Gastro-Branche in Hamburg hat Probleme wegen Personalmangel

Stand: 16.08.2022 17:24 Uhr

Jede dritte Stelle in der Gastronomie in Hamburg kann zur Zeit nicht nachbesetzt werden, weil Personal fehlt. Manche Lokale müssen deshalb sogar zeitweise schließen, weil Beschäftigte sich umorientiert haben.

Einer von denen, die sich von der Gastronomie abgewandt haben, ist René Biebricher. Eigentlich liebt er die Gastronomie – über 20 Jahre lang hat der Hamburger in Restaurants und Hotels gearbeitet. Während Corona kündigte ihm sein Arbeitgeber. Der Restaurantfachmann fand schnell einen neuen Job in einem Online-Weinhandel. Er schätzt das bessere Gehalt und die planbaren Arbeitszeiten: "Das ist das, was mich an der Gastronomie am Ende am meisten gestört hat: Wenn mich jemand gefragt hat, 'Wollen wir nächste Woche einen Kaffee trinken?', habe ich gesagt, 'Frag mich nächste Woche Mittwoch nochmal". So wie dem Restaurantfachmann geht es vielen Menschen. Jede dritte Stelle in der Gastronomie kann derzeit nicht nachbesetzt werden, weil die Leute fehlen.

Ökonomin: 100.000 haben Gastronomie verlassen

Das geht auch aus Berechnungen der Ökonomin Anika Jansen vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) hervor. Sie hat Daten der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet und herausgefunden, dass knapp jeder vierte Arbeitskraft in der Hotellerie und Gastronomie ihren Beruf verlassen hat - insgesamt 216.000 Personen. Was sie allerdings besonders findet: dass relativ wenige Leute in die Gastronomie zurückgekommen sind. "Das waren im Jahr 2020 knapp 117.000 Personen.  Man hat sozusagen 100.000 Leute weniger, die in diesem Bereich arbeiten" analysiert die Forscherin vom Institut der deutschen Wirtschaft.

Gastronomie zu wenig attraktiv?

Viele seien in andere Branchen gewechselt, in den Bereich Logistik und Verkehr, oder in den Einzehandel und wollen nicht mehr zurück. Restaurantfachmann Biebricher sagt dazu: "Da ist die Gastronomie selber dran schuld. Wenn das ganze Arbeitsumfeld attraktiver wäre, dann hätten die Leute gewartet, bis Corona vorbei ist und hätten gesagt, 'Wie cool dass ich zurück darf". Er wünscht sich mehr Wertschätzung von den Chefinnen und Chefs und auch von den Gästen: Bei ihnen gebe immer noch zuviel "Geiz -ist-Geil-Mentalität". Ökonomin Jansen verweist vor allem auf das Thema Sicherheit und stabilere Arbeitsverträge und Arbeitsbedingungen, die die Bewerber in andere Branchen zieht.

Geschlossen wegen Personalmangel

Auch Andrea Di Cillo kennt die schwierigen Bedingungen der Gastronomie. Früher war er Rechtsanwalt, seit 2016 verfolgt er seine Passion als Gastronom in Hamburg und stellt in seiner "Focacceria Apulia" herzhafte Spezialitäten aus seiner Heimat Apulien her. Der Personalmangel macht ihm schwer zu schaffen: Er müsse zur Zeit alles selbst machen, vorbereiten, verkaufen, sauber machen, wieder zumachen. Bei zwei Läden sei das ein Problem. Und er erzählt, dass er an diesem Tag den Laden wegen Personalmangel bereits um 16 Uhr schließen muss – ein Mitarbeiter habe gekündigt, eine Kollegin kurzfristig Urlaub genommen. Wenn es so weitergehe, wisse er nicht, ob er das zweite Geschäft halten könne.

Hohe Preise verschärfen Probleme

Denn nicht nur Corona mache Probleme, erzählt er, sondern auch die Inflation: "Die Zutaten kosten jeden Tag mehr, du machst eine neue Karte und dann musst du wieder aktualisieren, weil Burrata kostet 15 Cent mehr, Polpo kostet zwei Euro mehr, ist hart, aber macht trotzdem super Spaß."

Forderung: Frauen mehr Erwerbstätigkeit ermöglichen

IW-Ökonomin Anika Jansen findet drei Ansätze besonders wichtig, um gegen den Personalmangel in vielen Branchen vorzugehen. Man müsste mehr internationale Fachkräfte nach Deutschland holen, aber auch die Frauen-Erwerbstätigkeit weiter erhöhen. Viele Frauen arbeiteten nach wie vor in Teilzeit, dort könnte man ansetzen. Außerdem fordert die Ökonomin mehr Investitionen in Aus- und Weiterbildung vieler Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Auch wenn die Zeiten schwierig sind: für Andrea di Cillo und René Biebricher bleibt die Gastronomie ihre Leidenschaft, und sie hoffen, dass sich die Bedingungen in ihrer Branche bald wieder bessern.

 

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 13.08.2022 | 19:30 Uhr

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