Ein Vierteljahrhundert mit Straßenmagazin "Hempels"
Seit 25 Jahren können obdachlose Menschen in Schleswig-Holstein mit dem Verkauf von "Hempels" Geld verdienen - unkompliziert und niedrigschwellig. Außerdem ist es ein Sprachrohr für ihren Alltag.
"Rückblickend hat mir Hempels den entscheidenden Impuls gegeben, mein Leben wieder in die Hand zu nehmen", erzählt Thomas Repp, Hempels-Verkäufer der ersten Stunde. Das System beim Verkauf: Jede Person, die weniger Einkommen als den Hartz-IV-Satz hat, kann in Schleswig-Holstein "Hempels" verkaufen. So läuft es: Die Verkäufer erwerben die Hefte für je 1,25 Euro, zum Beispiel im Hempels-Café "Zum Sofa" in der Kieler Schaßstraße und verkaufen sie für 2,50 Euro weiter. Alle Straßenverkaufenden sind registriert und haben einen Verkäuferausweis sowie einen festen Standplatz, der mit der betreuenden Sozialarbeiterin von "Hempels" abgesprochenen ist. Das Ziel: niedrigschwelliger Zugang zu einer Arbeit. Nach dem Vorbild anderer Städte begann Jo Tein, damals Sozialarbeiter bei der Stadtmission in Kiel, 1995 gemeinsam mit einem Kollegen, Thomas Repp und weiteren Wohnungslosen, die Zeitschrift zu produzieren.
Sprachrohr für Wohnungslose und Arme
Nach dem Vorbild anderer Städte hatten Repp, seine Kollegen und Sozialarbeiter Jo Tein von der Stadtmission Kiel 1995 angefangen. "Die Straßenzeitung war Mitte der Neunziger was ganz Neues in Deutschland, aber ja auch weltweit", sagt Tein. Sie starteten ohne Kapital, mit wenigen Spenden und klappriger Technik. Die Artikel wurden, wie alles andere auch, von Wohnungslosen selbst produziert - mit Geschichten direkt von der Straße, ungeschönt und authentisch. "Vor allem das freie Schreiben von Artikeln am Anfang hat mich sehr stolz gemacht und mir ein stärkeres Selbstbewusstsein gegeben", erzählt Thomas Repp heute. Im Januar 1996 erschien das erste "Hempels"-Heft. Trotz der simplen Aufmachung verkaufte sich "Hempels" schnell gut, schon nach wenigen Wochen steigerten die Macher die Ausgabe auf 10.000 pro Monat.
Professionalisierung rettet "Hempels" vor der Pleite
"Es wurde auch gut gekauft. Das ließ dann aber drei oder vier Jahre später deutlich nach", erzählt Jo Tein. 2003 entscheiden sie sich daher für eine Umstrukturierung: Der Journalist Peter Brandhorst übernimmt die "Hempels"-Redaktion und professionalisiert sie. Im Nachhinein die richtige Entscheidung für Jo Tein: "Damit haben wir zwar den Basisjournalismus verloren, weil seitdem die Wohnungslosen nicht mehr selbst die Texte schreiben und das ist schade, aber vermutlich wären wir sonst 2002 pleite gewesen."
So aber bleibt "Hempels" auf Erfolgskurs: Rund vier Millionen Hefte wurden bis heute verkauft, etwa 220 Verkäuferinnen und Verkäufer vertreiben die Zeitschrift im ganzen Land - von Flensburg bis Lübeck. Die Inhalte kommen weiterhin aus der Redaktion in Kiel: Heute schreiben ausgebildete Redakteure für "Hempels", zweieinhalb Stellen gibt es dafür, dazu eine Grafikerin und ein fester Fotograf. Die Themen Obdachlosigkeit und Armut sind und bleiben Schwerpunkte des Straßenmagazins, Wohnungslose kommen dort weiterhin zu Wort. Mittlerweile liegen 308 Ausgaben des Straßenmagazins im Archiv, nur in einem Monat in den letzten 25 Jahren gab es kein neues "Hempels" - wegen Corona.
Weniger Verkäufe durch Corona
Die soziale Distanzierung und leeren Innenstädte seit Pandemiebeginn machen sich auch bei den "Hempels"-Verkäufen bemerkbar, aber die Redaktion ist zuversichtlich, dass das Magazin auch diese Krise überstehen kann. Denn: Aus dem anfänglich kleinen Projekt ist mittlerweile eine bekannte Größe im Land geworden. Träger sind jetzt ein Verein und eine Stiftung, es gibt weitere Angebote wie ein Café als Treffpunkt für Verkaufende und andere aus der Szene, Trinkräume in mehreren Städten, Beratungen, Wohnraum-Initiative. Diese Position will der "Hempels"-Verein in Zukunft noch stärker nutzen und sich kritisch einmischen in politische Prozesse. Jo Tein arbeitet heute zwar woanders, ist aber weiterhin bei "Hempels" aktiv, inzwischen als Vereinsvorsitzender: "Seit der Gründung bis heute überzeugt mich die Idee der Straßenzeitung. Und deswegen werde ich auch dabeibleiben, solange es geht."
