Bewegende Gedenkfeier im ehemaligen KZ Neuengamme
Vor 80 Jahren wurden überlebende Häftlinge des KZ Neuengamme befreit. Aus diesem Anlass fand am Sonnabend in Hamburg eine große Gedenkveranstaltung für die etwa 100.000 Häftlinge und die mehr als 40.000 Toten im ehemaligen Klinkerwerk des Konzentrationslagers statt.
Zur Begrüßung sprach der Historiker Oliver von Wrochem, der die KZ-Gedenkstätte in Neuengamme leitet und Vorsitzender der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte ist. Anschließend hielt Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) eine Rede vor mehreren Hundert internationalen Gästen, darunter Holocaust-Überlebende und Opferangehörige.
Tschentscher: "Lehren aus der Geschichte ziehen"
Er mahnte dabei, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen und daran zu erinnern, dass die nationalsozialistischen Verbrechen und der Holocaust begonnen haben mit Diskriminierung, mit Populismus, mit menschenfeindlicher Propaganda, die dann in kurzer Zeit zur Aushöhlung der Demokratie und des Rechtsstaates und zu systematischem Rassismus und Menschenverachtung geführt haben. "Auch heute begegnen uns wieder Populismus, Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit auf vielfältige Weise. Der 80. Jahrestag des Kriegsendes mahnt uns, diesen Tendenzen entschlossen entgegenzutreten", sagte Tschentscher.
Scholz dankt Angehörigen für ihr Kommen
Nach ihm sprach Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Es berühre ihn sehr zu sehen, wie viele Angehörige ehemaliger Häftlinge aus dem Ausland 80 Jahre später nach Hamburg gekommen seien - aus Frankreich, Spanien, Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Polen, der Ukraine, Israel und weiteren Ländern. "Sie sind gekommen, um gemeinsam mit uns zu erinnern. Dafür sage ich Ihnen aus tiefstem Herzen vielen Dank", so Scholz.
Kanzler ruft zur Bewahrung Europas auf
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und autokratischer Bestrebungen weltweit rief Scholz zur Verteidigung und Bewahrung eines geeinten Europas auf. Deutschland komme dabei aufgrund seiner Geschichte eine besondere Verantwortung zu, sagte der scheidende Kanzler. "Eine der ganz zentralen Lehren aus dem von Deutschen angezettelten Krieg, aus der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, aus dem Mord an Millionen unschuldigen Frauen, Kindern und Männern ist unsere tiefe Überzeugung, dass unser Kontinent, dass wir Europäerinnen und Europäer Krieg zwischen unseren Völkern ein für alle Mal hinter uns lassen müssen", sagte Scholz bei seinem letzten großen öffentlichen Auftritt als Kanzler.
Überlebende Helga Melmed hält bewegende Rede
Die einzige Überlebende, die an der Feier teilnahm war, war Helga Melmed, die heute in den USA lebt. Sie wurde 1928 in Berlin in eine jüdische Familie geboren und ab dem Alter von 13 Jahren in verschiedene Konzentrationslager gebracht. Eines davon war das Neuengammer Außenlager Poppenbüttel. Bei der Gedenkstunde hielt sie nach Scholz eine bewegende Rede, in der sie sich aufgrund der politischen Entwicklungen weltweit besorgt zeigte.
"Wir alle müssen die Stimme gegen Hass erheben"
Heute sei wieder Chaos in der Welt und eine "hypnotisierende Propaganda" bahne sich wieder den Weg in die Gehirne vieler Menschen. "Ich frage mich, ob die führenden Akteure der Weltpolitik immer wieder dieselben Fehler begehen. Wo sind die anständigen und wahrhaftigen Führungspersönlichkeiten?", fragte die 97-Jährige. "Wir alle müssen die Stimme erheben gegen Hass und Unterdrückung, wo immer und wann immer wir darauf stoßen."
Danach sprach die Präsidentin der Amicale Internationale KZ Neuengamme (AIN), Martine Letterie. Zum Abschluss der Gedenkfeier trugen dann drei Musiker des Fördervereins "Jugend musiziert Hamburg" das Lied "Die Moorsoldaten" vor, das im Jahr 1933 von Häftlingen im Konzentrationslager Börgermoor geschrieben worden war.
Über 40.000 Menschen starben in Neuengamme
Im KZ Neuengamme und seinen 85 Außenlagern waren nach Angaben der Gedenkstätte mehr als 100.000 Menschen inhaftiert worden. Mindestens 42.900 von ihnen kamen ums Leben. Der 3. Mai 1945 bedeutete für die Überlebenden die Befreiung aus der Gewalt der SS, der sogenannten Schutzstaffel, der Organisation im Nationalsozialistischen Staat, die die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden maßgeblich plante und durchführte und die die Konzentrationslager betrieb.
Am Tag der Befreiung starben jedoch fast 7.000 Häftlinge bei einem britischen Luftangriff auf Schiffe in der Lübecker Bucht. Die SS hatte die Gefangenen an Bord der "Cap Arcona" und der "Thielbek" gebracht. Was mit ihnen geschehen sollte, ist nicht geklärt. Ebenfalls am 3. Mai 1945 besetzten britische Truppen nach Verhandlungen kampflos Hamburg.
