Raserei: Wenn Geschwindigkeit Leben kostet

Stand: 29.04.2025 17:43 Uhr

Auf Deutschlands Straßen nimmt ein gefährlicher Trend seit Jahren zu: illegale Autorennen und riskante Raserei. Häufig werden dabei Menschen verletzt, manchmal sogar getötet. Obwohl Gesetze verschärft wurden, gibt es immer mehr Fälle. Warum?

von Esra Özer

In Brilon in Nordrhein-Westfalen, auf einem alten Flugplatz, bekommt man ein Gefühl für die Faszination, die Geschwindigkeit auf Menschen haben kann. Hier treffen sich am vergangenen Wochenende Autobegeisterte zu einem legalen Rennen. Auf abgesperrtem Gelände dürfen sie Vollgas geben, unter sicheren Bedingungen. "Es ist einfach geil! Ich zittere immer noch", sagt ein Teilnehmer strahlend. Ein zweiter Teilnehmer beschreibt es so: "Ja, das ist halt Adrenalin, das ist besser als jede Droge."

Nico Klassen © Screenshot
Wenn mit seinen legalen Rennen nur ein tödlicher Unfall verhindert wird, habe es sich gelohnt, sagt Rennorganisator Nico Klassen.

Nico Klassen, der Organisator des Rennens, weiß wovon die Fahrer sprechen. Auch er liebt die Geschwindigkeit, raste früher selbst und fuhr illegale Rennen. Bis zu dem Tag, als ein Freund dabei tödlich verunglückte.

Heute organisiert Klassen legale Rennen, um junge Fahrerinnen und Fahrer von der Straße zu holen und Unbeteiligte zu schützen: "Das möchte ich niemanden auf dieser Welt mehr zumuten. Unfälle passieren, Menschen sterben. Ich will, dass das niemand mehr erleiden muss." Veranstaltungen wie diese sollen verhindern, dass der Adrenalinkick auf öffentlichen Straßen gesucht wird - und dort möglicherweise einen folgenschweren Unfall verursacht.

Rennen mitten im Wohngebiet

Drohnenaufnahme des Schiffbeker Weg in Hamburg-Billstedt © Screenshot
Vierspurig und schnurgerade: Der Schiffbeker Weg in Hamburg-Billstedt ist immer wieder Schauplatz für illegale Autorennen.

In Hamburg-Billstedt ist genau das passiert: Im August 2024 endet ein Rennen mitten im Wohngebiet tragisch. Auf einer vierspurigen Straße, die Anwohner längst als inoffizielle Rennbahn kennen, krachen zwei junge Männer mit über 150 km/h in das Auto einer Mutter, die mit ihren Zwillingen unterwegs ist. Ein zweijähriger Junge stirbt noch am Unfallort.

"Man hört es sofort, wenn hier jemand rast", sagt Hainer Hansen, der seit über 30 Jahren an dieser Straße lebt. "Es ist, als würde eine Rennbahn durch unseren Vorgarten führen." Seine Frau ergänzt: "Sobald ein Stück Straße frei ist, wird aufs Gas gedrückt."

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Schwerer Unfall auf dem Schiffbeker Weg - Kind muss reanimiert werden - 8 Verletzte - 3 beteiligte Fahrzeuge Unfallstelle erstreckt sich über 200 Meter - Truemmerfeld © picture alliance / ABBfoto

Kind bei illegalem Autorennen getötet: Angeklagter gibt Raserei zu

Zwei Raser stehen wegen Mordes vor dem Hamburger Landgericht. Am Mittwoch sagte unter anderem der 25-jährige Todesfahrer aus. mehr

Polizei und Justiz im Kampf gegen Raserei

Bundesweit verzeichnet die Polizei eine deutliche Zunahme illegaler Rennen. Eine Auswertung der Ermittlungszahlen zeigt: In Bremen etwa stiegen die Verfahren wegen verbotener Kraftfahrzeugrennen innerhalb eines Jahres um über 55 Prozent. Auch in Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern gibt es einen deutlichen Anstieg von fast 30 Prozent. In Schleswig-Holstein sind es knapp vier Prozent.

Dabei hatte der Gesetzgeber bereits 2017 reagiert: Seitdem gelten illegale Rennen als Straftat, festgelegt im Paragrafen 315d des Strafgesetzbuches. Auch Einzelrennen werden bestraft und sind nicht mehr nur eine Ordnungswidrigkeit. Möglich sind bis zu zehn Jahre Haft, hohe Geldstrafen, der Verlust der Fahrerlaubnis sowie die Beschlagnahmung des Fahrzeugs. Wenn bei einem Unfall ein Mensch ums Leben kommt, kann der Raser sogar wegen Mordes verurteilt werden.

Tötungsvorsatz schwer nachzuweisen

Autowrack nach einem Unfall während eines illegalen Autorennens in Barsinghausen. © Screenshot
Autowrack nach einem illegalen Rennen bei Barsinghausen: Zwei kleine Kinder wurden dabei getötet.

Doch offenbar wird immer wieder um die Auslegung des Gesetzes zu illegalen Autorennen gerungen, wie im Fall des Raserunfalls von Barsinghausen in Niedersachsen 2022. Während eines illegalen Rennens fuhr die Fahrerin eines beteiligten Wagens mit über 180 km/h auf die Gegenspur und verursacht einen Frontalzusammenstoß - zwei kleine Kinder, zwei und sechs Jahre alt, starben. Zunächst sind sich Staatsanwaltschaft und Landgericht uneinig. Erst nach einer Revision wird die Fahrerin vor wenigen Wochen wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, der Tötungsvorsatz wird vom Bundesgerichtshof anerkannt.

Genau dieser Nachweis der vorsätzlichen Tötung ist schwer zu führen. Es ist ein schmaler Grat zu bewerten, was im Kopf eines Fahrers vor sich geht. Drückt er auf das Gaspedal mit der Einstellung: "Wird schon gut gehen?" Oder rast er mit dem Gedanken: "Na, wenn schon?" Erst wenn ein Fahrer nachweislich den Tod eines Menschen willentlich in Kauf nimmt, liegt der Tötungsvorsatz vor.  

Juristin für weitere Verschärfung des Rechts

Die juristischen Anforderungen seien zu hoch, kritisiert die Juristin Elisa Hoven von der Universität Leipzig. Die hohe Hürde könne dazu führen, dass Täter trotz gefährlichen Verhaltens nicht angemessen bestraft werden könnten, sagt Hoven.

Sie plädiert dafür, die gesetzlichen Regelungen klarer zu fassen, um schwere Fälle als Mord einstufen zu können: "Ich würde mir wünschen, dass der 315d noch einmal reformiert wird, so dass man diesen Gefährdungsvorsatz überhaupt nicht braucht." Es müsse für eine härtere Strafe schon reichen, dass jemand ein illegales Rennen fährt und dabei eine Person tötet, sagt Hoven.

Was geht in Rasern vor?

Zwei Sportwagen bei einem legalen Autorennen in Brilon, NRW. © Screenshot
Legale Rennen wie hier in Brilon brächten vermutlich mehr als härtere Strafen, glaubt der Organisator.

Doch es gibt auch Zweifler, die nicht glauben, dass strengere Gesetze zu weniger illegalen Rennen führen. Rennorganisator Klassen gehört dazu. "Für viele ist Rasen eine Art Sucht - das Adrenalin, die Anerkennung in der Szene. Man fühlt sich unbesiegbar", sagt er. Härtere Strafen würden deshalb kaum wirken.

Er ist überzeugt, wenn es mehr legale Angebote für Rennbegeisterte gäbe, würden sich weniger auf öffentlichen Straßen austoben. Sein Ansatz sei daher, sichere Räume schaffen, in denen sich die Lust am Tempo legal ausleben lasse. Wie auf dem alten Flugplatz in Brilon: "Hier können sie den Kick haben, ohne Leben zu gefährden", sagt Klassen.

Keine hochmotorisierten Autos für Fahranfänger?

Auch Andreas Winkelmann, Erster Oberamtsanwalt bei der Amtsanwaltschaft Berlin, wünscht sich ergänzend zum Gesetz mehr präventive Maßnahmen. Er leitet die Abteilung für Verkehrsdelikte. Seine Arbeit konzentriert sich auf die Aufklärung und strafrechtliche Verfolgung in der Hauptstadt, einem bundesweiten Hotspot für Raser. Seiner Meinung nach wäre es sinnvoll, an Schulen stärker über die Gefahren illegaler Rennen aufzuklären.

Eine weitere Möglichkeit sei, die Anmietung hochmotorisierter Fahrzeuge erst ab einem Altern von 25 Jahren zuzulassen. Und Winkelmann schlägt einen Stufenführerschein für Autos vor - ähnlich wie bei Motorrädern - damit Fahranfänger nicht sofort hochmotorisierte Fahrzeuge fahren dürfen. "Fahrzeuge, die mit 150 Stundenkilometern unterwegs sind, anderthalb Tonnen schwer - das sind Geschosse, die durch die Luft fliegen, die können unendlich viel Leid und Schaden anrichten", sagt Winkelmann. Wer frisch seinen Führerschein hat, solle nicht in einem hochmotorisierten Fahrzeug sitzen.

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Verkehrsministerium verweist auf die Länder

Das Bundesverkehrsministerium erklärt auf Anfrage zum Thema illegale Rennen, es habe sich aktiv für die Verschärfung der Strafen eingesetzt. Unter anderem auch "Um die abschreckende Wirkung zu erhöhen […]". Im Hinblick auf die steigenden Zahlen verweist das Ministerium auf die einzelnen Länder. Die seien für die Erhöhung der Verkehrssicherheit zuständig. Man weise auf die Dringlichkeit einer Verkehrsüberwachung hin und plädiere dafür "[…] noch zielgerichteter gegen illegale Autorennen vorzugehen."

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 29.04.2025 | 21:15 Uhr

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Straßenverkehr