Stand: 18.08.2014 17:09 Uhr

Atomtransporte auf Fähren: Insider packt aus

von Alexa Höber & Ingo Thöne

Die Passagierfähren von Stena Line fahren von Rostock ins schwedische Trelleborg. Besonders jetzt in der Ferienzeit sind immer viele Urlauber an Bord der Fährschiffe. Was die meisten von ihnen nicht ahnen: In regelmäßigen Abständen ist auch radioaktives Material mit an Bord.Und das ist sogar völlig legal. Seit 2009 hat das Bundesamt für Strahlenschutz 70 Transporte von Uranhexafluorid auf Fähren genehmigt. Dieser Stoff ist eine äußerst giftige, radioaktive und korrosive Verbindung aus Uran und Fluor, die in der Uran-Anreicherung eingesetzt wird.

VIDEO: Atomfracht auf Fähren: Insider packt aus (8 Min)

Ein Insider packt aus

Ein Mitarbeiter von Stena Line hat sich Panorama 3 Reportern anvertraut und berichtet, dass die eigene Besatzung vor der brisanten Fracht Angst hat: "Sicherlich bekommt man immer gesagt, dass alles sicher ist. Aber wenn man das Gefahrenpotential einer solchen Ladung kennt, und das ist ja so gut wie jedem bekannt, dann hat man schon Angst. Das ist einfach nicht wegzudenken."

Panorama 3 Reporterin Alexandra Ringling fotografiert Behälter mit radioaktivem Material an Bord einer Fähre. © NDR
Im letzten Jahr konnte sich Panorama 3 Reporterin Alexandra Ringling dem radioaktiven Material problemlos nähern.

Panorama 3 gegenüber erklärt die Reederei, die gefährliche Ladung sei extrem gesichert. Stena Line halte sich an alle Vorschriften. Doch im vergangenen Jahr konnten unsere Reporter bei einem unangemeldeten Dreh ungehindert zur radioaktiven Fracht vordringen. Niemand hielt sie auf. Sie konnten in aller Ruhe Fotos machen und filmen.

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Ingo Thöne, Panorama 3  Foto: Roman Rätzke

Ingo Thöne

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Vor Reportern wird gewarnt

Diesmal bitten wir ganz offiziell um eine Drehgenehmigung. Doch die wird abgelehnt. Wir finden heraus: Die Verantwortlichen warnen sogar intern vor unseren Reportern. Per Mail und Aushang werden Stena-Line-Mitarbeiter angewiesen, nun besonders wachsam zu sein. Darin heißt es: "Bitte erlauben Sie niemandem, während des Ladevorgangs oder der Überfahrt in die Nähe dieser Transporte zu kommen. Bitte achten Sie auf Menschen, die Passagiere filmen oder interviewen."

Email der Reederei Stena Line, in der vor Reportern gewarnt wird. © NDR
Mitarbeiter der Reederei werden aufgefordert darauf zu achten, ob ihnen Reporter Ingo Thöne auffällt.

Wie in einem Fahndungsaufruf werden die Namen unserer Reporter genannt und auch ein Foto veröffentlicht. Auf unsere schriftliche Nachfrage, warum das Unternehmen per Steckbrief vor unseren Reportern warnt, erhalten wir keine Antwort. Doch der Insider vermutet: "Stena Line ist sich sehr bewusst, dass die Atomproblematik ein heißes Eisen ist. Dass sie in der Gesellschaft stark unter Druck stehen könnten, wenn das öffentlich wird - und damit auch Kunden verlieren. Insofern haben sie ein großes Interesse, dass dies nicht an die Öffentlichkeit gerät."

Angst vor den Behältern

Wenn Passagiere dann doch erfahren, was da mit ihnen über die Ostsee schippert, sind viele erzürnt: "Das ist eine Riesensauerei, dass so etwas im Geheimen stattfindet", meint ein Urlauber. "Das erschüttert mich am meisten. Man fährt in den Urlaub und unter einem ist Material, das einen vielleicht schädigen kann.“ Doch ist die Sorge der Passagiere berechtigt?

So lange es zu keinem Unfall kommt, geht von der radioaktiven Fracht keine Gefahr aus. Doch wenn es zu einem Brand an Bord käme, kann es offenbar problematisch werden. Auf Frachtschiffen gibt es häufig Löschanlagen, die einen Brand mit Kohlendioxid oder Stickstoff ersticken. Aber eben jene Stickstoffanlagen sind für Passagierschiffe ungeeignet, denn sie würden die Menschen an Bord gefährden. Also bleibt nur eine Löschung mit Wasser. Doch wenn Uranhexafluorid mit Wasser in Berührung kommt, kommt es zu einer chemischen Reaktion, die dazu führt, dass aus Uranhexafluorid Flusssäure wird.

Schon nach einer Stunde droht bei einem Brand Gefahr

Flusssäure ist eine aggressive Säure, die hoch giftig für die Passagiere und die Crew an Bord wäre. Doch die chemische Reaktion kann nur dann eintreten, wenn es zu einem Leck im Uranhexafluoridbehälter käme. Genau das hält Brandschutzexperte Michael Rost von der Universität Magdeburg allerdings nicht für ausgeschlossen: "Es gibt Brandszenarien, da können die Druckbedingungen an den Behältern dazu führen, dass bestimmt Gasmengen austreten. Man geht davon aus, dass nach etwa einer Stunde bei 800 Grad normalerweise ein Uranhexafluoridbehälter seine Stabilität aufgibt.“

In Zukunft soll das Material auf Spezialschiffe

Das Bundesamt für Strahlenschutz wiegelt ab: Die Behälter, in denen das Uranhexafluorid transportiert werde, seien unfallsicher. Die Behälter würden auch auf ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Stößen, Druck und Feuer getestet.

Doch unser Informant bleibt skeptisch. Er wünscht sich eine Verlagerung der radioaktiven Transporte auf Spezialschiffe, so wie es andere Reedereien längst praktizieren. Und es scheint sich tatsächlich etwas zu ändern. Auf Anfrage teilt Stena Line Panorama 3 mit, der Transport von Uranhexafluorid werde grundsätzlich überprüft und wahrscheinlich 2015 nicht mehr stattfinden.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 19.08.2014 | 21:15 Uhr

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