Eine Frau hält eine rosa Schleife in der Hand. © picture alliance / Frank May Foto: Frank May

Kolumne: "Krebs - eine kranke Metapher"

Stand: 16.10.2022 07:30 Uhr

Krebsgeschwüre, wuchern: Die Krankheit Krebs muss häufig als Metapher im deutschen Sprachgebrauch herhalten. Für Patienten mit der Diagnose Krebs ist das jedes Mal wie ein Schlag ins Gesicht, der Ängste projiziert.

von Julia Heyde de López

In dem Podcast ging es um Generationengerechtigkeit. Zwei Sprecher diskutierten kritisch das Umlageverfahren zur Finanzierung unseres Rentensystems - und dann kam plötzlich das: Einer der beiden verglich dieses System mit einem "Patienten" und sagte: "Der hat Krebs. Der wird das nicht überleben." Und da war sie wieder, die alte Krebs-Metapher. Für mich wie ein Schlag ins Gesicht.

Missstände werden oft als "Krebsgeschwüre" bezeichnet

Meine Erstdiagnose ist jetzt fast zwölf Jahre her. Ich lebe mit dem Krebs, so gut es geht. Und ich wundere mich: Während Diabetes und Reizdarm in Ruhe gelassen werden, muss Krebs ziemlich häufig als Bild, Vergleich oder Metapher herhalten. Gesellschaftliche Missstände werden gern mal als "Krebsgeschwüre" bezeichnet, die im schlechtesten Fall unaufhaltsam "wuchern". Und erscheint etwas aussichtslos, heißt es flapsig oder unbedacht: "Krebspatient. Todgeweiht." So werden immer wieder Ängste auf diese Krankheit projiziert, Ängste, die in unseren Köpfen machtvoll wirken und vor allem den Betroffenen Mut und Hoffnung abdrehen. Jedem medizinischen Fortschritt zum Trotz steht bei uns die Gleichung: Diagnose Krebs ist gleich Todesurteil.

Betroffene sollten sich von negativen Bildern befreien

Von der amerikanischen Schriftstellerin Susan Sontag gibt es dazu ein erhellendes Buch*, in dem sie genau dieses Denken entlarvt und in Frage stellt. Der Krebs sei eine Krankheit, die von "Mystifikationen überlagert" und von der "Fantasie des unentrinnbaren Verhängnisses" belastet sei, schreibt sie. Die gesündeste Art, krank zu sein, sei, sich von all diesen Metaphern und Vorurteilen zu lösen.

Julia Heyde de López © Kirche im NDR Foto: Christine Raczka
Auf meiner Lebensreise kann ich als Betroffene keine Krebsmetaphern gebrauchen, sagt Kirchenredakteurin Julia Heyde de López.

Ein sehr guter Rat. Ich finde, wir alle, Gesunde und Kranke, sollten uns in Sprache und in Gedanken von diesen negativen Bildern befreien, denn sie lassen es in Kopf und Herz eng werden. Auf meiner Lebensreise kann ich das nicht gebrauchen. Ich bin mit dem Krebs unterwegs, als Suchende, wenn man so will. Ich suche praktisch jeden Tag neu den "weiten Raum", von dem in den biblischen Psalmen die Rede ist. Den Ort, an dem Statistik, Prognose, alle Ängste verblassen und unwichtig werden. Wo vom Himmel her alles möglich ist! Dort ist Hoffnung. Mutige, widerständige Hoffnung.

*Susan Sontag, "Krankheit als Metapher", 1977

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | 16.10.2022 | 07:30 Uhr

Ein Herz, Kreuz und Anker aus Silber vor blauem Hintergrund © Kirche im NDR Foto: Christine Raczka

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