Stand: 15.05.2017 12:00 Uhr

Nachgefragt: Dirigent Hannu Lintu

Der finnische Dirigent Hannu Lintu. © Veikko Kähkönen Foto: Veikko Kähkönen
Hannu Lintu ist Chefdirigent des Finnish Radio Symphony Orchestra und im Konzert- wie Opernbereich gleichermaßen international gefragt. Im Mai ersetzt er den erkrankten Christoph von Dohnányi beim NDR Elbphilharmonie Orchester.

Der Finne Hannu Lintu ersetzt kurzfristig den erkrankten Christoph von Dohnányi bei den Konzerten des NDR Elbphilharmonie Orchesters am 18., 19. und 21. Mai in der Elbphilharmonie Hamburg. Dramaturg Julius Heile stellt den Dirigenten und sein Konzertprogramm im Gespräch ein wenig näher vor.

Herr Lintu, in den aktuellen Konzerten springen Sie für den erkrankten Christoph von Dohnányi ein und geben damit Ihr Debüt in der Elbphilharmonie und beim NDR Elbphilharmonie Orchester. War die so kurzfristig und überraschend kommende Anfrage für Sie ein Angebot, das man nicht ablehnen kann? Was haben Sie über Hamburgs neuen Konzertsaal und dessen Residenzorchester bereits gehört? 

Hannu Lintu: Es gab viele gute Gründe, diese Einladung anzunehmen. Ich kenne das Orchester ein bisschen durch dessen Aufnahmen und habe Großartiges von meinen Kollegen gehört. Bisher habe ich zwar noch nicht so viele getroffen, die bereits in der Elbphilharmonie aufgetreten sind, aber natürlich habe ich die Berichterstattung in der Presse verfolgt. Das Haus ist für mich insbesondere deswegen interessant, weil der Konzertsaal in Helsinki, wo mein Orchester, das Finnish Radio Symphony Orchestra beheimatet ist, vor fünf Jahren eröffnet wurde und sein Klang vom gleichen Akustiker geschaffen wurde: Yasuhisa Toyota. Er war eine große Hilfe, als wir unseren neuen Saal eingespielt haben, und ich habe größte Hochachtung vor ihm. Überdies ist der Geiger Vadim Gluzman ein guter Freund von mir, und die Gelegenheit, das Violinkonzert von Berg mit ihm zu interpretieren, ist ein weiterer Grund, warum dieses Angebot so verlockend für mich war.

Neben diesem Violinkonzert werden Sie Werke von Jean Sibelius und Carl Nielsen dirigieren, zwei führenden Komponisten nordischer Herkunft. Fühlen Sie als Finne eine gewisse Seelenverwandtschaft mit ihnen?

Lintu: Mit Sibelius logischerweise. Ich habe durch seine Partituren viel über das Dirigieren gelernt, und weil sein musikalisches Material immer eng mit der finnischen Sprache verbunden ist, empfinden wir ihn ganz stark als "unseren" Komponisten. Für mich ist Nielsen "skandinavischer". Man sollte bedenken, dass Finnland nicht wirklich zu Skandinavien gehört. Nielsens Musik hatte unter den finnischen Dirigenten zwar immer große Interpreten, doch das kommt hauptsächlich daher, dass wir sehr viel in Dänemark und Schweden arbeiten, wo Nielsen mehr als irgendwo anders geschätzt wird. Es ist ein glücklicher Zufall, dass die beiden nordischen Werke des Programms – "Tapiola" von Sibelius und Nielsens Sinfonie "Das Unauslöschliche" – von der Natur handeln, selbstverständlich auf jeweils ganz eigene Weise: Nielsens Sinfonie ist eine Manifestation der Kraft der Natur, sich selbst zu erneuern, und Sibelius' Stück handelt von der Beziehung zwischen der Natur und den Menschen.

Für viele Menschen hierzulande wird die Musik des Nordens ohnehin fast ausschließlich mit Landschaft oder Natur assoziiert. Was meinen Sie: Klischee oder Wahrheit?

Lintu: Ich möchte nicht für die anderen nordischen Länder sprechen, aber sicherlich ist es richtig, dass viele finnische Komponisten ein tiefes Verhältnis zur Natur hatten und immer haben werden. Aber gilt das nicht genauso für Komponisten wie Beethoven, Haydn, Dvořák, Smetana, Mahler, Strauss und so weiter? Ich glaube, dass die Natur immer eine der wichtigsten Inspirationsquellen für Komponisten gewesen ist, ganz egal, woher sie stammten.

Kommen wir auf Sibelius und Nielsen zurück: Außer dass die beiden im selben Jahr geboren sind, gibt es eigentlich kaum Gemeinsamkeiten zwischen ihnen, oder?

Lintu: Das ist richtig. Sie verehrten einander zutiefst und trafen sich oft, aber ihre musikalische Ästhetik ist völlig verschieden. Meines Erachtens ist der Hauptgrund dafür technischer Art: Sibelius arbeitet mit kurzen Beethoven'schen Motiven und erschafft eine sinfonische Einheit durch die Beziehung dieser Motive untereinander. Nielsen ist mehr in der mitteleuropäischen romantischen Tradition eines Schumann oder Brahms verwurzelt und entwickelt seine Themen auf traditionellere Art und Weise. Auch die Instrumentation ist ganz unterschiedlich. Die Idee, Bruckners Vierte Sinfonie im Programm durch Nielsens Vierte zu ersetzen, kam übrigens vom NDR, und ich war darüber sehr glücklich.

Was fasziniert Sie an dieser Nielsen-Sinfonie?

Lintu: Vor allem ist die Form der Vierten sehr interessant. Nielsen bewunderte einsätzige Stücke wie etwa die h-Moll-Sonate von Liszt oder die Kammersinfonie Nr. 1 von Schönberg. Er wollte etwas im gleichen Geist komponieren. Für mich ist die Form mit Sibelius' Fünfter Sinfonie vergleichbar. Nielsens oft sehr überraschende und eindrucksvolle Harmonik ist sowieso immer frappierend und seine Fähigkeit, musikalische Höhepunkte zu gestalten, einfach überwältigend.

Zwischen den Werken von Sibelius und Nielsen steht im Programm Alban Bergs Violinkonzert. Inwiefern passt das zusammen?

Lintu: Alle drei Werke wurden in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts komponiert: Nielsen schrieb seine Sinfonie 1914, Sibelius seine Sinfonische Dichtung "Tapiola" 1926 und Berg sein Violinkonzert 1935. Werden alle drei im selben Konzert gespielt, beweisen sie ganz wunderbar den Pluralismus der Stile im Europa dieser Epoche.

Das Gespräch führte Julius Heile.

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