Der russische Präsident Wladimir Putin kommt in Moskau mit Unterlagen unter dem Arm zu seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation. © Dmitry Astakhov/Sputnik/Kreml Pool/AP/dpa
Der russische Präsident Wladimir Putin kommt in Moskau mit Unterlagen unter dem Arm zu seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation. © Dmitry Astakhov/Sputnik/Kreml Pool/AP/dpa
Der russische Präsident Wladimir Putin kommt in Moskau mit Unterlagen unter dem Arm zu seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation. © Dmitry Astakhov/Sputnik/Kreml Pool/AP/dpa
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Kommentar: Putin und seine Welt

Stand: 26.02.2023 06:00 Uhr

Ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine zeichnet sich keine friedliche Lösung ab. Wladimir Putin hat das in seiner Rede an die Nation klargemacht. Das klare UN-Votum zur Verurteilung der russischen Aggression spricht ebenfalls eine klare Sprache.

Ein Kommentar von Stephan Richter, freier Autor

Kriege sind immer auch Kriege um Worte und Bilder. Auch deshalb kam dem ersten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine eine besondere Bedeutung zu. Dabei war der Westen, was die Kunst der Inszenierung betrifft, dem Moskauer Propaganda-Apparat deutlich überlegen. Verlassen und verloren wirkte Kreml-Chef Wladimir Putin bei seiner Rede zur Lage der Nation auf der Bühne des Veranstaltungszentrums in der Nähe des Kremls.

Stephan Richter, freier Autor, ehemals Chefredaktion Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag sh:z. © sh:z Foto: Marcus Dewanger
Der russische Präsident lebt in seiner eigenen Welt, meint Stephan Richter.

Putin lebt in einer Pseudorealität. US-Präsident Joe Biden ging dagegen mit seinem Überraschungsbesuch in Kiew und bei seiner Rede vor dem Königsschloss in Warschau in die Offensive. Freiheit und Demokratie oder Krieg und Despotie: Gegensätzlicher hätten die Botschaften beider Auftritte nicht sein können. Putins Feindbild wird beherrscht von einer Verschwörungstheorie, in der die westliche Welt der Kriegstreiber und die Inkarnation des Bösen ist. Gepaart mit Putins Traum von der Rückkehr Russlands zu alter imperialer Macht und Größe wird daraus ein gefährlicher Propaganda-Mix.

An der militärischen Front setzt der Kreml-Chef auf einen Abnutzungskrieg, der die Ukraine in die Knie zwingen und die westliche Solidarität untereinander aufreiben soll. Doch bei dieser Strategie könnte Putin auch einen propagandistischen Abnutzungseffekt an der eigenen Heimatfront erleben. Ein Feldherr, dem nach einem Jahr Krieg mit unzähligen Opfern und ohne die angestrebten Erfolge nicht mehr einfällt als die sattsam bekannte Erzählung vom satanischen Westen, kann sich fortdauernder Unterstützung im eigenen Lager nicht sicher sein.

Putins Propaganda setzt auf die Verbreitung von Angst

Zumal die internationale Isolation Russlands immer deutlicher wird. Erneut hat die UN-Vollversammlung mit überwältigender Mehrheit für den Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine gestimmt. Und auch Chinas Friedensinitiative - so zwiespältig sie auch ist - lässt den Kreml-Chef nicht als Feldherrn aussehen, der alles im Griff hat. Wladimir Putins simple Propaganda setzt wie zu alten Zeiten, als er Offizier beim Geheimdienst KGB war, auf die Verbreitung von Angst. Die Ukraine und der Westen sollen vor russischen Atomwaffen zittern. Die Aussetzung des letzten atomaren Abrüstungsvertrages ist dabei eine weitere Facette seiner Nukleardrohungen.

Dem eigenen Volk bläut der Despot unterdessen ein, der Westen wolle Russland in Sodom und Gomorra verwandeln und die russische Kultur, Religion und Geschichte auslöschen. Putin glaubt wohl selbst daran. Verschwörungstheoretiker wie er lassen sich nicht mit rationalen Argumenten überzeugen. Sie haben ihre eigene Wahrheit, wie es Putin bei seiner Rede zur Nation in den einfachen Satz fasste: "Die Wahrheit ist unsere." Verhandlungsappelle an seine Adresse sind da zwar gut gemeint, aber blauäugig.

Putins Kriegsrhetorik ist auf wenige Glaubenssätze reduziert

Der russische Präsident lebt in seiner eigenen Welt. Das Völkerrecht ist ihm egal, die regelbasierte Weltordnung sowieso. Die leere Bühne, auf der er einsam seine Rede zur Nation hielt, verkörperte dies unfreiwillig. Seine Kriegsrhetorik ist auf wenige Glaubenssätze reduziert, die er mantraartig zitiert. Ohne den Druck, der ihm beim Ausbleiben militärischer Erfolge droht, wird der Kreml-Chef nicht zur Einsicht kommen. Es sei denn, China inszeniert sich nicht nur als Friedensmacht, sondern handelt danach. Dies auch im eigenen Interesse. Je länger der Krieg dauert, desto stärker leidet auch die Weltwirtschaft unter dem Feldzug - die chinesische Wirtschaft inklusive.

Putin muss schonungslos klargemacht werden, dass seine Rechnung nicht aufgeht. Er ist der Täter, nicht das Opfer. Deshalb muss der Westen den Kampf gegen ihn in der Ukraine so lange unterstützen, bis er zu Verhandlungen bereit ist - oder als Despot im eigenen Lager gestürzt worden ist.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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NDR Info | Kommentar | 26.02.2023 | 09:25 Uhr