Kolumne: "Im Sommer schon den Winter im Blick haben"
Früher sorgte die Großeltern-Generation für den Winter vor - sie machten Bohnen oder Kürbis ein. Heute liegt Einwecken wieder voll im Trend. Die Sehnsucht nach einem ursprünglichen Leben scheint groß zu sein.
Jetzt im Spätsommer sehe ich immer meine Oma vor mir, wie sie am Küchentisch emsig Bohnen kleinschnippelt, Erbsen aus den Schoten pult oder Apfelmus kocht. Das Gemüse und manches Obst weckte sie in großen Gläsern ein oder es kam in die Gefriertruhe. Meine Großeltern hatten einen Garten. Apfel-, Birnen-, Pflaumen- und Kirschbäume standen darin, Johannisbeersträucher und Himbeerranken. Und im Sommer kam allerlei Gemüse dazu. Zum sofort Essen, aber vor allem zum Bevorraten für die kalte Jahreszeit. Und wenn es im Garten mal nichts zu tun gab, dann hackte mein Großvater Holz, stapelte es auf, ließ es trocknen und lagerte es im Schuppen. Es war meinen Großeltern von Kindesbeinen an in Fleisch und Blut übergegangen, vorrausschauend zu planen und im Sommer schon den Winter im Blick zu haben.
Veränderte Lebensweise durch Corona und Krieg
In diesen Tagen muss ich an meine Großeltern und ihre Art zu leben denken. Der Gedanke, dass es Zeiten gibt, in denen nicht jederzeit alles verfügbar ist, war vielen von uns fremd geworden. Wärme war nie ein Problem. Frische Erdbeeren im Winter auch nicht. Woher das alles kam, interessierte die meisten Menschen nicht. Doch dann kamen Corona und der Krieg. Im Supermarkt leere Regale dort, wo sonst das Mehl stand. Die Preise für Öl, Gas und Strom klettern in ungeahnte Höhen. Der Bundeskanzler und der Wirtschaftsminister machen sich mitten im Sommer nach Kanada auf, um zu sehen, wo das Gas für den Winter herkommen soll. Und wenn die Gasspeicher zu 80 Prozent gefüllt sind, dann ist das sogar eine Meldung in den Nachrichten wert.
In der Bibel lässt Josef die Kornspeicher füllen
In der Bibel gibt es eine Geschichte, in der ein kluger Mensch ein ganzes Land rettet, weil er als einziger mitten im Überfluss die Zeichen der Zeit richtig deutet und vorausschauend plant. Josef heißt dieser Mensch, der in Ägypten die Kornspeicher rechtzeitig füllen lässt. Weil er Vorräte anlegen lässt und über Jahre in die Zukunft denkt, geht es Ägypten auch in schweren Zeiten weiter gut. Natürlich war früher nicht alles besser, und die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Aber: Ich glaube, wir brauchen in diesen Wochen wieder mehr kluge Menschen wie diesen Josef und mehr von der vorausschauenden Art und Weise wie die Generation meiner Großeltern gelebt hat.
Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jede Woche vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.