Eine historische Aufnahme zeigt ein Streik-Plakat der IG Metall aus dem Jahr 1957. © NDR

Zeitreise: Der Metallarbeiterstreik 1956/1957

Sendedatum: 20.02.2022 19:30 Uhr

Es war der längste Streik in der Geschichte der Bundesrepublik: der Metallarbeiterstreik. Federführend waren die 11.000 Mitarbeitenden der Howaldt Werke in Kiel.

von Karl Dahmen

Auf den ersten Blick sind es drei alte Männer, die sich in der alten Gießerei der Howaldt Werke unterhalten. Auf den zweiten Blick aber sind es drei Überlebende, die einen der größten Siege der Gewerkschaften erkämpft haben: die Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfall. Alle drei haben auf der Werft Howaldt Werke in Kiel gearbeitet - drei von 11.000 Mitarbeitenden Ende der 1950er-Jahre. Ernst Bergmann ist Maschinenschlosser, 1949 fing er als Lehrling auf der Werft angefangen, ein Jahr vor dem Stahlbauer Erich Hansen. Beide werden nächstes Jahr 90 Jahre alt. Zwei Jahre jünger ist Rudolf Schlowinski, der in der alten Gießerei lange als Former, als Gießereimechaniker, arbeitete.

Der längste Streik der Geschichte

Drei Senioren stehen in einer alten Fabrikhalle. © NDR
Rudolf Schlowinski, Erich Hansen und Ernst Bergmann (von links) erinnern sich noch genau an den Streik. Sie standen gemeinsam ein für eine Bezahlung im Krankheitsfall.

Drei Männer, die 1956 beim längsten Streik in der Geschichte der Bundesrepublik dabei waren: dem Metallarbeiterstreik. Es war auch ein Streik gegen die Willkür der Arbeitgeber, sie anders zu behandeln als die Angestellten. Die haben im Krankheitsfall ihren Lohn weiter bezahlt bekommen. Wenn dagegen ein Arbeiter krank wurde, bekam er in den ersten drei Tagen (Karenzzeit) gar kein Geld, dann eine Art Handgeld, dann Krankengeld. Meist hatte der kranke Arbeiter am Ende des Monats nur die Hälfte seines normalen Verdienstes - vor allem für Familien eine große Belastung. Das vor allem wollte die Gewerkschaft mit dem Streik ändern. Am 24. Oktober 1956 traten Metallarbeiter zwischen Flensburg und Lauenburg in den Streik. Vier Monate haben Ernst Bergmann, Erich Hansen und Rudolf Schlowinski damals vor den Werktoren ausgehalten. Ohne Lohn, als Streikposten in eisiger Kälte. Woran erinnern sich die drei Männer, wenn sie an den Winter 1956/57 zurückdenken?

Von Streiklokalen und Kinobesuchen

Vor allem an die viele freie Zeit, erzählen sie. Man hatte Zeit für Sport oder um ins Kino zu gehen. Für die "Lichtspielhäuser" verteilten die Gewerkschaften Freischeine. Ernst Bergmann war damals erst verlobt und erinnert sich, deshalb häufig mit seiner Mutter ins Kino gegangen zu sein. Und einmal, erinnert sich Bergmann, gab es auch eine große Unterhaltungsrevue in der Ostseehalle. Da war er natürlich dabei. Treffpunkt für alle waren die Streiklokale. Dort wurde man zu den Schichten als Streikposten eingeteilt und bekam das Streikgeld ausgezahlt. Das war gar nicht so schlecht, sagte Erich Hansen, der damals schon zwei Kinder hatte. Die Streikkasse war gut gefüllt, außerdem unterstützten die IG Metall auch alle anderen Gewerkschaften, weil ihnen klar war, dass die Schleswig-Holsteiner den Streik stellvertretend für alle Arbeiter in der Bundesrepublik führten. Und man konnte im Streiklokal ein Bier trinken, erinnert sich Rudolf Schlowinski. Das Miteinander war damals klasse, sagen alle drei Veteranen. 

Die wenigen Streikbrecher wurden gemobbt

Und es gab kaum Streikbrecher. Bei HDW waren es lediglich 18 bei 11.000 Mitarbeitenden. Die Streikbrecher wurden ausgebuht und später auch gemobbt. Einige mussten sogar die Arbeitsstelle wechseln, erzählt Hansen. Genauso empört er sich noch heute über die vielen Kollegen, die erst bei Streikbeginn in die Gewerkschaft eintraten, um Geld zu kassieren und gleich nach Ende des Streiks wieder austraten.

Das Ende des Arbeitskampfes

Nach vier Monaten Streik einigten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf einen Kompromiss. Die Streikkasse der IG Metall wurde langsam leer und die Arbeitgeber sahen ein, dass ohne Zugeständnisse die Schleswig-Holsteiner trotzdem weiter streiken würden. Bei der Urabstimmung über das Verhandlungsergebnis waren trotzdem 57,7 Prozent der Streikenden gegen die Annahme des Kompromisses. Doch für eine Fortführung wären 75 Prozent Ablehnung nötig gewesen. Am 15. Februar 1957 war der Streik deshalb zu Ende.

Als Ergebnis des Streiks wurde die Zahl der Karenztage verringert, der Nettolohn im Krankheitsfall erhöht und es gab auch mehr Urlaubstage. Es war ein Anfang, sagt Erich Hansen. Auch er war damals mit dem Ergebnis eigentlich nicht zufrieden. Wenige Monate nach Streikende verabschiedete der Bundestag ein Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung von Arbeitern. Ermöglicht hatte das der Streik der Schleswig-Holsteiner. Aber erst 1970 wurden die Arbeiter endgültig den Angestellten gleich gestellt.

Ernst Bergmann, Erich Hansen und Rudolf Schlowinski sind heute stolz darauf, was sie vor 65 Jahren erreicht haben. Und sie meinen, es war schon richtig, dass die Gewerkschaft damals für den Streik Schleswig-Holstein ausgesucht haben, denn hier leben Menschen, die sich auch gegen Widerstände durchsetzen können.

Weitere Informationen
Dampflokomotive aus dem 19. Jahrhundert. © dpa - report Foto: Votava

Alle Zeitreise-Beiträge sortiert nach Datum

Hier finden Sie alle Zeitreisen des Schleswig-Holstein Magazins. mehr

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 20.02.2022 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Die 50er-Jahre

JETZT IM NDR FERNSEHEN

DAS! 18:45 bis 19:30 Uhr