Stand: 05.09.2018 13:41 Uhr

Philipp Schmids Pilgerblog 2018

Dritter Tag - Variationen zum Thema
Edward Elgars "Nimrod"

Schatten-Silhouette der vier Pilger auf dem Boden © NDR.de Foto: Philipp Schmid
Die vier Pilger in der Abendsonne

"Pst!": Ein Geheimnis wird leise weitergegeben. Gerüchte meistens auch. Aber ein Geheimnis, vor allem eines, von dem man sicher weiß, dass es wahr ist, sehr sehr leise. Das Geheimnis, das Elgar uns hier verraten will, kommt aus dem Nichts, kein Vorhang geht auf, niemand winkt uns zunächst mal zu sich und hält verschwörerisch den Finger vor die Lippen. Es ist ein offenes Geheimnis. Strahlend schön, es möchte angesehen werden, drängt sich aber nicht auf. "Ich bin das Geheimnis, das ich bin, suche mich nicht, ich suche mich noch selbst", flüstert es uns zu.

"Nach mir hast Du lange gesucht, deshalb taste ich mich langsam vor" - und es rückt immer näher zu uns, wird selbstsicher, dreht sich, zeigt sich von allen Seiten. Das, was wir für Suche gehalten haben, war von Anfang an richtig, jeder Ton hatte bereits seinen Platz. Und das Geheimnis wächst, strahlt und alles ist Geheimnis. Selbst wenn wir denken, es könne nicht mehr lauter werden. Mehr, mehr, es verschenkt sich, auch wenn es dabei alles preisgibt und am Ende alle Kräfte verliert – alle Kräfte darauf verwendet hat, gehört zu werden. Die geheime Geschichte war das Geheimnis selbst.

Kreise um Gott enger ziehen

Pilgern im Norden © NDR.de Foto: Philipp Schmid
Auch der Ton muss sitzen: Tonmann André justiert bei Kristina Lohe das Mikrofon.

Gott und sein Geheimnis zu suchen ist wie rückwärts anhand von Variationen das Thema finden zu wollen. Jedes Thema ist Ursprung seiner Variationen, Veränderungen, mehr oder weniger stark, deuten auf den Ausgangspunkt hin, lassen ihn uns erahnen, aber erkennen können wir ihn nicht. Er stellt sich uns nicht vor, nicht in diesem Fall. Suchende kreisen um Gott, kommen ihm nah, bleiben weit entfernt, drehen sich mehr um sich selbst, als um ihn. Beim Pilgern können wir diese Kreise um Gott enger ziehen. Und sei es nur, indem wir Mitpilger kennenlernen, die bereits in einer anderen Umlaufbahn sind. Für die Gott weit mehr als ein entfernter Bekannter ist, ein Verwandter, der zu großen Familienfesten zu Besuch kommt, sondern ein Freund, ein Ratgeber, ein täglicher Begleiter. Zuversicht, Quelle, Schöpfer, Tröster.

Auf dieser Pilgerreise habe ich zwei dieser Suchenden kennengelernt. Meilenweit fühle ich mich von ihnen entfernt, was die Suche, das Verlangen nach Gottes Nähe angeht. Ich kann wunderbar innig und gläubig werden, wenn ich eine Messe aus der Renaissance, die Matthäuspassion oder das Magnificat von Arvo Pärt höre, wenn ich in einer eindrucksvollen Kirche sitze, wenn ich auf einem Pilgerweg bin. Aber mitten auf der Straße innehalten, ein Gebet sprechen, ein Lied singen? Bitte bloß nicht!

U-Boot-Christen und Hosentaschen-Frömmigkeit

Gott gehört in die Kirche, ins Geistliche Konzert, da will ich ihn gerne auch an mich heranlassen, ich will ihn aber auf keinen Fall vor mir hertragen. Niemand tut das in unserer Pilgergruppe. Gott gehört zum Tagesablauf, er wird über alles informiert (weiß er das nicht ohnehin?), es geht nichts ohne ihn. Pilgern - und über die Erfahrungen beim Pilgern schreiben und berichten - heißt immer, sich selbst in Frage zu stellen.

Vermutlich mache ich eine Menge falsch, bin kaum besser als die sogenannten "U-Boot-Christen", die so genannt werden, weil sie nur an Heiligabend in der Kirche auftauchen. Ich ziehe meine Frömmigkeit gerne aus der Tasche, wenn sie passt, wenn sie nicht auffällt, wenn sie die Atmosphäre  einer Komposition oder eines Raumes verstärkt oder erst möglich macht. Bestimmt zu Recht können sich andere in diesem Punkt überlegen oder voraus fühlen. Oder in einem engeren Kreis. Widerspruch, Gott? Jederzeit.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 05.09.2018 | 17:40 Uhr

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