Genitalverstümmelung: Welchen Schutz brauchen Mädchen in Deutschland?

Stand: 26.03.2024 15:57 Uhr

Nach Berechnungen des Bundesfrauenministeriums leben über 73.200 Frauen und Mädchen in Deutschland, die eine Genitalverstümmelung erlitten haben. Das sind zehn Prozent mehr als noch vor drei Jahren. Allein in Norddeutschland sind bis zu 2.713 Mädchen gefährdet, eine Genitalverstümmelung zu erleiden. Das schätzt die Frauenrechtsorganisation Terres de femmes. In ganz Deutschland könnten es laut Dunkelzifferschätzung aus dem Jahr 2022 bis zu 17.271 Mädchen sein. Um diese Mädchen zu schützen gibt es in Kiel eine spezialisierte Beratungsstelle der Diakonie Altholstein.

von Alexa Höber

Wann sind Mädchen gefährdet?

Nach Einschätzung der Beratungsstelle können Kinder zu Opfern einer Genitalbeschneidung werden, wenn eine "Beschneiderin" aus dem europäischen Ausland nach Deutschland einreist und die Eltern sie engagieren. Aber auch der Urlaub junger Mädchen im Herkunftsland der Mutter oder des Vaters kann problematisch sein. In vielen Ländern wie Somalia, Eritrea, Ägypten, Ghana oder im Jemen ist Genitalverstümmelung zwar offiziell verboten, wird aber illegal vor allem in kleinen Dörfern weiter praktiziert. Auch in Gambia ist Genitalbeschneidung offiziell verboten. Doch eine Mehrheit im Parlament möchte dieses Verbot kippen und die Genitalverstümmelung von Mädchen wieder erlauben.

In der Beratungsstelle der Diakonie Altholstein in Kiel erzählt Hani aus Somalia von ihren Erfahrungen. SIe hat die Beschneidung bereits als Kind erlebt: "Wir waren fünf Mädchen. Sie haben uns alle geholt und dann gesungen. Alle Frauen sind zusammengekommen und haben gekocht. Es ist wie eine Hochzeit. Du denkst, es passiert etwas Gutes, aber dann haben wir geweint. Sie sagen es einem nicht vorher, aber dann fesseln sie dich. Zwei Frauen haben mich so festgebunden und es dann getan."

Hani aus Somalia erzählt, wie sie als Kind beschnitten wurde. © Screenshot
Hani aus Somalia erzählt, wie sie als Kind beschnitten wurde.

In ihrem Dorf hörte sie, welche Schmerzen die beschnittenen Frauen später beim Geschlechtsverkehr hatten und flüchtete. Über 5.000 Frauen leben in Schleswig-Holstein, die aus Ländern kommen, in denen weibliche Genitalbeschneidung praktiziert wird.

Genitalverstümmelung in Deutschland

Obwohl das deutsche Strafrecht einen eigenen Tatbestand kennt, der die weibliche Genitalverstümmelung unter Strafe stellt, werden nur die wenigsten Fälle angezeigt. Laut Bundeskriminalamt wurde 2019 in Bayern eine Genitalverstümmelung angezeigt, 2021 waren es vier Anzeigen, eine in Baden-Württemberg, zwei in Bayern und eine in Nordrhein-Westfalen. Im Jahr 2022 waren es drei Fälle, einer in Baden-Württemberg, zwei in Brandenburg.

Es gibt nicht in jedem Bundesland spezialisierte Beratungsstellen, um die betroffenen Mädchen und Frauen zu unterstützen und auch gefährdete Mädchen zu schützen. In der so genannten Istanbul Konvention hat sich Deutschland eigentlich verpflichtet, Gewalt gegen Frauen abzuwenden, unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsstatus. Doch ein Expert:innenkomitee  stellte 2022 fest, dass Ressourcen für die notwendige Unterstützung bisher fehle, spezialisierte Fachberatungsstellen dringend ausgebaut werden müssten.

Beratungen in den norddeutschen Bundesländern

In Hamburg organisiert die Sozialbehörde seit 2012 einen runden Tisch gegen weibliche Genitalverstümmelung. Die Gynäkologin Helga Seyler, die sich um viele beschnittene Frauen kümmert, wünscht sich aber zusätzlich eine Koordinierungsstelle, die betroffene Frauen zu den am besten geeigneten Angeboten vermittelt.

In Schleswig-Holstein hingegen gibt es die auf weibliche Genitalbeschneidung spezialisierte Beratungsstelle TABU der Diakonie Altholstein. Das Land hat in diesem Jahr allerdings keine Finanzmittel für diese Beratungsstelle bereitgestellt, obwohl es sich im Februar 2023 einstimmig für "Null Toleranz gegen Genitalverstümmelung" ausgesprochen hatte. Auf Nachfrage heißt es:  "Das Land Schleswig-Holstein habe in diesem Jahr die Entwicklung eines landesweiten Kompetenzzentrums gegen geschlechtsspezifische Gewalt auf den Weg gebracht, das perspektivisch die regionale Vernetzung zum Thema weibliche Genitalbeschneidung übernehmen soll." Frauen, die Opfer eine Genitalverstümmelung geworden sind, können sich auf Antrag Fahrtkosten erstatten lassen, die entstehen, wenn sie zu Operationen fahren, um eine Rekonstruktion vornehmen zu lassen. Die Bundestagsabgeordnete Gyde Jensen (FDP) kritisiert die bisher durch die Landesregierung umgesetzten Maßnahmen als unzureichend.

Das niedersächsische Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung schreibt auf unsere Anfrage, das Thema weibliche Genitalbeschneidung sei ein äußerst sensibles und intimes Thema. Das genaue Ausmaß sei daher schwer zu erfassen. Eine auf weibliche Genitalbeschneidung spezialisierte Beratungsstelle wie in Schleswig-Holstein gibt es hier nicht. Wie in Hamburg existiert auch in Niedersachsen ein runder Tisch. Ziel sei der fachliche Austausch und die Vernetzung der Akteur:innen. Es gehe dabei auch darum, Beratungs- und Hilfsangebote weiter auszubauen, so das Sozialministerium.

In Mecklenburg-Vorpommern können sich betroffene Frauen laut Ministerium für Soziales, Gesundheit und Sport an Institutionen wenden, die zum Thema häusliche und sexualisierte Gewalt beraten und diese würden sie dann weitervermitteln.

Damit möglichst viele Menschen für das Thema sensibilisiert werden, gehen die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle in Kiel auch an Schulen, in denen zum Beispiel Kita-Erzieherinnen ausgebildet werden. Sie sollen wissen, worauf sie achten müssen. "Dieses: Du hast da eine große Feier und dann gibt es die Perle geschenkt. Wenn man von dieser Thematik nichts weiß, wird das natürlich erstmal in einem ganz anderen Kontext wahrgenommen.", sagt dort eine Erzieherin. "Überhaupt das gesellschaftliche Wissen zu haben über diese Problematik, öffnet ja die Augen und ist wichtig für jeden Menschen."

 

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 26.03.2024 | 21:15 Uhr