Sendedatum: 19.05.2012 19:20 Uhr

Ist die NATO nur bedingt zukunftsfähig?

NATO Hauptquartier in Brüssel © picture alliance/Wiktor Dabkowski
Zum NATO-Gipfel werden rund 60 Staats- und Regierungschefs erwartet. Der russische Präsident Putin wird wegen des Streits um die NATO-Raketenabwehr nicht teilnehmen.

Zum NATO-Gipfel in Chicago kommen nicht nur die Staats- und Regierungschefs der 28 Bündnismitglieder. Eingeladen sind auch die Regierungschefs derISAF-Truppensteller. Bis Ende 2014 will die NATO die Kampftruppen abziehen. Dann sollen die  Afghanen die Sicherheitsverantwortung im ganzen Land übernehmen. In mehreren Regionen hat die Übergabe bereits stattgefunden. Die NATO spricht von Transition.

USA und NATO sehen Afghanistan auf gutem Weg

Angetretene afghanische Soldaten. Vorgesetzter macht seinem Kommandeur Meldung. Deutscher Ausbilder beobachtet den Ablauf. © Bundeswehr/Kazda Foto: Kazda, Dana
Bis zum Jahresende soll Afghanistan über 350.000 afghanische Polizisten und Soldaten verfügen. Danach soll die Zahl der Sicherheitskräfte auf rund 230.000 reduziert werden - unter anderem aus Kostengründen.

Die ISAF konzentriert sich inzwischen auf die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte. Eine schwierige Aufgabe. Viele Rekruten sind Analphabeten. Inzwischen gibt es mehr als 300.000 Sicherheitskräfte. Kritiker monieren aber deren Qualität. Die NATO und auch die USA sehen sich allerdings auf einem guten Weg. Das Pentagon präsentiert dem US-Kongress regelmäßig einen Report über die Entwicklung in Afghanistan.

Afghanistan nach 2014

Für die Zeit nach 2014 haben die USA Anfang des Monats ein strategisches Partnerschaftsabkommen mit Afghanistan abgeschlossen. Der Inhalt ist allerdings sehr allgemein gehalten. Washington wird die afghanischen Sicherheitskräfte zwar weiterhin bei der Ausbildung unterstützten, US-Präsident Barack Obama verkündete aber unmittelbar nach der Unterzeichnung in einer Fernsehansprache, dass die USA keine eigenen Militärstützpunkte errichten werden. Zuvor war bereits vereinbart worden, dass die umstrittenen nächtlichen Kommandoaktionen, die sogenannten Night Raids, nur noch in afghanischer Verantwortung erfolgen dürfen.

Deutschland hat inzwischen ebenfalls ein Partnerschaftsabkommen mit Afghanistan abgeschlossen. Nach 2014 benötigt das Land jährlich rund vier Milliarden Dollar, um die Sicherheiskräfte bezahlen zu können. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat 150 Millionen Euro pro Jahr zugesagt.

Smart Defence

Umbemanntes Flugzeug setzt zur Landung an. Am Rumpf sichtbar das Hoheitszeichen der Deutschen Luftwaffe. © Bundeswehr/Bicker Foto: Bicker, Ingo
Für das AGS-Projekt wird die Bundeswehr mehrere Drohnen vom Typ Global Hawk beschaffen. Im Bundestag wird kritisiert, dass die Kosten hierfür inzwischen auf rund 500 Millionen Euro angestiegen sind.

Angesichts der Sparzwänge sollen die NATO-Länder bei Rüstungsprojekten enger kooperieren. In Chicago sollen mehr als 20 multinationale Vorhaben präsentiert werden. Darunter sind allerdings auch alte Projekte, die seit Jahren angestrebt werden, aber nicht so richtig vorankommen. Beispielsweise das Bodenüberwachungssystem AGS (Alliance Ground Surveillance).Wie Smart Defence aus NATO-Sicht funktionieren soll, das erfahren Sie hier.

NATO-Raketenabwehr

Raketenabschuss vom US-Schiff "USS CAPE ST GEORGE". © dpa picture alliance Foto: IS1 KENNETH MOLL, USN
Im spanischen Hafen Rota sollen künftig mehrere Aegis-Kreuzer der US-Marine stationiert werden. Sie sollen in der Lage sein, mögliche iranische Raketen abzufangen.

In Chicago soll eine Anfangsbefähigung der NATO-Raketenabwehr verkündet werden. Angestrebt ist, das Territorium aller Bündnismitglieder vor Raketenangriffen zu schützen. Praktisch sind dazu derzeit nur die USA unter anderem mit ihren Aegis-Kreuzern in der Lage. Sie sind mit SM-3-Raketen ausgestattet. Die Beiträge der Europäer sind eher symbolischer Natur. Die von Deutschland angebotenen Patriot-Raketen sind für eine flächendeckende Raketenabwehr ungeeignet. Das Hauptquartier der Raketenabwehr wird im rheinland-pfälzischen Ramstein eingerichtet. Mehr zum Thema der Raketenabwehr auf dieser Internetseite der Sendereihe Streitkräfte und Strategien.

Streit mit Russland

Moskau: Blick auf den Kreml © dpa
Der Kreml fühlt sich durch die NATO-Raketenabwehr in der Defensive. Unter Präsident Wladimir Putin wird sich die russische Haltung vermutlich weiter verhärten.

Auf dem NATO-Gipfel in Lissabon im November 2010 haben Russland und die NATO vereinbart, bei der Raketenabwehr zusammenzuarbeiten.

Auszug aus der NATO-Russland-Erklärung auf dem Gipfel von Lissabon. Damals hoffte die NATO noch auf eine Verständigung bei der Raketenabwehr:

Bekenntnis zur Kooperation

"Wir haben uns darauf verständigt, die Durchführung der Zusammenarbeit in der Raketenabwehr zu erörtern. Wir einigten uns auf eine gemeinsame Bewertung der Bedrohung durch ballistische Flugkörper und auf die Fortsetzung des Dialogs in diesem Bereich. Der NRR (NATO-Russland-Rat) wird auch die Zusammenarbeit in der Raketenabwehr im Einsatzgebiet wiederaufnehmen. Wir haben den NRR beauftragt, eine umfassende gemeinsame Analyse des künftigen Rahmens für die Zusammenarbeit in der Raketenabwehr zu erstellen."

Patriot-Abwehrrakete in Stellung. Im Hintergrund ein mit Schnee bedeckter Berg. © Bundeswehr Foto: Andreas Freude
Die NATO-Raketenabwehr sorgt für Spannungen mit Russland. Experten dringen darauf, dieses Projekt nur einvernehmlich mit Moskau zu realisieren.

Doch von einer Kooperation ist man weit entfernt. Russland befürchtet, die Raketenabwehr könnte das eigene nukleare Vergeltungspotenzial neutralisieren. Anders als von der NATO lange erhofft, reist der russische Präsident nicht zum Gipfel nach Chicago.

Auf einer Konferenz in Moskau machte der stellvertretende NATO-Generalsekretär Alexander Vershbow im Mai deutlich, wie sich das Bündnis eine Zusammenarbeit bei der Raketenabwehr vorstellen könnte:

"At our Lisbon Summit in 2010, President Medvedev identified areas where NATO and Russian Missile Defence capabilities could be complementary. For our part, we are keen to find solutions in which NATO and Russian missile defence systems bolster one another, increasing security for both sides. Our vision is of two coordinated systems with one goal – two systems that would exchange information and coordinate planning to make the defence of NATO territory and of Russian territory more effective.
One proposal builds on President Medvedev’s own ideas. The idea is to establish two NATO-Russia missile defence centres where NATO and Russian officers would work closely together around the clock.
The first centre, the NATO-Russia MD Data Fusion Centre, would pool data from NATO and Russian sensors to form a common operational picture of possible third-country missile launches.
This operational picture would be fed into the second centre, the NATO-Russia MD Planning and Operations Centre. There, NATO and Russian officers would develop plans for intercepting missiles that may be launched against us in a range of scenarios. The second centre would also develop concepts of operations, rules of engagement and pre-planned responses for coordinated missile defence operations that could be implemented in the event of an actual attack."

Russische Drohungen

Eine Kurzstreckenrakete vom Typ "Iskander" wird während einer Truppenübung in der Region St. Petersburg in Stellung gebracht. © dpa picture alliance Foto: Alexey Danichev
Russland hat damit gedroht, in Kaliningrad Iskander-Kurzstrecken-Raketen zu stationieren. Polen und auch Rumänien wären Ziele für mögliche Präventivschläge. In diesen Ländern sollen Stellungen für die NATO-Raketenabwehr errichtet werden.

Die Vorschläge fanden auf der Konferenz keine positive Resonanz. Stattdessen drohte Generalstabsschef Nikolaj Makarov bei dem Treffen mit Präventivschlägen. Russland ist nicht grundsätzlich gegen eine Raketenabwehr. Moskau hat aber konkrete Vorstellungen, wie eine Zusammenarbeit aussehen könnte. Verlangt werden insbesondere rechtliche und vertragliche Garantien, dass der Raketenschild nicht gegen Russland gerichtet ist.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Streitkräfte und Strategien | 19.05.2012 | 19:20 Uhr