Unterschätzte Gefahr: Kräutermischungen als legale Drogen

Stand: 27.10.2020 17:34 Uhr

Trotz Gesetzesänderungen floriert das Geschäft mit künstlichem Cannabis im Internet weiter - vermeintlich ganz legal. Sicherheitsbehörden vermuten dahinter oft Akteure der Organisierten Kriminalität, denen sie nun den Kampf ansagen.

von Nino Seidel

Thomas ist 26 Jahre alt und hat sein ganzen Leben noch vor sich. Doch dieses Leben wäre beinahe vorbei gewesen. "Du denkst wirklich, du stirbst gleich. Dein Körper zittert. Es haut so sehr rein." Dieses Gefühl hatte Thomas aus Salzgitter dutzende Male, ausgelöst durch eine Droge, die sein ganzes Leben verändert hat, er nennt sie Spice. "Spice war die härteste Droge, die ich je genommen habe." Gemeint ist eine so genannte "Kräutermischung", ein im Labor künstlich hergestelltes Cannabis. Das synthetische Gras ist erst seit zehn Jahren auf dem Markt, auch bekannt als eines von vielen "Legal Highs".

"Kräutermischung" nur vermeintich legal

Das "Legal Highs"-Produkt "Couchtrip", ein Ersatzprodukt für Cannabis. © NDR Foto: Screenshot
Das "Legal Highs"-Produkt "Couchtrip" kann man Internet erwerben. Die Kräuermischung wird damit beworben, ein Cannabis-Ersatzprodukt zu sein.

Doch diese Stoffe sind nur vermeintlich legal, weil man sie ganz offen im Internet kaufen kann. Bei Google finden sich unter dem Suchbegriff "Kräutermischung" Dutzende Online-Shops. In bunten Tütchen werden dort Kräuter zum Rauchen angeboten, versetzt mit dem chemischen Cannabis-Ersatz. Sie heißen "Couch Trip" oder "Purple Spice" und wie sie wirken, damit werben viele Shops ganz offensiv: "Die Produkte scheppern ordentlich, heller Wahnsinn. Das zieht dir die Füße weg", heißt es auf einem Shop. Ein anderer bewertet seine eigenen Produkte mit "fünf von fünf Joints. Ultraextrem." Keiner dieser Shops ist versteckt oder nur verschlüsselt zu erreichen. Die Bestellung funktioniert wie bei normalen Onlinehändlern: Man legt die Drogen in den Warenkorb und bekommt sie ganz bequem mit der Post geliefert.

Betonmischer und Chemikalien

Jörg Beyser © NDR Foto: Screenshot
Jörg Beyser vom bayrischen Landeskriminalamt hat den vermeintlich "legalen" Drogen und deren Verbreitung den Kampf angesagt.

Das bayrische Landeskriminalamt (BLKA) hat diesen "Legal-High-Shops" besonders den Kampf angesagt. Die Ermittler rund um Jörg Beyser - Chef des Drogendezernats - führen bundesweit die meisten Verfahren gegen solche Online-Shops. "Ich halte das für ausgesprochen gefährlich. Es ist tatsächlich so, dass diese Stoffe in ihrer Wirkung und der Herstellungsform überhaupt nicht einschätzbar sind. Und das führt dann in der Regel zu massiven körperlichen, psychischen Situationen bei den Konsumenten, bis hin zum Tod", erzählt Jörg Beyser. Bei Razzien fanden seine Ermittler in Hinterhof-Garagen Betonmischmaschinen. Damit werden Kräuter und Chemikalien in großen Mengen vermischt. Diese Herstellungsweise ist aus mehreren Gründen besonders gefährlich für die Konsumenten. Zum einen wird der Wirkstoff sehr ungleich verteilt, schon das kann zu unkalkulierbaren Überdosierungen führen. Außerdem haben die Chemikalien teilweise eine hundertfach stärkere Wirkung als normales Cannabis.

Die Nachfrage nach dem künstlichen Cannabis sei jedoch nach wie vor hoch und ziehe vermehrt auch Akteure aus der organisierten Kriminalität an. "Der Markt expandiert exponentiell. Es werden große Organisationsstrukturen aufgebaut, die das Zeug entsprechend verkaufen und billigend in Kauf nehmen, dass Menschen daran sterben. Damit machen die Millionen", so Beyser.

Shops verkaufen "Mogelpackungen"

Eigentlich wollte die Bundesregierung diesem Millionengeschäft mit vermeintlich legalen Drogen einen Riegel vorschieben. 2016 trat das "Neue Psychoaktive Stoffe Gesetz" (NPSG) in Kraft. Als neue psychaktive Stoffe - kurz NPS - bezeichnet man alle künstlich hergestellten Drogen wie zum Beispiel die Kräutermischungen. Das Gesetz verbietet nicht den Besitz, sehr wohl aber den Handel mit den meisten NPS. Die meisten Shops setzen sich darüber jedoch einfach hinweg, wie das LKA Bayern beobachtet. Sie untersuchen regelmäßig Kräutermischungen und stellen fest: Viele der Stoffe verstoßen sehr wohl gegen das NPSG, einige werden gar vom Betäubungsmittelgesetz erfasst. Die Shops verkaufen offenbar also "Mogelpackungen". "Alles, was das Wort legal in irgendeiner Form beinhaltet, scheint vermitteln zu wollen: 'Es ist legal. Habt keine Angst, bestellt bei mir.' Viele fallen darauf rein", so Beyser vom LKA Bayern. Es gäbe mittlerweile fast nichts mehr, was legal wäre. "Es gilt nur, diese Fassade aufrecht zu erhalten."

Die meisten Shops ließen Panorama 3 -Anfragen zu ihren Stoffen und Geschäftsmodellen unbeantwortet. Kein Wunder, bislang hat sich noch nie ein "Legal-High-Shop" gegenüber Medien geäußert. Doch einer der größten Shops - "Rauchgeist" - erklärt sich erstmal zu einem anonymen Interview in einem Hotel bereit. "Rauchgeist" ist einer der ältesten Shops im Markt. Auch er behauptet nur "legale" Produkte zu verkaufen. Nach Panorama 3-Recherchen scheint es diesem Shop jedoch tatsächlich zu gelingen, "legal" zu bleiben. Chemiker entwickelten immer neue Stoffe, die noch nicht von bestehenden Gesetzen erfasst und somit legal sind - bis zur nächsten Anpassung des Gesetztes.

Shop-Vertreterin: "Wir könnten noch zehn Jahre dieses Geschäft machen"

Im Interview mit Panorama 3 gesteht eine Vertreterin von "Rauchgeist" ein, dass die neuen Gesetze es ihren Laboren schwerer machen, weiterhin "legale" Mischungen zu entwickeln. "Neue Sachen sind dauernd in Entwicklung. Je komplexer aber die Verbote werden, desto komplexer und langwieriger wird natürlich, was man dann noch entwickeln kann. Dennoch: wir könnten noch zehn Jahre dieses Geschäft machen, auch mit den derzeitigen Bedingungen", so die "Rauchgeist"-Sprecherin.

Doch selbst wenn es "Rauchgeist" gelingt, nicht gegen geltende Gesetze zu verstoßen: Sind ihre Mischungen deshalb ungefährlich? Können sie nicht trotzdem tödlich sein? "Das Produkt geht in die Testung. Wir haben Tester, die beurteilen das Produkt. Jeder Rohstoff, der bei uns aus dem Haus geht, ist auf Toxizität überprüft. Ich kann mir sicher sein, dass es nicht tödlich endet, solange es korrekt angewendet wird. Diese Sicherheit habe ich", behauptet "Rauchgeist" im Panorama 3-Interview. Labore würden in aufwendigen Untersuchungen die Gefahren für den Menschen vorab testen, angeblich hinterlegt in offiziellen Gutachten. Doch zeigen will Rauchgeist uns so ein Gutachten nicht. Kann man die Gefährlichkeit der Kräutermischungen wirklich so einfach ausschließen?

"Es ist immer ein Russisch-Roulette Spiel"

Volker Auwärter © NDR Foto: Screenshot
Professor Volker Auwärter untersucht regelmäßig "Legal-Highs"-Produkte und warnt vor deren Folgen.

Im rechtsmedizinischen Institut in Freiburg forscht Professor Volker Auwärter schon seit Jahren zu Kräutermischungen und "Legal Highs". Er gilt als renommiertester Experte in diesem Feld. Seine Wissenschaftler machen regelmäßig Testkäufe bei diversen Onlineshops und untersuchen dann die Mischungen unter anderem auch auf Ihre Gefährlichkeit. "Selbst wenn ein Hersteller das vorher im Selbstversuch testet kann es sein, dass er das vielleicht halbwegs gut verträgt. Das heißt aber noch lange nicht, dass Menschen mit anderer genetischer Ausstattung es gut vertragen. Es ist immer ein Russisch-Roulette Spiel, was da betrieben wird", so der Experte Auwärter.

Thomas aus Salzgitter hat das Russisch-Roulette Spiel lange gespielt. Der Ausstieg war nicht einfach. "Das war schwer. Ich musste erst mal mir selbst eingestehen, dass ich ein Problem hatte. Ich habe schon gemerkt, ich muss mich für meinen Familie entscheiden oder für den Drogenweg. Dann würde ich hier nicht mehr sitzen. Dann wäre ich letztes Jahr verstorben", erzählt Thomas.

Auch Dank einer Drogenberatung ist er nun seit einigen Monaten clean, weg von den Kräutermischungen. Und Thomas ist vor allem froh, dass er noch lebt.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 27.10.2020 | 21:15 Uhr