Sendedatum: 12.12.2018 23:20 Uhr

Gelbwesten: Zorn trifft auch die Medien

von Fabienne Hurst
Gilets Jaunes - Tausende Demonstranten in gelben Westen protestieren in Frankreich gegen die Reformpläne von Präsident Macron. © NDR
Gilets Jaunes - Tausende Demonstranten in gelben Westen protestieren in Frankreich gegen die Reformpläne von Präsident Macron.

Paris, Samstagmorgen: Nadia Pantel, Frankreich-Korrespondentin der "Süddeutschen Zeitung", hat wieder Wochenend-Schicht. Sie berichtet wieder einmal über diejenigen, die seit Wochen die Schlagzeilen bestimmen: die Gilets Jaunes, die Demonstranten in den gelben Warnwesten. In der Hauptstadt sind 35 Metro-Stationen an diesem Tag gesperrt, 8.000 Polizisten im Einsatz. Alle paar hundert Meter gibt es Personenkontrollen. Hier befürchten sie, dass die Gewalt wieder eskaliert. Dass Barrikaden brennen und Menschen verletzt werden. Journalistinnen und Journalisten sind vorsichtig geworden - auch weil die Demonstranten die Medien immer heftiger kritisieren.

Viele Gelbwesten misstrauen den Medien

"Diese Proteste haben ja einen sehr klaren Fokus auf Emmanuel Macron", sagt Nadia Pantel, "und es gibt auch das Gefühl, dass die Medien schuld daran sind, dass er jetzt Präsident ist." Entsprechend heftig sind die Vorwürfe: "Die Medien sind doch nur der Bettvorleger der Regierung", sagt eine pensionierte Lehrerin. Ihre Begleiter pflichten ihr bei: "Alles Manipulation!", rufen sie. So sehen das viele Gelbwesten.

Auf den Champs-Elysées haben sich die Reporter mit Helmen und Gasmasken ausgestattet - gegen die Tränengasgranaten der Einsatzkräfte, aber auch um sich gegen mögliche Angreifer aus den Reihen der Demonstranten zu schützen. "Die Situation des Misstrauens ist nicht angenehm, vor allem hier vor Ort", sagt Sina Mir, Reporter des Radiosenders RTL. "Wir versuchen, die zu meiden, die uns zu aggressiv vorkommen, zu aufgekratzt."

Vor allem im Fokus: der Infosender BFM TV

Vor allem ein privater französischer Nachrichten-Sender ist hier besonders verhasst: BFM TV. Sein Versprechen: Egal, was passiert, wir sind live dabei. Der relativ junge Sender sah sich von Anfang an als Gegenpart zu etablierten Medien, als "volksnah". Eine Art "Bild"-Zeitung im Fernsehformat. Doch nun wenden sich genau die Menschen, die der Sender eigentlich erreichen will, gegen ihn: "Letztes Wochenende gab es Demonstrationen, die sehr friedlich geblieben sind. Und was haben die von BFM gemacht? Sie haben in Dauerschleife gezeigt, wie der Triumphbogen in Flammen steht!", ärgert sich ein Mann in gelber Weste.

Protestler beschimpfen Journalisten als Kollaborateure

In wenigen Fällen wurde der Zorn der Gelbwesten richtig bedrohlich. Bei einer Demo in Toulouse haben Protestierende ein Fernseh-Team von BFMTV und C-NEWS umzingelt und als "Collabos" beschimpft - als Kollaborateure. Ein Reporter wurde vor laufender Kamera angegriffen. Woran liegt es, dass ausgerechnet dieser Sender so zur Zielscheibe wurde?

Céline Pigalle vom französischen TV-Sender BFM TV berichtet über die Proteste der sogenannten Gelbwesten in Frankreich. © NDR
Céline Pigalle (BFM TV): "Wir haben unterschätzt, wie mächtig die sozialen Netzwerke sind, wenn es um Manipulation geht und die Verbreitung von Lügen."

"Wir von BFM TV haben eine ungeheure Reichweite: Am letzten Samstag hatten wir mehr als 20 Millionen Zuschauer den Tag über", sagt Céline Pigalle, die Redaktionsleiterin von BFM TV. "BFM ist eine Marke, die Leute sich wirklich zu Eigen gemacht haben, als wäre das ihr eigener Sender. Und weil es ja ihr Sender ist, möchten Sie gerne, dass er auch das erzählt, was sie denken." Doch das tut BFM nicht - jedenfalls, wenn es nach den Gelbwesten geht. Sie fühlen sich verraten, diskreditiert.

Gegenöffentlichkeit aus Infos, Halbwahrheiten und Gerüchten auf Facebook

Das wichtigste Medium ist für die Gelbwesten Facebook geworden. Hier organisieren sie sich. In den Gruppen sammelt sich ein Gemisch aus echten Informationen, Halbwahrheiten und Gerüchten. Und diese Gegenöffentlichkeit konkurriert mit der plötzlich als einseitig wahrgenommenen Berichterstattung im Fernsehen. "Wir haben unterschätzt, wie mächtig die sozialen Netzwerke sind, wenn es um Manipulation geht und die Verbreitung von Lügen", sagt Céline Pigalle. "Diese Nähe, die auf Facebook entsteht, ist für viele vielleicht ein höherer Garant für Wahrheit, als etwa das Logo eines Mediums", sagt Nadia Pantel.

Funktionsweise der Medien vielen unklar

Tatsächlich stehen Medienmarken in Frankreich längst nicht mehr automatisch für Unabhängigkeit. Fast alle großen Zeitungen gehören Großindustriellen. "Es ist wahr, dass die Zeitungen in Frankreich alle reichen Aktionären, also den Kapitalisten, gehören - auch wir", sagt Raphaëlle Rérolle, Reporterin bei "Le Monde". "Aber es ist natürlich auch unser Fehler, dass wir zu wenig zeigen, wie die freie Presse funktioniert: Dass die reichen Aktionäre überhaupt keinen Einfluss haben auf den Inhalt der Zeitung."

Doch weil längst nicht jedem klar ist, wer über den Inhalt eines Mediums bestimmt, herrscht auch bei der Demonstration auf den Prachtstraßen von Paris große Verunsicherung: "Selbst wenn Sie als Journalistin die richtigen Bilder drehen heute, woher weiß ich, dass da nicht jemand dahintersteht, der sie manipulieren wird?", fragt ein Mann in Warnweste. "Ich kenne mich nicht aus mit Technologie, ich bin Bauarbeiter."


14.12.2018 14:45 Uhr

Hinweis der Redaktion: In der Erstausstrahlung der ZAPP-Sendung waren zum Ende des Gelbwesten-Beitrags zwei Bilder zu sehen, anhand derer aufgezeigt werden sollte, wie eine unterschiedliche Motivwahl die Demonstrationen mal gefährlicher und mal weniger gefährlich erscheinen lässt. Die genutzten Bilder waren dafür jedoch ungeeignet, da sie im Netz bereits in einem falschen Zusammenhang zur Diskreditierung von Medien genutzt wurden und werden - dort wird behauptet, sie zeigten eine Szene aus unterschiedlicher Perspektive. In Wirklichkeit sind es jedoch zwei Szenen, die Fotos wurden an verschiedenen Tagen aufgenommen, wie der AFPFactCheck (siehe unten) feststellte. Um Missverständnisse zu vermeiden, haben wir diesen Abschnitt aus dem Beitrag herausgeschnitten. Wir bitten um Entschuldigung.

 

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ZAPP | 12.12.2018 | 23:20 Uhr

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