E-Sport im Auswahlverfahren: Zocken um den Ausbildungsplatz

Stand: 28.11.2023 09:01 Uhr

E-Sport gehört bei den Flensburger Stadtwerken ab sofort zum Bewerbungsverfahren. Es ergänzt dabei bewährte Inhalte wie Auswahlgespräche oder Gruppenarbeiten.

von Jochen Dominicus

Konzentriert sind die Blicke der zehn Bewerber auf die Monitore vor ihnen gerichtet. Im großen Konferenz-Raum im dritten Stock des Verwaltungsgebäudes der Stadtwerke Flensburg wird gezockt. Die Idee, E-Sport als Teil des Einstellungsprozesses zu integrieren, kam von Dr. Timo Schöber. Er hat zahlreiche Bücher über Videospiele und E-Sport geschrieben und auch zum Thema Recruiting geforscht. "Unser Gehirn funktioniert beim Spielen anders, wir sind dann viel ehrlicher, als wenn wir nicht spielen", hat er herausgefunden.

Erkenntnisse aus der Spielwissenschaft

"Das, was wir heute tun, kommt aus der Personalwissenschaft, aber auch aus der Spielwissenschaft. Es ist so, dass beim Spielen die Kognition im Gehirn schon anders funktioniert, als würdest du nicht spielen. Das ist nicht nur beim Videospiel so, sondern bei jeder Art von Spiel. Und unser Gehirn funktioniert dann anders."

Fachleute sprechen von einem sogenannten gameifizierten Verfahren. Und das will Timo Schöber gezielt nutzen und einige Eigenschaften der Bewerber sichtbarer machen, die bei Vorstellungsgesprächen oder anderen Einstellungstest im Verborgenen geblieben wären. Für den Stadtwerke-Geschäftsführer Dirk Thole hat dieser neue Teil des Bewerberverfahrens zwei Vorteile: "Wir hoffen, dass wir einerseits mehr Bewerber kriegen. Und wir wollen beim Auswahlverfahren versuchen zu erkennen, welcher Mensch steckt dahinter", sagt Thole. "Insofern hoffen wir, dass wir womöglich sogar auch Mitarbeiter hier als Auszubildenden generieren können, die wir ansonsten womöglich abgelehnt hätten."

Wie gehen die Bewerber mit Stress um?

Die Stadtwerke suchen für das nächste Lehrjahr 15 Auszubildende im technischen und kaufmännischen Bereich. In der ersten Bewerbungsrunde wurden zehn Bewerber eingeladen. Einer von ihnen ist René Friedrich, der sich um eine Stelle als Kaufmann beworben hat. "Es ist schon etwas ganz Verrücktes hier, hat man so auch noch nicht gesehen. Ich bin gespannt, wie das Ganze ausgeht." "Rocket League" steht für ihn und die anderen neun Mitbewerber auf dem Programm. Das ist eine Art Fußball - nur mit Autos. Zwei Teams treten gegeneinander an und müssen einen Ball ins gegnerische Tor schießen.

"Das Gehirn arbeitet anders beim Spielen, wir sind natürlicher." Dr. Timo Schöber, Projektleiter

Hinter den Spielern im Konferenzraum machen sich die Beobachter aus der Personalabteilung ihre Notizen. Sprechen die Spieler miteinander? Wie verhalten Sie sich bei einem Gegentor oder einer hohen Niederlage? Wie in Stresssituationen? Wie gehen sie miteinander um?

"Ein Videospieler muss niemand sein"

Welches Team wie oft gewinnt oder verliert, ist völlig egal. René Friedrich hat das Spiel zuvor nie gezockt, lässt es heute einfach auf sich zukommen, sagt er. "Ich versuche einfach mit den anderen Teamspielern gut zu kommunizieren und mich so zu zeigen, wie ich bin."

Andere in der Runde kennen "Rocket League" bereits. Ein Videospiel-Nerd muss aber niemand sein, der hier anfangen möchte, so Personalleiter Arne Hay. Auch wer überhaupt noch nie ein Spiel gezockt hat, ist herzlich eingeladen. "Für uns ist das sogar umso besser, wenn er nicht spielen kann, dann sehen wir noch besser, wie er sich in Stresssituationen verhält", so Arne Hay.

Hoffnung auf noch mehr Bewerber

Die Bewerber verlieren schon nach ein paar Minuten die Scheu und lachen miteinander, tauschen sich zu Spielsituationen aus und haben sichtlich Spaß. Videospielen beim Einstellungstest - das soll sich rumsprechen. Die Stadtwerke erhoffen sich dadurch noch mehr Bewerbungen junger Menschen. Zwei Jahre lang läuft das Projekt zunächst, dann wird Bilanz gezogen. René Friedrich und die anderen Bewerber werden erst in ein paar Monaten erfahren, ob sie im kommenden Herbst eine Lehrstelle bei den Stadtwerken beginnen können.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 28.11.2023 | 19:30 Uhr

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