Hausärzte in Schleswig-Holstein kritisieren AOK-Pflegereport

Stand: 25.09.2023 20:06 Uhr

AOK-Chef Tom Ackermann spricht bei der Vorstellung des Pflegereports Mitte September davon, dass auch Schleswig-Holstein ein "ernsthaftes Versorgungsproblem" bei Schlaf-und Beruhigungsmitteln hat. Doch der Hausärzteverband im Land hält die Zahlen für nicht aussagekräftig.

von Hauke von Hallern

Laut der AOK-Studie erhalten 6,6 Prozent der Heimbewohner in Schleswig-Holstein eine "problematische Dauerversorgung" von Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Damit liegt der Norden unter dem bundesweiten Durchschnitt von 7,6 Prozent. Die dauerhafte Einnahme von Schlaf- und Beruhigungsmitteln birgt laut AOK erhebliche Risiken und kann zu einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen. Es drohen demnach unter anderem Abhängigkeit, erhöhte Sturzgefahr und die Entstehung von Angstgefühlen, Depressionen und Aggressionen. Die Auswertung der Verordnungsdaten macht nach Ansicht der AOK deutlich, dass hier ein ernsthaftes Versorgungsproblem besteht.

Ein ähnliches Bild zeigt sich im Norden bei der Dauerverordnung von Antipsychotika bei Demenzkranken. Auch hier liegt Schleswig-Holstein mit 8,8 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt von 9,5 Prozent.

Große regionale Unterschiede

Mit Blick auf die Kreise variieren die Ergebnisse der AOK-Studie erheblich: So liegt die Dauerversorgung mit Medikamenten in Flensburg bei 11 Prozent - in Pinneberg bei 3,6 Prozent. Dem Vorsitzenden des Hausärzteverbands Schleswig-Holstein, Jens Lassen, sind die Zahlen nicht detailliert genug. "Es gibt verschiedene vollstationäre Pflegereinrichtungen. In psychiatrischen Einrichtungen werden zum Beispiel tendenziell mehr Schlaf- und Beruhigungsmittel verordnet, als in Heimen ohne diesen Schwerpunkt. Welche Art von Heimen es in welchen Kreisen gibt, geht nicht aus den Zahlen hervor", meint Lassen. Rückschlüsse auf das generelle Verordnungsverhalten von Ärzten ließen sich deshalb nicht ableiten.

Ein Arzt hält eine Blisterverpackung mit Tabletten in der Hand. © picture alliance/Zoonar/Robert Kneschke Foto: Robert Kneschke
AUDIO: Zu viele Medikamente in Pflegeheimen in SH? (1 Min)

Lassen: Dauertherapie manchmal notwendig

Im Einzelfall könne eine Dauermedikation durchaus auch notwendig sein. Natürlich würde man sich wünschen, dass der Anteil der Menschen im Pflegeheim, der mit Schlaf- oder Beruhigungsmitteln behandelt wird, bei null Prozent liege, erklärt Lassen. "Aber so ein Wunsch geht schlicht und einfach an der medizinischen Realität vorbei. Und es gibt Krankheiten bei älteren Menschen, die eine solche Behandlung erforderlich machen." Eine Dauermedikation werde im Einzelfall immer sehr gründlich abgewogen. Sie sei nicht problematisch. "Sie ist schlicht und einfach eine medizinische Notwendigkeit."

Patientenberater: Ärzten geht Überblick verloren

Die Unabhängige Patientenberatung Schleswig-Holstein berät nach eigenen Angaben Angehörige eher selten zu Medikationsproblemen in Pflegeheimen. Sie kritisiert aber, dass bei Ärzten oft der Überblick bei der Gesamtmedikation verloren ginge. Und zwar genau dann, wenn Patienten von mehreren Ärzten betreut werden. Bei der Medikation müssten sich Ärzte, Apotheker und Pflegekräfte gut abstimmen und das funktioniere bei wechselnden Akteuren schlechter. Nach Ansicht der Unabhängigen Patientenberatung seien die regionalen Unterschiede so erklärbar.

Die Ärztekammer meint, dass wegen des Fachkräftemangels weniger Zeit bleibe, Patienten zu beruhigen. Das geschehe dann über Medikamente.

Weitere Informationen
Ein Patient bekommt im Liegen eine Halskrause angelegt. © picture alliance / Zoonar Foto: David Herraez Calzada

224 Behandlungsfehler in SH und HH: Das können Patienten tun

Was die Gutachter des Medizinischen Dienstes prüfen - und wie Patienten eine Chance auf Schadenersatz haben. mehr

Ein Pflegeroboter in Nahaufnahme mit Rentnerinnen im Hintergrund. © NDR

Mit Roboter Greta gegen den Fachkräftemangel in der Pflege

Roboter sollen in Pflegeheimen dem Fachkräftemangel entgegenwirken. In einem Heim in Lübeck läuft dazu ein Pilotprojekt. mehr

Jette Petersen sitzt einer alten Dame gegenüber. Sie unterhalten sich. © NDR Foto: NDR

Pflegen ohne Zeitdruck: "Schwester Jette" zeigt, wie es geht

Jette Petersen liebt ihre Arbeitstage beim ambulanten Pflegedienst in Bösdorf im Kreis Plön. Das Wichtigste: viel Zeit für die Menschen. mehr

Ein Arzt tastet die Lymphknoten am Hals einer Frau ab. © Fotolia Foto: gpointstudio

Landärzte in SH: Suche nach Nachfolgern wird noch schwieriger

Vor allem im ländlichen Schleswig-Holstein werden händeringend Hausärzte gesucht. Viele Landärzte stehen kurz vor dem Ruhestand. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 26.09.2023 | 06:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Pflege

Nachrichten aus Schleswig-Holstein

Eine lächelnde Frau sitzt in einem hellen Raum in einem Sessel. © NDR Foto: Lisa Pandelaki

Wie eine App auf dem langen Weg zum Wunschkind helfen kann

Eine Frau aus Kiel ist an ihrem lange unerfüllten Kinderwunsch fast zerbrochen. Sie hat aber einen Weg gefunden - und unterstützt jetzt andere Betroffene. mehr

Videos