Stand: 25.09.2017 12:18 Uhr

Philipp Schmids Pilgerblog 2017

4. Etappe: Von Parin nach Grevesmühlen

Philipp Schmid sitzt auf einer Bank © NDR.de Foto: Philipp Schmid
Philipp Schmid bei den täglichen Pilgernotizen

Oberflächlich - tiefgründig. Loslassen - behalten. Jeden Morgen sprechen wir in eine Tagebuchkamera. Sie wissen ja, es ist eine besondere Pilgerreise. Eine begleitete, beobachtete Pilgerreise, aber kein Schaupilgern oder Catwalkpilgern. Echtes Pilgern, nur eben mit Kameras. Wir sprechen in die Kamera, blicken in die Kamera, blicken aber auch tief in uns hinein. Das Innere soll nach außen, das Tiefe an die Oberfläche. Es gibt vermutlich Oberfläche ohne Tiefe, aber keine Tiefe ohne Oberfläche. Wenn das Gute auch das Leichte ist, müsste das Gute immer an die Oberfläche kommen, weil es nach oben will. Ist das Gute aber das Schwere, bleibt es in der Tiefe. Bleiben uns also tiefgründige schwere Gedanken verborgen? Sie bleiben zumindest allen verborgen, die nur die Oberfläche sehen.

Bewusste Auszeit

Ist das tiefgründig oder oberflächlich? Vielleicht nur oberflächlich tiefgründig? Warum denke ich mir sowas aus? Vielleicht, weil ich Zeit dazu habe. Nicht jeder, der pilgert, muss dafür einen tiefgründigen Grund haben. Man kann bestimmt auch ohne Grund, oder mit einem oberflächlichen Grund pilgern. Vermutlich würden die wenigsten Pilger wirklich religiöse Gründe oder Glaubenskrisen als Grund angeben.

Für viele ist es eine bewusste Auszeit, ein absichtlicher Perspektivwechsel, eine Konzentration auf sich selbst für eine gewisse Zeit. Vielleicht auch nur der Wunsch nach einer Flucht vor dem banalen Alltag, eine Sehnsucht nach Abenteuer und Abwechslung. Und viele haben gar keinen tieferen Grund, sie hoffen, ihn auf dem Weg herauszufinden. "Was treibt Dich auf den Weg", frage ich mich neulich beim Gehen, und vielleicht, um der Frage auszuweichen, denke ich zunächst über das "treibt" nach.

Treiben vs. getrieben

Landschaft im Morgendunst © NDR.de Foto: Philipp Schmid
Ein Blick der für viele Pilgerstrapazen entschädigt

Was treibt mich an? Was macht mir Beine? Was hält mich am Laufen? Treibe ich durchs Leben, strömt es, fließt es, fließt es in eine Richtung, fließt es nur dahin, treibt es mich mit, was spornt mich an, wen rege ich an – oder auf, treibt das Leben seltsame Blüten, "treiben" im Sinn von blühen, sprießen, keimen. Kann es sein, dass manche pilgern müssen und genau solch einen "inneren Ruf" verspüren, dass sie wirklich auf den Weg getrieben sind? Bestimmt, ja.

Pilgern als Seelen-TÜV?

Bei mir ist kein Knacks, kein Bruch im Leben der Ausschlag. Vielleicht eher eine Bestandsaufnahme, eine Inspektion, eine Analyse, Erhebung, Durchsicht der aktuellen Lebens- und Glückssituation. Die Erfahrung, zumindest meine, zeigt: auch nach reiflicher Überprüfung kann ich alles für gut und richtig befinden. Nicht umsonst sagt man: die Dinge nochmal abschreiten. Langsam drumrum gehen, drunter schauen, alles öffnen, überprüfen, werten, durchwandern. Pilgern als Seelen-TÜV?

Hin und wieder auf dem Laufenden bleiben. Feststellen, dass man nichts ändern muss, nur intensiv dankbar sein, für alles, was ist. Nicht nur einfach die Dinge laufen lassen, sondern ruhig mal eine Durststrecke durchlaufen. Es angehen. Und sich selbst mal auf die Nerven. Wir sind heute etwas mehr als 20 Kilometer gegangen, davon etwa 12 im Kreis. Aber vielleicht ist das nur die Oberfläche.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 25.09.2017 | 16:20 Uhr

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