Frauen fliehen bei Protesten in der iranischen Hauptstadt Teheran vor der Polizei. © AP/dpa

Kommentar zu Unruhen im Iran: Wo bleibt die Solidarität?

Stand: 23.09.2022 15:20 Uhr

Die Proteste im Iran gegen das islamistische Regime nehmen von Tag zu Tag zu, die Brutalität der Sicherheitskräfte allerdings auch. Anlass für den Widerstand gegen die Mullahs ist der Tod einer jungen Frau im Gewahrsam der Polizei. Es geht grundsätzlich um die Unfreiheit im Iran, ganz konkret auch um die Rolle der Frau im Islam.

Ein Kommentar von Cora Stephan, freie Autorin

Die Szenen, die sich seit mehr als einer Woche im Iran abspielen, sind spektakulär. Frauen tanzen um ein Lagerfeuer herum, in das sie ihr Kopftuch werfen. Eine junge Frau schneidet sich vor einer applaudierenden Menge die Haare ab. Iranische Sittenwächter werden auf offener Straße angegriffen. Doch natürlich gibt es bereits Tote, das autoritäre Regime lässt sich nicht ungestraft auf der Nase herumtanzen. Der Gouverneur der Provinz Kurdistan bezeichnet die Proteste als eine "vom Feind angestiftete Verschwörung", da weiß man schon, wie verfahren werden soll.

Es brodelt unter den jungen Iranern

Ein Porträtbild von der Autorin Cora Stephan. © n.n. Foto: n.n.
"Die Realpolitik holt manchmal auch den Feminismus ein", sagt Cora Stephan

Es gärt im Iran, in dem seit vierzig Jahren das Mullah-Regime herrscht, offenbar schon länger, leere Supermarktregale und hohe Benzinpreise haben bereits kleinere Proteste ausgelöst. Doch richtig Fahrt hat der Protest aufgenommen nach dem Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini, die von der Moralpolizei festgenommen wurde, weil ihr Kopftuch angeblich zu lose saß. In Polizeigewahrsam wurde sie wahrscheinlich verprügelt, jedenfalls ist sie drei Tage später gestorben. Seither brodelt es unter den jungen Iranern, auch die Männer solidarisieren sich mit den Frauen.

Hierzulande bleiben Demonstrationen der Solidarität weitgehend aus. Warum eigentlich? Sind deutsche Feministinnen mehr mit Fragen des Genderns, dem unterdrückenden Patriarchat in Gestalt des alten weißen Mannes oder dem inhärenten Rassismus der westlichen Gesellschaften beschäftigt? Oder glauben sie wirklich, das Tragen eines Kopftuchs sei die freie Entscheidung der Frauen und dass sie wenigstens hierzulande damit selbstbewusst und frei durchs Leben gehen? So etwa suggerieren es Werbeplakate und Modezeitschriften, in denen modisch gekleidete und geschminkte Frauen beim Ausüben anspruchsvoller Tätigkeiten gezeigt werden, die ihr Haar unter einem ebenso geschmackvollen Tuch verbergen. Alles ganz normal, frei und selbstbestimmt, ja geradezu ein modisches Statement?

Das Kopftuch als ein Instrument der sozialen Kontrolle

Wer das glaubt, verharmlost, romantisiert und unterschätzt dieses Symbol des muslimischen Glaubensbekenntnisses. Es ist ja nicht nur das Kopftuch, das Frauen im Iran aufgezwungen wird. Es signalisiert die Unterwerfung unter eine ganze Reihe von Ge- und Verboten. Es ist nicht bloß ein Stück Stoff oder gar ein feministischer Akt. Es ist ein Instrument sozialer Kontrolle.

Und deshalb werden Frauen unter Druck gesetzt, sich zu verhüllen, werden geschlagen und bestraft, wenn sie es nicht oder nicht richtig tun. Nicht nur das Frauenbild, das dahinter steht, ist zutiefst menschenfeindlich. Denn auch den Männern wird ja unterstellt, dass sie stets erregbar seien, ihre Triebe nicht kontrollieren könnten und dass sie wie wilde Tiere über eine Frau herfallen würden, die sich nicht züchtig verhüllt.

Wo also bleibt hierzulande der Aufschrei dagegen? Feministinnen etwa sind doch sonst so geübt im Aufschrei, wenn es um das Patriarchat und den Mann an und für sich geht. Gewiss: man möchte nicht als islamophob gelten, wenn man sich gegen die islamische Orthodoxie stellt. Aber warum eigentlich nicht? Ist das etwa nicht zu fürchten, ein religiös motiviertes Regime, das nicht nur die Bewegungsfreiheit seiner weiblichen Untertanen einschränkt?

Feministische Außenpolitik gibt es schlicht nicht

Die "feministische Außenpolitik", der sich Annalena Baerbock verschrieben hat, ist da merkwürdig zurückhaltend. Die Frauen müssten "gehört werden", erklärte die Außenministerin, denn sie forderten ihre "unumstößlichen Menschenrechte" ein. Gehört werden, ist das alles? Und: "Wenn Frauen nicht sicher sind, ist keiner sicher in einer Gesellschaft." Das ist eine seltsame Verallgemeinerung des Problems und lenkt davon ab, dass es hier in der Tat vor allem um Frauen geht. Kann man wirklich nicht deutlicher werden, nur, weil man das gute Verhältnis zum Iran nicht strapazieren will? Gut möglich, dass die Machthaber im Iran damit rechnen, dass Europa sich aus wirtschaftlichem Kalkül zurückhält. Das ist unwürdig - insbesondere dann, wenn man beansprucht, eine feministische Außenpolitik zu betreiben.

Nun, die brutale Wahrheit wird sein: Feministische Außenpolitik gibt es schlicht nicht. Die Realpolitik holt manchmal auch den Feminismus ein. Er gilt offenbar nur dort, wo er ungefährlich ist.

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NDR Info | Kommentar | 25.09.2022 | 09:25 Uhr