überschwemmt werden, so ein Sprecher.

Beschaffungskriminalität steigt

Eine weitere Folge von knappem Wohnraum und Obdachlosigkeit ist: Viele bekommen keine Sozialleistungen mehr. Die Sucht der Betroffenen aber bleibt und die Drogen kosten Geld. Ans Geld kommen die Süchtigen durch Diebstahl - gerade die Beschaffungskriminalität im Stadtteil nimmt zu, sagt Kiels Polizeisprecher Matthias Arends: "In letzter Zeit gab es rund 300 Pkw-Aufbrüche sowie Kelleraufbrüche und Ladendiebstähle. Es geht um alles, was sich schnell zu Geld machen lässt."

Schnelle Lösungen sind schwierig

Eine Lösung für die Situation in Kiel-Gaarden hat Sozialarbeiterin Gianna Forleo nicht. Sie sagt, eine Anlaufstelle für Obdachlosigkeit direkt im Stadtteil könnte etwas ändern - denn viele Einrichtungen seien auf der anderen Fördeseite und damit für viele schlecht zu erreichen. Auch Substitutionsstellen seien teilweise überfüllt, sodass die Leute keinen Platz bekämen, um von ihrer Sucht loszukommen. Und sie wünscht sich eine bessere Infrastruktur für Abhängige direkt vor Ort: "Wir brauchen einen Safer-Place - das heißt Orte, wo sie geduldet sind, wo sie begleitet werden, wo sie konsumieren dürfen." Denn Sucht suche sich niemand aus, so die Sozialarbeiterin.

So einen Safer-Place, einen Drogenkonsumraum, plant die Stadt Kiel. Aber bewusst nicht in Gaarden, sagt Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD). Denn es sollten nicht noch mehr Anreize für Drogenkonsumenten gesetzt werden, um nach Gaarden zu kommen. Stadt und Innenministerium möchten Gaarden außerdem wohnbaulich anders entwickeln - doch das brauche Zeit. Einig sind sich alle Beteiligten: Bis man das Drogen-Problem annähernd in den Griff bekommt, ist es noch ein langer Weg.

Drogenproblem auch auf dem Kieler Westufer

In Schleswig-Holstein scheint die Drogenszene vor allem ein Kieler Problem zu sein: Als weiterer Hotspot in der Drogen-Szene gilt der Schützenpark auf dem Westufer der Landeshauptstadt. Auch dort kommt es laut Polizei immer wieder zu Kontrollen und Verhaftungen. Die Polizeidirektionen in Lübeck, Flensburg und Neumünster teilten NDR Schleswig-Holstein auf Anfrage mit: Dort gebe es keine Veränderung der Szene und kein erhöhtes Vorkommen von Crack. Laut Landeskriminalamt Schleswig-Holstein haben Crackkonsum und -besitz in Schleswig-Holstein dieses Jahr aber im Durchschnitt zugenommen.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 14.11.2023 | 19:30 Uhr

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