Inklusive Demokratie: Menschen mit Behinderung als Wahlhelfende
Barrierefreiheit im Wahllokal ist immer noch ein Problem in Mecklenburg-Vorpommern. Ein Workshop für Wahlhelfende soll das jetzt ändern. Die Teilnehmenden sind ausschließlich Menschen mit Behinderung.
Immer noch sind fast 800 Wahllokale in Mecklenburg-Vorpommern nicht oder nur teilweise barrierefrei. Das sind aktuell etwa 35 Prozent aller Wahllokale im Land, das hat die Landeswahlleitung auf NDR Anfrage mitgeteilt. Damit hat sich die Lage seit der letzten Wahl 2019 noch weiter verschlechtert. Damals waren 594 Wahllokale nicht oder nur teilweise barrierefrei. Etwa 15 Prozent der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern haben eine Behinderung und sind von diesen Einschränkungen betroffen.
Barrieren bei der Wahlbeteiligung
Mit dem Rollstuhl oder dem Rollator ins Wahllokal rein kommen, als Person mit Sehbehinderung sein Kreuz setzen oder mit einer Lernschwierigkeit den Wahlzettel verstehen - das sind nur ein paar der möglichen Probleme, die in nicht-barrierefreien Wahllokalen auftreten können. Betroffene haben dann meist nur eine Option, die Briefwahl. Bis 2019 durften in Mecklenburg-Vorpommern etwa 1.600 Menschen mit Behinderung gar nicht wählen, wegen des bundesweiten Wahlrechtsausschlusses.
Eine Möglichkeit, Wahllokale barrierefreier zu machen, wäre auch, Wahlhelfende mit Behinderung einzustellen. "Denn da wissen wir aus Erfahrung, dass Menschen mit Behinderung gute Experten sind und den übrigen Wahlvorstand auch durchaus schulen können", sagt Nils Wöbke vom Lebenshilfewerk Mölln-Hagenow. Er ist dort für das Projekt Capito verantwortlich, ein Büro für Barrierefreiheit. Wöbke hat einen Workshop ins Leben gerufen, bei dem ausschließlich Menschen mit Behinderung zu Wahlhelfenden vorqualifiziert werden.
Training für zukünftige Wahlhelfende
Bei dem Workshop erklärt Nils Wöbke mit genug Zeit und Ruhe, wie die Wahlzettel aufgebaut sind, wie viele Kreuze man machen darf, wann ein Wahlzettel ungültig ist und wer alles mit in die Wahlkabine darf. Außerdem hat er sich einige besondere Übungsszenarien überlegt. Zum Beispiel darf einer der Teilnehmenden so tun, als ob er blind wäre. Die anderen Workshop-Teilnehmenden unterstützen ihn dann beim Wahlgang. Das klappt am Anfang zwar noch nicht so gut. Aber nach einer ausführlichen Nachbesprechung und klärenden Fragen verstehen alle Teilnehmenden, worauf es ankommt.
Begeisterung und Herausforderung
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind engagiert dabei und freuen sich, dass es so einen Workshop jetzt gibt. Felix Jedling ist 26 Jahre alt und hat eine leichte Behinderung. "Ich habe vor, als Wahlhelfer aktiv zu sein, weil ich zeigen möchte, dass auch Menschen mit Behinderungen etwas können", erzählt er. Felix Jedling weiß genau, wie oft es noch Ängste, Hemmungen und Einschränkungen gegenüber Menschen mit Behinderung gibt. Gerade an Barrierefreiheit mangele es häufig noch in Schwerin und auch in vielen anderen Teilen von Deutschland.
Die meisten Gemeinden sind offen für Wahlhelfende mit Behinderung. Und obwohl gerade in den größeren Städten des Landes noch teilweise mehr als 100 Wahlhelfende fehlen, gehen die Gemeinden nicht direkt auf Menschen zu, die eine Behinderung haben, um sie als Wahlhelfende zu gewinnen. "Insgesamt sehen wir, dass das Thema Menschen mit Behinderungen als ehrenamtliche Wahlhelferinnen und Wahlhelfer für viele noch ungewohnt ist und sie erst einmal pauschal Bilder im Kopf haben, die sich so konkret gar nicht bestätigen müssen", sagt Nils Wöbke während des Workshops.
Kritik an nicht-barrierefreien Wahlunterlagen
Zu Inklusion gehört viel mehr dazu als einfach nur ein rollstuhl- oder rollatorgerechter Zugang zum Wahllokal. Oft wird nicht bedacht, wie Menschen wählen, die blind oder gehörlos sind oder eine Lernschwierigkeit haben. Neben dem eigentlichen Wahlgang ist es für einige Menschen außerdem nicht leicht, sich überhaupt im Vorfeld ausreichend über die Wahloptionen zu informieren. Die meisten Parteiprogramme gibt es zum Beispiel nicht in Leichter Sprache.
Barrierefreiheit ist nicht gleich Barrierefreiheit für alle! Nils Wöbke, Lebenshilfswerk Mölln-Hagenow
Das führt laut Wöbke dazu, dass einige Menschen mit Behinderung gar nicht erst wählen gehen. Er erzählt, dass viele sich nicht sicher fühlen und nicht wissen, wie sie ihre Stimme abgeben und sich richtig zu den Parteien und Kandidierenden informieren können. Auch die Teilnehmenden wünschten sich mehr Informationen in Leichter Sprache.
Mehr Workshops geplant
Nils Wöbke ist für die Teilnehmenden schon in Kontakt mit ihren Gemeinden und hofft, dass alle schon in ein paar Wochen als Wahlhelfende eingesetzt werden. Außerdem steht er auch noch weiter zur Verfügung für die Teilnehmenden, wenn doch noch Fragen aufkommen. Bevor die Wahlen stattfinden, sind noch zwei weitere Workshops in Neubrandenburg und Stralsund geplant. Und auch zur nächsten Wahl plant Wöbke wieder Workshops anzubieten.