Warum das Leben vieler Busfahrer so stressig geworden ist

Stand: 28.02.2024 14:05 Uhr

Für die Beschäftigten im kommunalen ÖPNV beginnt am Mittwoch die vierte Verhandlungsrunde. Die Gewerkschaft ver.di fordert bessere Arbeitsbedingungen. Eine Busfahrerin erzählt von ihrem Arbeitsalltag.

von Anke Rösler

Es sieht ein wenig gespenstisch aus, wie sie auf ihrem E-Bike durch Hitchcock-Nebelschwaden radelt. Nicole Arpe-Gitzuhn biegt in den Betriebshof der Kieler Verkehrsgesellschaft ein. Es ist noch nicht mal fünf Uhr morgens.  

Jeden Tag beginnt sie mit einem Rundgang um den Bus. Sie kontrolliert, ob die Lichter und die Blinker funktionieren und ob die Reifen nicht beschädigt sind. Eine wichtige Routine. Denn jeden Morgen steigt sie in einen anderen Bus. Heute steht ihr Lieblingsbus vor ihr. Kein E-Bus, sondern einer der "alten Sorte, die zuverlässig funktionieren", sagt sie.

Im dichten Nebel fährt Nicole Arpe-Gitzuhn Richtung Kieler Innenstadt. Die Busfahrerin muss sich jeden Tag auf eine neue Route einstellen. Sie beherrscht alle Linien in Kiel - insgesamt 32 Tagesrouten. In ihrer Anfangszeit vor neun Jahren, hat sie sich auch schon mal verfahren.

Zwei Schreckmomente in der ersten Schicht

Noch ist sie allein im kalten Bus. Sie fährt erst die Strecke der Buslinie 51 Richtung Reventloubrücke, später die Linie 50, die am Botanischen Garten endet. Es wird ein ruhiger Vormittag mit freundlichen Pendlern - und zwei Schreckmomenten. In Höhe Olsenhausenstraße schwenkt ein Kleinwagen unvermittelt auf ihre Spur. Sie hupt energisch und bremst. An der Haltestelle Ziegelteich nimmt ihr ein Autofahrer auf der Abbiegespur die Vorfahrt. Obwohl es knapp ausgegangen ist, flucht sie nicht. Am Lehmberg hebt ein Radfahrer mit Kinderanhänger dankend die Hand, nachdem sie ihm für kurze Zeit fast im Schritttempo vor einer Haltestelle gefolgt ist.

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Frühstückspause zwischen Ankunft und Abfahrt

Am meisten aufpassen muss sie, wie sie sagt, "wenn die Verkehrsdichte zunimmt, wenn die Radfahrer, die im Dunkeln fahren, gar nicht zu sehen sind, weil sie keine Warnweste anhaben oder kein Licht."

An der Haltestelle Kolonnenweg hat die 42-Jährige zehn Minuten Pause und löffelt schnell ihr Frühstück aus einer Dose: Grießbrei vom Abendbrot mit der Familie. Sie ist in einer Familie mit Busfahrern aufgewachsen und mag ihren Beruf. Besonders gern fährt sie die längeren Strecken nach Laboe oder Heikendorf.

Zerrissene Arbeitstage erschweren Familienleben

Kurz vor zehn Uhr beendet Nicole Arpe-Gitzuhn ihre erste Schicht am Kieler Hauptbahnhof und übergibt den Bus an einen Kollegen. Jetzt hat sie fast vier Stunden Pause bevor die zweite Schicht des Tages am Nachmittag beginnt. Dann wieder mit neuem Bus und neuer Route. Es ist ein zerrissener Arbeitstag - geplant, um die Stoßzeiten im Berufsverkehr abzudecken.

Meine Kinder haben nicht mehr viel Zeit, mich zu sprechen, mein Lebenspartner auch nicht. Nicole Arpe-Gitzuhn, Busfahrerin

"Mein persönlicher Alltag sieht so aus: Ich fahre zwei Mal am Tag zur Arbeit, bin in der einen geteilten Woche um 18.30 Uhr spätestens zu Hause, sonst um 20 Uhr. Meine Kinder haben nicht mehr viel Zeit, mich zu sprechen, mein Lebenspartner auch nicht. Es wird gegessen. Dann gehe ich schon wieder ins Bett, damit ich am nächsten Tag fit bin."

Teildienste gefährden Ehen und Partnerschaften

Für Nicole Arpe-Gritzuhn heißt dann um 4 Uhr morgens aufstehen. Die Kielerin hat immerhin Glück, denn sie wohnt in der Nähe. Anders als die Kollegen, die weiter weg wohnen und für die sich der Weg nach Hause während der Dienstunterbrechung nicht lohnt. "Auch wenn man diese Pause hat, sie lässt einen zu Hause ja nicht in Ruhe. Man hat ja immer im Hinterkopf: Ich muss gleich wieder los zur Arbeit", sagt sie. Familienfreundlich sei das nicht, ergänzt die Mutter zweier großer Töchter. Viele Ehen und Partnerschaften gingen an den Belastungen der Teilschichten kaputt.

"Vielleicht kriegen wir die Leute wieder zurück"

Gut 3.000 Euro verdient ein Busfahrer plus Zuschläge für Nacht- und Wochenendarbeit. Dazu kämen gehetzte Mahlzeiten und Toilettengänge, die nach dem Fahrplan getaktet seien, und manchmal unangenehme Fahrgäste, erzählt Nicole Arpe-Gitzuhn und fügt an: Nicht ohne Grund sei der Krankenstand hoch und die Zahl der Bewerber zu niedrig. Deshalb unterstützt sie die Tarifforderungen nach kürzerer Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich und ist dafür seit kurzem auch im Verhandlungsteam.

Mehr Personal würde die Arbeitssituation entspannen

"Ich hoffe halt, dass der Beruf des Busfahrers dann attraktiver wird. Denn wir haben auf dem Arbeitsmarkt ganz viele Leute mit Führerschein, aber die arbeiten nicht bei uns. Vielleicht kriegen wir die Leute wieder zurück“, sagt die Kielerin. Mehr Personal würde sie und ihre Kollegen entlasten.

Nach der ersten Schicht steigt sie am Hauptbahnhof in den Bus, um ihr Fahrrad vom KVG-Betriebsgelände zu holen. Sie wird schnell einkaufen und sich vielleicht noch mal hinlegen, damit sie für die zweite Schicht am Nachmittag fit ist. Morgen früh geht alles wieder von vorn los. Dann wird die 42-Jährige wieder eine neue Route fahren. Wieder in einem neuen Bus.

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Schleswig-Holstein Magazin | 27.02.2024 | 19:30 Uhr

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