Unsere Geschichte

Ausgebombt - Als die Städter aufs Land zogen

Samstag, 29. Juli 2023, 12:00 bis 12:45 Uhr

Norddeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg: Über die Hälfte aller Wohnungen in den Städten ist zerstört, Hamburg, Hannover, Kiel, Bremen und Rostock sind Ruinenlandschaften. Doch mitten in den Trümmern muss das Leben weitergehen. Wie haben die Menschen es geschafft, zu überleben?

Willi Grützke in einem Behelfsbunker auf der Parzelle, 1944. Krieg wurde auch für die Kinder zum Alltag. © NDR/Willi Grützke
Willi Grützke in einem Behelfsbunker auf der Parzelle, 1944. Krieg wurde auch für die Kinder zum Alltag.

Der Hamburger NDR Filmemacher Manfred Uhlig hat Zeitzeugen gefunden, die in dieser dramatischen Zeit besondere Geschichten erlebt haben. Das Besondere: Die meisten von ihnen wohnen noch immer in der Notbehausung, in der sie vor den Kriegsbomben ihre erste Zuflucht gefunden hatten.

Zuflucht im Gartenhaus

Paula Krupp, geboren 1921, war 22 Jahre alt, als im Juli 1943 über Hamburg die "Operation Gomorrha" losbrach. Mehrere Tage und Nächte lang bombardierten amerikanische und britische Bomberverbände die Stadt. Die Bilanz war fürchterlich, über 30.000 Tote, mehr als 100.000 Verletzte, Hunderttausende Menschen mussten aus der Stadt fliehen. Die junge Frau fand eine Zuflucht in einem Gartenhaus vor der Stadt. Dort lebt die mittlerweile hochbetagte Dame noch heute. Ihre wertvollste Erinnerung: 458 Feldpostbriefe, die sie von ihrem Verlobten erhielt. Er war in Russland Soldat. Als die Bomben fielen, hatte sie nur einen Gedanken: "Hoffentlich sehe ich meinen Verlobten wieder." Doch es kommt anders. Im Januar 1944 kommt der letzte Brief, den sie an ihren Verlobten geschrieben hat, ungeöffnet zurück. Er trägt einen Stempel auf dem Umschlag: "Empfänger gefallen für Großdeutschland".

"Ley-Häuser" im Schrebergartengebiet

Eine Hütte als Notunterkunft: Familie Probst wohnte mit bis zu elf Personen auf 24 Quadratmetern. © NDR/Gerhard Probst
Eine Hütte als Notunterkunft: Familie Probst wohnte mit bis zu elf Personen auf 24 Quadratmetern.

Gerhard Probst lebt zusammen mit seiner Frau Inge in einem ehemaligen "Ley-Haus" in einem Hamburger Kleingartengebiet. Ley-Häuser, das sind die nach dem Nazi-Funktionär Robert Ley benannten Holzhäuser, die in aller Eile von den ausgebombten Menschen zusammengezimmert wurden, mit Fertigteilen, die das Regime bereitgestellt hatte. Gerhard Probst musste sich die 24 Quadratmeter große Hütte mit zehn weiteren Personen teilen. Ein Erlebnis, das ihn bis heute prägt.

Notunterkunft in Nissenhütten

Eine Nissenhütte im Freilichtmuseum Kiekeberg. Nach der Ausbombung lebten Tausende Norddeutsche in solchen Blechhütten. © NDR/Marion Stalder
Tausende Ausgebombte kamen nach dem Krieg in sogenannten Nissenhütten unter - hier ein Exemplar im Freilichtmuseum Kiekeberg.

Karin Schultz lebte mit ihrer Familie vier Jahre lang in einer sogenannten Nissenhütte: Die nach einem kanadischen Ingenieur benannten Wellblechhäuser prägten das Bild vieler norddeutscher Städte in der Nachkriegszeit. "Es war so kalt, dass uns unsere Mutter auf dem Ofen angewärmte Ziegelsteine ins Bett legte", erzählt Karin Schultz. In der Schule wurde sie gemobbt. Wer in der Nissenhütte wohnte, galt als asozial - obwohl die Menschen, die dort lebten, nichts dafür konnten, dass sie ausgebombt waren.

Das Behelfsheim wird zum Zuhause

Willi Grützke baute zusammen mit seiner Mutter und einem Onkel in einem Bremer Kleingartengebiet ein Behelfsheim aus Steinen, die der Junge in den Trümmerwüsten fand. Seinen Garten hat er zusammen mit seiner Frau Ursel über die Jahre zu einem kleinen Paradies gestaltet. Für ihn und für viele andere Norddeutsche wurde das Behelfsheim im Schrebergarten zum neuen Zuhause.

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Autor/in
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Redaktion
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Zweiter Weltkrieg