Stand: 06.06.2014 15:38 Uhr

Die Bossa Nova-Story, Teil 1 & 2

von Karl Lippegaus
Der Saxofonist Stan Getz spielt vor einem Mikrofon ein Tenorsaxofon. © picture alliance / kpa
Saxofonist Stan Getz und João Gilberto hatten ein eher gespaltenes Verhältnis.

Eine fieberhafte Aufbruchstimmung erfasst Brasilien Ende der fünfziger Jahre. Oscar Niemeyer erbaut die neue Hauptstadt, man wird zweimal Fußballweltmeister und die Bossa Nova als erster Musikstil Brasiliens weltbekannt. Ihre Pioniere Jobim und Gilberto werden - nach den Auftritten 1962 mit Stan Getz in der Carnegie Hall - wie nationale Helden gefeiert. Tom Jobim mag den Rummel, João wird zum Einsiedler. In Rio hatte er die 19-jährige Astrud Weinert geheiratet und war nach einer Serie von drei brillanten Alben und vor dem Staatsstreich nach New York gezogen, erst 1971 kehrte er zurück nach Rio, das er "die Stadt der Brasilianer" nennt. Zwei Jahre liegen die Bänder einer hitzigen Session mit Getz und Jobim auf Eis. João hatte heftig protestiert, Getz wolle sich in den Vordergrund drängen und Astrud darauf bestanden, in "The Girl from Ipanema" den englischen Text zu singen. Fürs kurze Singleformat lässt der Produzent Creed Taylor kurzerhand den Gesangspart Joãos herausschneiden.

Ein Genie scheut die Öffentlichkeit

Im selben Jahr 1964 folgt die abrupte Trennung von Astrud und der Solitär João taucht in Mexiko unter, am Ende schickt er ein Lebenszeichen, "João Gilberto en Mexico". 1973 entsteht fast im Alleingang jene Platte, die seine Fans wie die Blaue Mauritius verehren und wegen des Covers das "White Album" nennen. Fünfzig Minuten pure Magie.

1980 kehrt er endgültig nach Rio zurück und lebt seither völlig zurückgezogen im Stadtteil Leblon, wo er mindestens zehn Stunden pro Tag Gitarre übt. Die Liveauftritte werden immer seltener; Journalisten ("diese Duzer") scheut er wie die Pest und gibt keine Interviews; mit der Außenwelt kommuniziert João nachts per Telefon mit eigenem Morsesystem (einmal klopfen heißt ja, zweimal nein und dreimal: Moment, ich muss überlegen). Die Bühne betritt ein älterer Herr im Sakko, versteckt hinter einer großen Brille, eine Reinkarnation Fernando Pessoas aus den Tropen und spielt "Jetzt seht ihr mich, jetzt nicht". Das Publikum bricht in Hysterie aus und wenn er pianississimo beginnt, fällt die sprichwörtliche Stecknadel. Wird ihm der Applaus zu laut, bricht er ab, geht weg und murmelt: "Es hat ihnen nicht gefallen."

Caetano Veloso sagt, João sei "verrückter als die Verrückten und luzider als die Gesunden". Einmal gewann er in Rio einen großen Preis, als Dank schickte er dem Galapublikum eine Botschaft, dafür hatte er sich zuhause auf dem Sofa gefilmt. Zwei Worte sagte er in die Kamera: "Vielen Dank!" In seinem faszinierenden Buch "Hobalala - Auf der Suche nach João Gilberto" (Rogner & Bernhard) schildert der im April 2011 mit vierzig Jahren verstorbene Autor Marc Fischer die Jagd nach einem Phantom à la Howard Hughes. In zwei Sendungen erzählt Karl Lippegaus vom langen Flirt der brasilianischen Musik und Lyrik mit dem Jazz.

Dieses Thema im Programm:

NDR Jazz | Jazz | 13.06.2014 | 22:05 Uhr

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