Eine Hand hält eine Spritze mit einem experimentellen Corona-Impfstoff. © dpa

Coronavirus: Der große Impfplan für Deutschland

Stand: 06.11.2020 10:28 Uhr

In den kommenden Monaten könnten erste Impfstoffe gegen das Coronavirus zugelassen werden. Um dann Millionen Menschen impfen zu können, sind noch große Herausforderungen zu bewältigen.

von Christian Baars, Oda Lambrecht

Es ist eine Mammut-Aufgabe, eine große logistische Herausforderung. Wenn tatsächlich in den kommenden Monaten ein Impfstoff oder gar mehrere Impfstoffe gegen das Coronavirus zugelassen werden, sollten möglichst viele Menschen schnell geimpft werden können.

Die Vorbereitungen laufen in den Bundesländern

Der NDR hat alle Bundesländer angeschrieben und nach dem aktuellen Planungsstand und möglichen Problemen gefragt. Die meisten erklärten, die Vorbereitungen laufen, seien aber durchaus herausfordernd.

Für Herdenimmunität sind im Norden Millionen Impfungen nötig

Allein in Norddeutschland leben knapp 15 Millionen Menschen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nannte als Ziel, dass etwa 60 Prozent der Bevölkerung geimpft werden müssten, um eine sogenannte Herdenimmunität zu erreichen. Das wären also etwa neun Millionen Menschen im Norden. Nötig sind voraussichtlich zwei Impfungen pro Person. Will man das innerhalb eines Jahres schaffen, müssten hier täglich fast 50.000 Menschen geimpft werden.

Nötig sind auch Spritzen, Kanülen, Tiefkühlschränke

Dafür sind nicht nur die Impfstoffe in ausreichender Menge nötig, sondern auch Spritzen, Kanülen, Desinfektionsmittel und weiteres Zubehör - womöglich auch Ultratiefkühlschränke. Denn einige der Impfstoffe, die derzeit entwickelt werden, müssen voraussichtlich bei -70 Grad transportiert und gelagert werden.

Schwierige Lagerung der Impfstoffe

Diese "schwierigen Lagerungsbedingungen" gehörten zu den größten Herausforderungen, teilte Niedersachsen auf Anfrage des NDR mit. Das Land muss sich nun darum kümmern, dass die Impfstoffe - sobald sie vorliegen - schnell und sicher verteilt werden können.

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Forscher in weißen Kitteln klettern einen Berg hoch, auf dessen Spitze eine Spritze steht.

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Welche Gruppen werden zuerst geimpft?

Außerdem machen den Organisatoren die vielen ungeklärten Fragen zu schaffen. "Einige wichtige Informationen liegen Stand heute noch nicht vor", stellt Niedersachsens Gesundheitsministerium nüchtern fest. Zum Beispiel wisse man noch nicht, wer zuerst geimpft werden solle.

Risiko-Patienten schützen oder Corona-Verbreitung bremsen?

Zumindest diese Frage soll bald geklärt werden. Die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut erarbeitet dafür gerade gemeinsam mit dem Ethikrat und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina die Rahmenbedingungen. Sie werden zuerst die grundsätzlichen Ziele festlegen, also ob etwa zuerst Risiko-Patienten geschützt werden sollen oder ob die Priorität darauf liegt, die Verbreitung des Virus zu bremsen.

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Phase 1 der Impfstoff-Entwicklung. In der Regel weniger als 100 Probanden, bei denen getestet wird, ob der Impfstoff sicher ist und zu einer Reaktion des Immunsystems führt.

Der Weg zum Impfstoff

Einen Impfstoff zu entwickeln ist aufwendig. Bevor er auf den Markt kommt, wird er in klinischen Studien auf Sicherheit und Wirksamkeit getestet - und zwar in mehreren Phasen. Bildergalerie

Danach wird die Impfkommission konkret empfehlen, in welcher Reihenfolge bestimmte Bevölkerungsgruppen wie etwa Jüngere oder Ältere, medizinisches Personal wie Ärzte und Pfleger oder auch Lehrer geimpft werden sollten. Am Ende sollen Bund und Länder gemeinsam über diese Priorisierung entscheiden.

Bundesweit 60 Zentrallager geplant

Eine weitere Herausforderung für die Länder ist derzeit die Suche nach geeigneten Orten, zu denen die Impfstoffe geliefert und von wo aus sie weiter verteilt werden können. Geplant ist derzeit, dass bundesweit 60 zentrale Lager eingerichtet werden. Bis zum 10. November sollen die Länder geeignete Standorte benennen. Das geht aus einer Beschlussvorlage der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) hervor. Der Bund will den Impfstoff zentral beschaffen und finanzieren. Private Firmen oder die Bundeswehr sollen für den Transport in die zentralen Lager sorgen.

Suche nach geeigneten Orten für Impfzentren

Von da an werden die Bundesländer die weitere Verteilung und Planung der Impfungen übernehmen. Sie wollen an verschiedenen Orten Impfzentren einrichten - möglichst große Räume oder Hallen, in denen viele Menschen parallel geimpft werden können. Geeignete Orte werden in Schleswig-Holstein in allen Kreisen und kreisfreien Städten geprüft, teilte das dortige Gesundheitsministerium mit. Zusätzlich sollen in allen Ländern mobile Impfteams zum Einsatz kommen, die etwa zu Pflege- und Seniorenheimen fahren.

Mecklenburg-Vorpommern hat 500.000 Spritzen bestellt

Das nötige Zubehör wie etwa Spritzen sollen auch die Bundesländer beschaffen. Die konkreten Mengen, die sie bislang bestellt oder bereits gekauft haben, unterscheiden sich jedoch erheblich. Mecklenburg-Vorpommern etwa rechnet vor, dass sie rund 3,2 Millionen Spritzen benötigten, um die gesamte Bevölkerung von etwa 1,6 Millionen Menschen zu impfen. Nach eigenen Angaben hat das Land bislang Material für rund 500.000 Dosen bestellt, also für etwa 15 Prozent der Einwohner.

Niedersachsen: "Das notwendige Material wurde bereits beschafft"

Die anderen norddeutschen Länder haben keine konkreten Angaben gemacht. Der Sprecher der Hamburger Gesundheitsbehörde erklärte, man habe Zubehör bestellt, wolle aber keine Zahlen nennen, weil das den Markt beeinflussen könne. Und Niedersachsen teilte schlicht mit, "das notwendige Material zur Impfung wurde bereits vom Land beschafft". Bremen schrieb, es prüfe noch, welche Materialien schon vorhanden seien, wie viel also tatsächlich bestellt werden muss. Und Schleswig-Holstein teilte mit, die Verteilung werde vorbereitet, die Landesregierung werde entsprechend informieren.

Wohl genug Spritzen vorhanden

Aber auch wenn die Länder jetzt noch nicht alle benötigten Materialien gekauft oder bestellt haben, sieht der Pharma-Logistik-Experte Matthias Klumpp vom Fraunhofer Institut in Dortmund keinen Grund zur Sorge. Er ist zuversichtlich, dass es ausreichend Spritzen, Kanülen und Tiefkühlschränke in Deutschland geben werde. Auch für den Transport der Impfstoffe seien die Strukturen und Akteure "grundsätzlich sehr gut vorbereitet", sagte Klumpp dem NDR.

Hilft eine App bei der Terminvergabe?

Allerdings sei die Verteilung insgesamt eine "komplexe Herausforderung", vor allem die sogenannte "letzte Meile" - also die Frage: Wo und wie werden die Impfstoffe letztlich den Bürgern verabreicht? Um etwa 60 Prozent der gesamten Bevölkerung in Deutschland innerhalb eines Jahres je zweimal zu impfen, müssen rein rechnerisch täglich knapp 350.000 Impfungen vorgenommen werden. Die Planung und Vergabe von Terminen ist dementsprechend herausfordernd. Klumpp plädiert dafür, digitale Lösungen zu entwickeln - etwa eine App zur Vereinbarung von Terminen für die Impfung.

"Der größte Engpass liegt beim Personal"

Das größte Problem könnte jedoch aus seiner Sicht beim Personal drohen. Die Impfungen können von medizinischen Fachkräften vorgenommen werden, aber es müssen auch immer Ärzte dabei sein, etwa für den Fall, dass Nebenwirkungen auftreten. Und in der aktuellen Corona-Situation würde das medizinische Personal in Kliniken und Praxen bereits "an der Kapazitätsgrenze arbeiten", sagt Klumpp. "Da ist aus unserer Sicht eigentlich der größte Engpass", sagt Klumpp. Es müsse jedem klar sein, das sei "kein 100-Meter-Sprint, das ist ein Marathon".

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Nachrichten | 06.11.2020 | 14:00 Uhr

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