Stand: 18.03.2020 17:26 Uhr

Ahrensburg: Wege in den Job für geflüchtete Frauen

Es gibt viele Frauen, die schon vor Jahren nach Deutschland geflüchtet sind, aber noch keinen Sprachkurs besucht haben. Oft haben sie kleine Kinder, wegen derer sie zu Hause bleiben. Ein Projekt in Schleswig-Holstein will diesen Frauen helfen, die deutsche Sprache zu lernen und langfristig den Einstieg in einen Beruf zu schaffen. Die "NDR Info Perspektiven" haben sich das Programm "Hayati" - zu Deutsch: Mein Leben - angeschaut.

Mojde Bezaee, Teilnehmerin eines Integrationskurses. © NDR Foto: Anne Passow
Mojde Bezaee ist froh, dass ihr Sohn beim Lernen in räumlicher Nähe zu ihr ist.

Konzentriert sitzt Mojde Bezaee mit ihrer Lern-Partnerin im Klassenraum der Ludwig-Fresenius-Schule in Ahrensburg. Sie üben Alltagssituationen wie das Einkaufen. Gerade möchte sie ein Kilogramm Auberginen erstehen. Ihre Lehrerin, Anne Juraschka, verbessert und ermuntert sie: "Diese ganzen Verben, die wir mit dem Akkusativ geübt haben, können wir hier gut einsetzen."

Entscheidendes Kriterium: Kinderbetreuung

Mojde Bezaee ist vor vier Jahren aus Afghanistan geflüchtet. Heute lebt die 29-Jährige mit ihrem Mann und zwei Kindern in Ahrensburg - und nimmt am Programm "Hayati" teil. Hier lernt sie Deutsch und alles über das Berufssystem in Deutschland. Später soll sie einen Integrationskurs besuchen und langfristig den Einstieg in einen Job schaffen. Möglich ist das nur, weil "Hayati" eine Besonderheit anbietet: Kinderbetreuung. Jeden Morgen vor ihrem Unterricht gibt Mojde Bezaee ihren Sohn im Raum nebenan ab. "Ich möchte gerne Deutsch lernen, aber ich habe zwei Kinder. Meine große Tochter ist kein Problem, aber mit den kleinen Kindern ist es ein bisschen schwerer."

Normalfall: Erziehung der Kinder statt Arbeit

Teilnehmerinnen eines Integrationskurses sitzen zusammen. © NDR Foto: Anne Passow
Mit Spielzeug-Gemüse üben die Teilnehmerinnen des Kurses das Einkaufen.

8.100 arbeitslose Flüchtlinge waren 2019 laut Arbeitsagentur durchschnittlich pro Monat in Schleswig-Holstein gemeldet. Nur etwa 33 Prozent davon waren Frauen. Denn meistens sind es Männer, die sich bei der Arbeitsagentur melden und denen die Agentur Arbeit vermittelt. Das hänge mit der Rolle der Frau in den Herkunftsländern zusammen, beobachtet Maren Brukschen, Leiterin der Fresenius Schulen, die das Programm in Ahrensburg umsetzen. "Die Frauen haben in ihren Heimatländern ja oft andere Aufgaben. Ihre Rolle ist eigentlich, sich um die Familie und um die Kindererziehung zu kümmern und den Haushalt zu machen. Nicht unbedingt, arbeiten zu gehen." Diese Rolle würden viele geflüchtete Frauen auch in Deutschland beibehalten, oft weitere Kinder bekommen. Frauen mit Kindern unter drei Jahren sind nicht verpflichtet, einen Kurs oder eine Bildungsmaßnahme zu besuchen. Werden mehrere Kinder geboren, können also viele Jahre vergehen, ehe eine Frau Deutsch lernt.

Neue Generation hat andere Ansprüche

Ein kleiner Junge in einem Spielzimmer mit Rutsche. © NDR Foto: Anne Passow
Mojde Bezaees Sohn Mohammed fühlt sich im Spielzimmer der Einrichtung sehr wohl.

Frauen, die das anders machen wollen, bewerben sich bei "Hayati", weiß Brukschen: "Wir erleben, dass sich überwiegend junge Frauen beruflich besser integrieren wollen und gar nicht nur das Ziel haben, zu Hause zu sein und sich um die Familie zu kümmern. Für die ist es ganz wichtig, dass sie frühzeitig die Sprache lernen - und brauchen eine Kinderbetreuung." Die "Hayati"-Frauen kämen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen, erklärt Lehrerin Anne Juraschka. Von der studierten Lehrerin bis hin zur Analphabetin sei alles dabei.

"Hayati" gibt realistische Einschätzung

Auf diese unterschiedlichen Anforderungen will das Projekt eingehen. Gleichzeitig guckt sich Lehrerin Juraschka mit den Frauen an, wie es beruflich für sie weitergehen kann. "Das muss man eben auch vermitteln: Wie sind hier die Wege? Was kann ich erreichen? Was sind wirklich meine Kompetenzen? Was kann ich gut? Was kann ich nicht so gut?", erläutert Juraschka das Vorgehen. "Man muss die Frauen darauf vorbereiten, dass es ein langer, aber ein möglicher Weg ist, durchaus auch gute Berufe zu wählen und sich ausbilden zu lassen."

Frauen lernen Deutsch in einem Klassenraum im Rahmen des Projektes Hayati. © NDR Foto: Anne Passow
AUDIO: Ahrensburg: Hayati bringt geflüchtete Frauen in Jobs (4 Min)

Hohe Erfolgsquote

Auf diesem Weg unterstützt "Hayati" die Frauen. Seit vergangenem Jahr läuft das Programm an drei Standorten in Schleswig-Holstein: in Neumünster, in Kiel und in Ahrensburg. Gefördert wird es vom Land Schleswig-Holstein und der Arbeitsagentur, die Arbeiterwohlfahrt leitet das Projekt . Mit Erfolg: Den ersten Kurs beendeten dem Land zufolge 53 von insgesamt 55 Teilnehmerinnen. Jetzt, beim zweiten Durchgang, ist Mojde Bezaee dabei. Mit fast 30 Jahren lernt sie nun eine neue Sprache und hat sich - mithilfe von "Hayati" - ein Ziel gesetzt: Sie will den Weg in die Selbstständigkeit wagen und eine eigene Reinigung eröffnen.

Dieses Thema im Programm:

Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 13.03.2020 | 07:40 Uhr

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