Russischer Löwenzahn auf einem Feld © Continental AG

Schont die Umwelt: Kautschuk aus Löwenzahn

Stand: 21.10.2021 18:06 Uhr

Der Klimawandel wird unter anderem durch die Rodung der Urwälder befeuert. Um diese Entwicklung aufzuhalten, hat ein Forscherteam eine nachhaltige Quelle für Kautschuk gefunden: Den Löwenzahnkautschuk.

von Werner Nording

In den Tropen werden wertvolle Regenwälder in Monokulturen verwandelt, weil der Westen dort billige pflanzliche Rohstoffe wie Palmöl, Soja oder Kautschuk produzieren lässt. Damit wird nicht nur ein schmerzhafter Rückgang der Biodiversität in Kauf genommen, denn 50 Prozent aller bekannten Arten sind in diesen Urwäldern zu Hause. Dabei ließe sich Kautschuk auch aus heimischen Pflanzen herstellen, wie ein Forschende aus Hannover und Münster jetzt herausgefunden haben. Sie setzen auf Löwenzahnkautschuk und wollen damit die Autoreifenproduktion neu denken.

Heimischer Anbau schont Regenwälder

Russischer Löwenzahn im Anbau auf einem Feld. © Continental AG
Aus der Ferne ähnelt das Löwenzahnfeld einem Rapsfeld.

Um seine 150 Millionen Reifen pro Jahr produzieren zu können, braucht der viertgrößte Reifenhersteller der Welt, die Continental AG in Hannover, viele Millionen Tonnen Naturkautschuk. Genaue Angaben will der Konzern nicht machen. Doch nicht nur in Reifen kommt der Stoff zum Einsatz. Für etwa 400 Produkte ist Naturkautschuk unerlässlich, zum Beispiel auch für Schwämme, Matratzen, Handschuhe, Luftballons oder Spezialdichtungen. Für eine Tonne Naturkautschuk braucht es einen Hektar Anbaufläche. Für große Kautschukbaumplantagen müssen also Millionen Hektar Regenwald gerodet werden. Das will die Chemikerin Carla Recker ändern. Seit 26 Jahren arbeitet sie in der Materialforschung bei Conti; und seit 15 Jahren forscht sie daran, den Naturkautschuk aus den Kautschukbaumplantagen durch Russischen Löwenzahnkautschuk zu ersetzen: "Wir können es direkt in der Nähe der Fabriken, die ja in Europa oder Nordamerika oder anderswo auf der Welt stehen, anbauen. Dadurch sind wir sehr viel effizienter in der Logistik."

Forschung bringt hohe Kautschukerträge

In einem Gewächshaus der Uni Münster stehen große Flächen mit Russischem Löwenzahn. Die gelben Blüten sind erheblich größer als beim einheimischen Löwenzahn. Der Molekularbiologe Professor Dirk Prüfer und sein Team haben seit 2010 im Russischen Löwenzahn so viele Hochertragslinien gezüchtet, dass der Kautschukgehalt jetzt wirtschaftlich sinnvoll ist: "Beim einheimischen Löwenzahn bekomme ich etwa ein Prozent Naturkautschuk pro getrockneter Wurzel. Beim Russischen Löwenzahn liegt der Basiswert ungefähr bei drei bis fünf Prozent. Durch optimale Züchtung haben wir den Wert aber mittlerweile so optimiert, so dass wir jetzt etwa bei 15 bis 20 Prozent angekommen sind."

Eine gelbe Blüte eines Löwenzahns und Gänseblümchen auf einer Wiese. © Colourbox Foto: -
AUDIO: Löwenzahn zur Kautschukgewinnung (5 Min)

Revolution in der Produktion von Autoreifen

Chemikerin Carla Recker © Deutscher Zukunftspreis
Chemikerin Carla Recker hat trotz vieler Kritiker immer an ihre Idee geglaubt.

Aus Löwenzahn Reifen machen - für diese Idee wurde die Chemikerin Carla Recker lange von ihren Kollegen belächelt. Doch die 56-jährige hat es allen gezeigt. 2014 fiel der erste PKW- Reifen mit Laufflächen aus Löwenzahnkautschuk aus der Presse. Der Löwenzahnkautschuk hat die gleiche Qualität und kann den bisherigen Naturkautschuk von den Kautschukbäumen in den Tropen eins zu eins ersetzen. Das hat die Conti-Chefs überzeugt, das Projekt mit Hochdruck zu unterstützen. Denn für Conti ist die Wertschöpfungskette technisch, ökologisch und ökonomisch so attraktiv, dass der Konzern mit der Gewinnung von Löwenzahnkautschuk die Autoreifenproduktion revolutionieren will. Die Serienproduktion von PKW-Reifen auf Basis von Löwenzahn soll Ende dieses Jahrzehnts starten.

Chance für neue Arbeitsplätze

Das Bild zeigt ein Gewächshaus des Julius-Kühn-Instituts in Groß Lüsewitz bei Sanitz mit Löwenzahn-Pflanzen, an denen Kautschuk-Forschung betrieben wird. © Helge Flüß Foto: Helge Flüß
Auch am Julius-Kühn-Instituts in Groß Lüsewitz bei Sanitz wird Kautschuk-Forschung mit Löwenzahn-Pflanzen betrieben.

In seinem Forschungszentrum im mecklenburgischen Anklam treibt Conti die Gewinnung von Löwenzahnkautschuk in industriellem Maßstab voran: "Momentan planen wir bis 2035 einen maßgeblichen Teil unserer Naturkautschuk-Bedarfe darüber zu decken." Recker spricht von einem Marktwert von einer Milliarde Euro, 1.500 bis 2.000 Arbeitsplätze würden allein in der Aufarbeitung des Löwenzahns zu Kautschuk entstehen.

Vom Unkraut zum Rohstoff

Für die Landwirte beginnt damit eine neue Zeitrechnung. Bislang war Löwenzahn für sie nur ein gefürchtetes Unkraut, das sie aufwändig bekämpfen mussten. Jetzt bietet seine Wurzel der Landwirtschaft eine zusätzliche lukrative Einnahmequelle, erklärt Professor Prüfer: "Gerade für strukturschwache Regionen, also Reviere, in denen es jetzt den Strukturwandel gibt, ist das interessant. Das Rheinische oder die Lausitz in Mitteldeutschland könnten künftig gute Anbaugebiete sein." Das Projekt ist eines von drei Vorschlägen des Bundespräsidenten für den Deutschen Zukunftspreis 2021, der mit 250.000 Euro dotiert ist.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 22.10.2021 | 08:50 Uhr

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