Dmitrij Muratov © picture alliance / AA Foto: Sefa Karacan

Friedensnobelpreis: Der mutige Weg der "Nowaja Gaseta"

Sendedatum: 09.10.2021 06:00 Uhr

Der Friedensnobelpreis geht dieses Jahr an zwei Journalist*innen. Einer davon: Dmitrij Muratov, Gründer der "Nowaja Gaseta". Seine Zeitung kämpft für unabhängigen Journalismus – trotz Lebensgefahr.

Als Dmitrij Muratov 1993 die erste unabhängige russische Tageszeitung gründet, aus der später die "Nowaja Gaseta" hervorgeht, hilft ihm ein Friedensnobelpreisträger: Michail Gorbatschow finanziert mit seinem gewonnen Preisgeld Computer für die Redaktion. Knapp 30 Jahre später bekommt Muratov selber einen Friedensnobelpreis verliehen. Warum? Das zeigt ein Blick ins ZAPP-Archiv.

"Alle haben Angst"

Schon 2002, im Gründungsjahr von ZAPP, berichten wir über die "Nowaja Gaseta". Nach der Machtergreifung von Wladimir Putin gerät die kritische Zeitung zunehmend unter Druck. "Unter Jelzin waren wir frei, konnten schreiben, was wir wollten", sagt Redakteurin Anna Politkowskaja. Aber jetzt haben wir immer Angst, dass diese Ausgabe die letzte ist, dass sie uns schließen." Noch ist die "Nowaja Gaseta" an jedem Kiosk erhältlich. Aber Politkowskaja merkt: "Die Stimmung hat sich verändert."

Vier Jahre später wird die Journalistin Anna Politkowskaja erschossen. Sie ist das vierte Redaktionsmitglied der "Nowaja Gaseta", das ermordet wird. "Es ist eine Katastrophe für alle Journalisten, die hier arbeiten, weil klar wird, dass wir jetzt noch weniger darüber berichten können, was wir denken und fühlen", sagt die russische Journalistin Anna Sadovnikava. Und auch im Westen macht sich Empörung über einen "Mord an der Freiheit" breit.

Nach der Ermordung von Politkowskaja denkt ihr Chefredakteur Dmitrij Muratov ans Aufhören: "Die Arbeit ist zu gefährlich und das Leben eines Menschen ist schließlich mehr wert als eine Zeitung." Der Rest der "Nowaja Gaseta" sieht das anders. "Meine Kollegen haben mich nicht unterstützt", erklärt Muratov. Es geht weiter. Für diesen Mut bekommt das Medium den Henri Nannen Preis für Pressefreiheit. Bei der Preisverleihung in Hamburg wendet sich Muratov an die Vertreter der deutschen Wirtschaft: "Mit ihrer Hilfe wäre es möglich, eine Bresche in die Mauer der Angst zu schlagen." Wird sein Appell gehört?

Einen Tag nach Putins Wiederwahl 2012 verfolgen fünfzehn Nachwuchsreporterinnen und -reporter der "Nowaja Gaseta" eine Protestdemonstration in Russland. Eine von ihnen ist Natalja Zotova. Sie befürchtet: "Natürlich kann es sein, dass es bei uns wird wie in Weißrussland, dass die Proteste brutal zerschlagen werden. Das wäre das schlimmste Szenario." Zotovas Befürchtungen werden wahr. Die Sicherheitspolizei setzt der Demonstration ein plötzliches Ende. Rund 250 Menschen werden festgenommen – auch Journalistinnen und Journalisten.

Anfang 2017 veröffentlicht die "Nowaja Gaseta" Recherchen über tschetschenische Sicherheitskräfte, die Männer wegen ihrer Homosexualität verschleppt haben sollen. Weil sie den Skandal aufgedeckt hat, wird die Redaktion bedroht. "Wir wissen noch nicht genau, woran es liegt, aber seit zwei Tagen ist unsere Telefonverbindung im Büro immer wieder unterbrochen", berichtet Chefredakteur Muratov. Kurz darauf erreicht ein Briefumschlag voll giftigem Pulver die Redaktion.

VIDEO: "Nowaja Gaseta" - Arbeiten unter ständiger Bedrohung (6 Min)

Trotz Anschlägen, Bedrohungen und Morden hat die "Nowaja Gaseta" den Kampf für ihre unabhängige Arbeit bis heute nicht aufgegeben. Und das, obwohl Russland inzwischen auf Platz 150 von 180 der Rangliste der Pressefreiheit liegt. Für dieses mutige Vorgehen erhält Dmitrij Muratov jetzt den Friedensnobelpreis – stellvertretend für seine Kolleginnen und Kollegen, wie er selbst sagt.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Nachrichten | 09.10.2021 | 06:00 Uhr

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