Stand: 28.10.2014 18:00 Uhr

Verdeckte Kampagne für Botox gegen Migräne

von Lena Gürtler, Kaveh Kooroshy, Christina Berndt, Christian Baars

Botox ist bekannt als Mittel gegen Falten. Der Hersteller Allergan erzielt einen Milliarden-Umsatz mit dem Nervengift. Mit einer Art Werbekampagne versucht das Unternehmen nun offenbar, noch mehr aus dem Mittel herauszuholen - es geht dabei jedoch nicht um Schönheit, sondern um die Behandlung chronischer Migräne. Nach Recherchen von NDR und "Süddeutscher Zeitung" sind an der Kampagne auch namhafte Ärzte beteiligt, die Honorare von Allergan etwa für Vorträge oder Gutachtertätigkeiten bekommen.

VIDEO: Verdeckte Kampagne für Botox gegen Migräne (9 Min)

 

Allergan plakatiert und betreibt Internetseite zu chronischer Migräne

In den vergangenen Wochen hat der Pharma-Konzern in Berlin eine Reihe von Plakaten aufhängen lassen. Darauf: ein übergroßer Kopf und ein kurzer Text: "Über 49.000 Berliner wissen nicht, dass sie unter Chronischer Migräne leiden. Auch Sie?" Erst bei näherem Nachforschen wird klar, wer dahinter steckt. Auf dem Plakat ist eine Internetseite angegeben: www.chronischemigraene.de. Das Impressum verrät: Sie stammt von der Pharm Allergan GmbH, der deutschen Vertriebszentrale des US-Pharmakonzerns Allergan. Botox ist in Deutschland seit 2011 zur Behandlung von chronischer Migräne zugelassen. Von einer solchen sprechen Ärzte, wenn Patienten an mindestens 15 Tagen pro Monat unter Kopfschmerz leiden, davon an acht Tagen unter Migräne.

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Ein Stand der Initiative "Kopf frei fürs Leben" in einem Berliner Einkaufszentrum. © NDR

Botox gegen chronische Migräne?

Botox hilft gegen Falten. Aber wie gut es gegen chronische Migräne wirkt, ist umstritten. Der Hersteller Allergan will jedenfalls auf die Krankheit aufmerksam machen. Bildergalerie

 

Benedikt Buchner, Medizinrecht Universität Bremen. © NDR
Benedikt Buchner kritisiert die Kooperation von Ärzten mit der Pharmaindustrie.

Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente wie Botox ist in Deutschland verboten. Aber die Internetseite sei sehr geschickt gemacht, sagt der Medizinrechtler Benedikt Buchner von der Universität Bremen. Die Firma habe "alle Graubereiche umschifft", so dass sie juristisch nur schwer angreifbar sei. Es wird kein konkretes Produkt genannt. Stattdessen gibt es Tipps zur chronischen Migräne, Infos zur Behandlung und einen Selbsttest.

Ärzte kooperieren mit Allergan

Die Seite bietet jedoch auch die Möglichkeit, einen Arzt in der Nähe zu suchen. Hier sieht Buchner das eigentliche Problem dieser Kampagne: Ärzte kooperieren mit dem Pharmahersteller. Einer von ihnen ist Hartmut Göbel, einer der renommiertesten Schmerztherapeuten in Deutschland. Er ist Chefarzt der Schmerzklinik Kiel. Dort spritzt er auch immer wieder Botox.

Hartmut Göbel, Kopfschmerzklinik Kiel, hält eine Spritze. © NDR
Hartmut Göbel ist ein renommierter Schmerztherapeut. In seiner Klinik in Kiel behandelt er einige Migräne-Patienten mit Botox.

Göbel wird auf der Seite chronischemigraene.de - wie auch einige andere Mediziner - als Experte aufgeführt. Außerdem hat seine Klinik mehrere Videos auf Youtube veröffentlicht. Patienten berichten hier über ihre chronische Migräne. Am Ende gibt es einen Hinweis auf die Internetseite chronischemigraene.de. Geld habe er oder seine Klinik dafür nicht erhalten, sagt Göbel.

Allerdings bekommt er von Allergan für andere Leistungen Honorare - unter anderem schult er Ärzte im Auftrag des Pharmaunternehmens. Ein Problem sieht er darin nicht. Jeder könne sich ja selbst ein Bild machen, sagte Göbel NDR und SZ. Denn Ärzte müssten zum Beispiel bei Vorträgen angeben, von wem sie Unterstützung erhalten hätten. Wie viel er konkret von Allergan in den letzten Jahren bekommen hat, will Göbel aber nicht sagen.

Experte kritisiert Botox bei Migräne: "überflüssig" und "extrem teuer"

Er selbst zeigt sich jedenfalls überzeugt von Botox. Doch es gibt auch andere Meinungen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) schreibt auf Anfrage von NDR und SZ, dass die Zulassung kontrovers diskutiert worden sei. Die Stiftung Warentest meint, Botox helfe gegen chronische Migräne "nur ein bisschen". "Und selbst dieser Effekt ist nicht besonders gut belegt."

Wolfgang Becker-Brüser, arznei-telegramm. © NDR
"Überflüssig" und "extrem teuer" sei Botox für die Behandlung von chronischer Migräne, meint Wolfgang Becker-Brüser.

Der Herausgeber des pharma-unabhängigen Arznei-Telegramms, Wolfgang Becker-Brüser, meint sogar: Botox bei Migräne sei "überflüssig, da es schlecht untersucht ist und zu viele Risiken hat." Es sei zudem "extrem teuer". Eine Behandlung kostet etwa 800 Euro, sie muss alle drei Monate wiederholt werden. In Schottland hat sich die zuständige Behörde geweigert, Botox zuzulassen. Der Hersteller habe keine ausreichend robuste klinische und ökonomische Studie vorgelegt.

Mehr als 200 Mediziner auf chronischemigraene.de

Doch viele Ärzte in Deutschland haben offenbar kein Problem, Botox anzuwenden. Auf der Seite chronischemigraene.de sind mehr als 200 Mediziner aufgelistet. Auf ihren jeweiligen Internetseiten bieten viele eine Behandlung mit Botox an. Und Allergan will offenbar für neue Patienten sorgen. Mitte Oktober hat der Konzern in einem Einkaufszentrum in Berlin einen offenen Stand aufgebaut und bietet dort einen Selbsttest an - ein paar kurze Fragen, wer eine davon mit Ja beantwortet, kann sich gleich von einem Arzt vor Ort beraten lassen. Ob er dafür ein Honorar bekommt, mag er nicht sagen.

Der Kieler Arzt Hartmut Göbel ist also kein Einzelfall - weder beim Einsatz von Botox, noch bei der wirtschaftlichen Verbindung zum Pharma-Hersteller. Auf dem Deutschen Schmerzkongress in Hamburg Ende Oktober sind viele namhafte Schmerztherapeuten anzutreffen - mehrere von ihnen arbeiten nebenher auch für Allergan. Sie halten Vorträge, schreiben Gutachten, beraten oder forschen im Auftrag des Pharmaherstellers.

Leitender UKE-Arzt hält Vortrag auf Allergan-Symposium

Allergan selbst ist ebenfalls auf dem Kongress präsent. Das Unternehmen hat einen Stand und veranstaltet ein Symposium. Einer der Dozenten dort ist Arne May, der Leiter der Kopfschmerzambulanz am Hamburger Uni-Klinikum UKE. Er hält hier einen Vortrag über Migräne. Dafür bekomme er eine "Aufwandsentschädigung", erklärt May. Wie hoch diese ist, sagt er nicht - auch nicht auf Nachfrage.

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Autorin Lena Gürtler © Ulla Brauer/NDR Foto: Ulla Brauer

Lena Gürtler

Lena Gürtler beschäftigt sich bei Panorama 3 mit der Innenpolitik. Wissen sie von interessanten Themen? Schreiben Sie ihr! mehr

Allergan selbst hat auf Anfrage von NDR und SZ geschrieben, das Unternehmen sehe es als seine "Verantwortung, Betroffene über das Krankheitsbild aufzuklären und sie bei der Suche nach einem in der Diagnose und Therapie von Kopfschmerzerkrankungen erfahrenen Facharzt zu unterstützen". Auf Fragen nach konkreten Zahlungen an Ärzten antwortet Allergan nicht. Sie seien nicht befugt, spezifische Informationen zu erteilen, so der Konzern. In den USA sind die Regeln anders. Hier müssen Pharmahersteller veröffentlichen, wie viel sie welchen Ärzten zahlen. Ein Blick in das Verzeichnis zeigt: Dort haben sehr viele Mediziner im vergangenen Jahr mehrere Tausend US-Dollar von Allergan unter anderem für Beratungstätigkeiten bekommen. Der höchste Vertrag brachte einem Arzt 49.839,55 Dollar ein.

Einen neuen Markt kreieren

Ein Interview wollte Allergan NDR und SZ nicht geben. Vor wenigen Wochen hat der Europachef von Allergan, Paul Navarre, jedoch mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" gesprochen. Hier ging es um die wirtschaftlichen Perspektiven des Unternehmens. Navarre erklärte dort, was Allergan mit der Info-Kampagne zur chronischen Migräne vorhabe. Es gehe um "market creation" - also darum, einen neuen Markt für Botox zu schaffen. "Bei Einführung eines neuen Therapiekonzeptes ist es notwendig, Strukturen zu fördern, welche die Anforderungen der behördlichen Zulassung sicherstellen", schreibt Allergan auf Nachfrage von NDR und SZ. Dies schließe die Fortbildung von Ärzten, Trainings durch Experten sowie allgemeine Aufklärung zum Krankheitsbild ein. Offenbar hat eine Reihe von Ärzten kein Problem damit, hierbei zu helfen.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 28.10.2014 | 21:15 Uhr

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

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